Über das »Leitbild für verantwortliches Handeln in der Wirtschaft«

Reich werden und sich gut dabei fühlen

Die deutschen Wirtschaftsunternehmen entdecken die Selbstkritik. Mittlerweile haben 34 Vorstandsvorsitzende ein »Leitbild für verantwortliches Handeln in der Wirtschaft« unterzeichnet. Darin fordern die Unternehmen und ihre Führungskräfte Moral und Nachhaltigkeit von sich selbst. Die Regeln, die sie sich dafür auf­erlegt haben, lassen ihnen einen großen Spielraum zur Interpretation.

Ein Untersuchungsausschuss des US-Senats, der sich mit den Ursachen der Finanzkrise beschäftigt hat, brachte die Deutsche Bank kürzlich in Verlegenheit. In dem Bericht, den die Arbeitsgruppe vorlegte, heißt es, das Unternehmen zähle zu den Institutionen, die mit »schäbigen, riskanten und betrügerischen Praktiken« den Finanzmarkt zum Kollabieren gebracht hätten. Vertrauliche Dokumente und E-Mails offenbarten, dass Händler der Deutschen Bank auf den Zusammenbruch des amerikanischen Immobilienmarkts gewettet, gleichzeitig aber mit US-Hypotheken abgesicherte Wertpapiere an Investoren verkauft haben (Jungle World 16/2011). Ein früherer Mitarbeiter der Deutschen Bank hatte diese Finanzprodukte in einer E-Mail als »Müll« bezeichnet. Für den Ausschuss steht somit fest, dass das Unternehmen eine Mitschuld an der Immobilienkrise trägt, dem Vorsitzenden der Deutsche Bank, Josef Ackermann, wirft er vor, die obskuren Geschäfte seiner Händler gebilligt zu haben. Die Reaktion auf die Untersuchungsergebnisse fiel lapidar aus: Die E-Mails und Dokumente würden nur die »vielfältigen Ansichten innerhalb der Bank in Bezug auf den Häusermarkt« zeigen, sagte eine Sprecherin des Unternehmens.

Ackermann kann sich über das Interesse des US-Senats an den Geschäftspraktiken der Deutschen Bank nicht beschweren. Er gehörte im vergangenen November zu den ersten Unterzeichnern des »Leitbildes für verantwortliches Handeln in der Wirtschaft«. Dabei handelt es sich um eine Art Ehrenkodex, zu dem sich mittlerweile 34 deutsche Firmenvorstände wie René Obermann von der Deutschen Telekom, Martin Winterkorn, der Vorstandsvorsitzende von Volkswagen, oder Johannes Teyssen vom Energiekonzern Eon verpflichtet haben. In der Präambel des Papiers steht: »Wir wollen dieses Leitbild in unseren Unternehmen fest verankern und uns daran messen lassen.« Es sind vor allem Schlagworte wie Vertrauen, Leistung, Nachhaltigkeit und Fairness, die sich nach Bekunden der Unterzeichner zu »sichtbaren, alltagstauglichen und überprüfbaren Standards« verbinden sollen. Die Wirtschaft müsse das Wohl der Menschen fördern und verlange ein verantwortliches Handeln der »Entscheider«.
Diese Standards sind nach Ansicht von Jürgen Strube, dem früheren Aufsichtsratsvorsitzenden von BASF und Initiator des »Leitbildes«, nach der Finanzkrise auch bitter notwendig. »Das Vertrauen der Menschen in die Wirtschaftselite hat gelitten, nicht zuletzt auch durch das Fehlverhalten Einzelner«, sagte er vorige Woche der Bild-Zeitung und sekundierte damit jenen Kritikern, für die der Ausbruch der Krise vor allem auf das individuelle Streben von Managern und Bankern nach Millionen-Boni zurückzuführen ist.

Dass die astronomischen Summen, die Führungskräfte als Vergütung erhalten, bei der Bevölkerung durchaus empörte Reaktionen hervorrufen können, wurde bei der Verfassung des »Leitbildes« berücksichtigt. »Führungskräfte tragen eine besondere Verantwortung – ihr Handeln entscheidet maßgeblich über den Erfolg eines Unternehmens«, heißt es dort zur Rechtfertigung. »Diesen Anforderungen muss die Managervergütung Rechnung tragen.« Die Unterzeichner legen vor allem Wert darauf, dass die erbrachte Leistung der Manager nachvollziehbar ist, und immerhin stimmen sie darin überein, dass »unzureichende Leistung nicht honoriert werden« darf. Gelohnt hat sich die Leistung anscheinend für den Vorstandsvorsitzenden von Volkswagen: 2010 erhielt Winterkorn ein Jahresgehalt von 9,3 Mil­lionen Euro, 41 Prozent mehr als im Vorjahr. Im Durchschnitt sind zudem die Vorstandsgehälter der anderen im Dax notierten Unternehmen im vorigen Jahr um 18 Prozent gestiegen.
Managergehälter, Gewinne und Moral, Stellen­abbau, Ökologie – die Vorstandsvorsitzenden der deutschen Unternehmen scheuen sich in ihrem »Leitbild« nicht davor, zu gesellschaftlichen »Konfliktthemen« Stellung zu beziehen. All denen, die die Vereinbarkeit von Gewinnstreben und verantwortungsvollem Handeln prinzipiell infrage stellen, wird erklärt, dass Gewinne »Anerkennung für die Leistung von Unternehmen« seien. Ökonomischer Erfolg würde am Ende nur den Richtigen zu Gute kommen: »Der marktwirtschaftliche Wettbewerb sorgt dafür, dass nur solche Unternehmen langfristig Gewinne erzielen, die ihren Kunden einen Nutzen bieten.« Außerdem würden Firmen durch Abgaben und Steuern staatliche Transferleistungen finanzieren und damit auch denjenigen helfen, »die nicht am Wirtschaftsleben teilnehmen können«, wie gönnerhaft angemerkt wird.
So erscheint die sogenannte Selbstverpflichtung der Firmen an vielen Stellen weniger als ein einsichtiges Dokument, in dem für eine Zukunft mit Anstand und Bescheidenheit eingetreten wird, sondern wie die Rechtfertigung ihrer ohnehin gängigen Geschäftspraxis. Natürlich, so wird betont, müssten alle personalpolitischen Maßnahmen in Erwägung gezogen werden, bevor Stellen gestrichen werden. Gleichzeitig dürfe aber von Unternehmen mit Milliardenumsätzen nicht verlangt werden, auf Entlassungen zu verzichten: »Die Dynamik der Märkte und der Wandel in der globalen Arbeitsteilung machen permanente Anpassungen in den Personalstrukturen notwendig.«

Zukunftsweisend soll die Verpflichtung zur »Nach­haltigkeit« klingen: »Nachhaltig Wirtschaften bedeutet, nachfolgenden Generationen ein intaktes ökologisches, soziales und ökonomisches Ge­füge zu hinterlassen.« Empört wird der Vorwurf zurückgewiesen, die Wirtschaft vernachlässige den Klima- und Umweltschutz. Schließlich sei eine intakte Umwelt die Basis für ein langfristig erfolgreiches Wirtschaften. Jürgen Großmann hatte zuletzt nicht den Eindruck erweckt, als träte er für diesen Grundsatz mit sonderlich großem Engagement ein. Der RWE-Vorstandsvorsitzende hatte vor zwei Wochen seine Unterschrift unter das »Leitbild« gesetzt, sich zuvor aber energisch gegen die Stilllegung des konzerneigenen Atomkraftwerks Biblis A gewehrt. Gegen diese Verordnung der Bundesregierung hatte RWE beim Verwaltungsgericht in Kassel Klage eingereicht und zwischenzeitlich damit gedroht, das Kraftwerk wieder hochzufahren. »Die deutschen Kernkraftwerke erfüllen die geltenden Sicherheitsanforderungen«, teilte das Unternehmen in einer Presseerklärung mit. Dem neuerlichen Bekenntnis zu Nachhaltigkeit folgten bei RWE wie auch bei dessen großen Konkurrenten Vattenfall, Eon und EnBW wenige Taten: Bislang wird in Deutschland der Großteil des Stroms aus Wind- und Solarenergie von den Regionalversorgern, den Stadtwerken und den Privathaushalten geliefert. Nur 0,5 Prozent dieses Stroms kommen von den vier Energiekonzernen. Darüber hinaus hatte RWE vor der Reaktorkatastrophe in Fukushima nur 20 Prozent der Gesamtinvestitionen für erneuerbare Energien eingeplant. Um die von der Politik geforderte »Energiewende« einzuleiten, sei dies zu wenig, stellte das Berliner Institut für Ökologische Wirtschaftsforschung kürzlich in einer Studie fest.
Im »Leitbild für verantwortliches Handeln in der Wirtschaft« geloben die deutschen Unternehmen, ihre Versprechen einzuhalten und die Regeln des Wettbewerbs zu achten. Wie mögliche Verstöße der Firmen gegen die nebulös formulierten Prinzipien dieses Ehrenkodexes geahndet werden sollen, blieb bei dessen Präsentation im November allerdings offen. Zwar wollen sich die Unterzeichner »verbindlich« an die Leitlinien halten, doch strenge Maßnahmen gegen Regelverletzungen sollen vor allem in den Unternehmen selbst getroffen werden: »Von eindeutigem Fehlverhalten in den eigenen Reihen werden wir uns klar und sichtbar distanzieren.«