Die Werbekampagne für den Zensus 2011

Du bist Zensus

Deutschland macht Inventur, am 9. Mai beginnt der Zensus 2011. Die Werbung dafür erinnert an die Kampagne »Du bist Deutschland« von 2005. Die statistische Erfassung aller Einwohner wird als gemeinsames »nationales Interesse« präsentiert.

In wenigen Tagen beginnt mit dem Zensus die größte Volkszählung in der Geschichte der Bundesrepublik. Und das scheint niemanden sonderlich zu interessieren. Weder groß angelegte Kampagnen gegen den Zensus noch Boykott­aufrufe hat es bisher gegeben. Dabei ließe sich am »Zensus 2011« durchaus Kritik üben. Denkbar wäre zum Beispiel, die statistische Erfassung persönlicher Daten durch den Staat zu kritisieren. Die sogenannten Merkmale, die für den Zensus in Deutschland abgefragt werden, gehen noch über die Informationen hinaus, die in der Vorgabe der EU gefordert werden. Hinzu kommt die geplante »Vollerfassung« der »Sonderbereiche«, die auch von den wenigen Kritikern bislang meist vernachlässigt wurde. Während von der Stichproben-Befragung knapp zehn Prozent der Bevölkerung betroffen sein werden, sollen im Rahmen des Zensus erstmals Flüchtlinge, Obdachlose, Waisen, Behinderte, alte Menschen und Studierende, die in Gemeinschaftsunterkünften wohnen, vollständig erfasst werden. In den sogenannten sensiblen Sonderbereichen, wie beispielsweise Pflege- und Therapieeinrichtungen sowie Gefängnissen, wird dafür die Leitung der Einrichtung befragt.

Kritiker des Zensus weisen vor allem auf die Gefahr des Missbrauchs solcher zentralen Datensammlungen hin. Wer Sorge hat, die gesammelten Informationen könnten »zweckentfremdet« werden, sollte sich jedoch die Frage stellen, was denn eigentlich der »Zweck« der Erhebung ist. »Um verlässlich wirtschaften und planen zu können, machen Unternehmen meist jährlich eine Inventur. So ähnlich kann man sich den Zensus vorstellen: eine Inventur für das ganze Land«, wird man auf der Homepage des Zensus informiert. Der Staat präsentiert sich hier als Wirtschaftsunternehmen, tatsächlich bedient sich die Zensus-Kampagne der gleichen Logik, die auch den Bonuskarten, die im Supermarkt erhältlich sind, oder den Kundenprofilen, die Amazon erstellt, zugrunde liegt: Je mehr persönliche Daten man preisgibt, desto besser kann das Angebot auf einen zugeschnitten werden. Dass Gert Wagner vom Institut für Wirtschaftsforschung der Vorsitzende der deutschen Zensus-Kommission ist, passt dazu. Der Zensus 2011 demonstriert auf eindrückliche Weise die Ökonomisierung der Politik, deren Aufgabe nicht die Bedürfnisbefriedigung oder eine den Menschen sozial angemessene Infrastruktur ist. Es geht um eine möglichst effiziente unternehmerische Verwaltung der Einwohner des Staatsgebietes. »Könnten Sie innerhalb der nächsten zwei Wochen eine bezahlte Tätigkeit aufnehmen?« Fragen wie diese werden im Rahmen des Zensus gestellt.
»Welche Infrastruktur bringt uns weiter? Wie viele Studienplätze brauchen wir? Wie lenken wir unseren Verkehr?« fragt eine Stimme im Zensus-Werbespot, der derzeit in den Kinos und im Fernsehen gezeigt wird. Wer »wir« sind, erklärt sich anhand der Bilder: Die Studierenden, die im Vordergrund gezeigt werden, sind in den Farben Schwarz, Rot und Gold gekleidet und auch die Autos, die in dem Spot zu sehen sind, sind in diesen Farben lackiert. Ganz am Rand des Bildausschnitts kann man Menschen und Fahrzeuge entdecken, für deren Kleidung und Lackierung andere Farben gewählt wurden. So verdeutlicht dieser Werbespot, worum es beim Zensus auch geht: Der Wirtschaftsstandort Deutschland soll verteidigt werden, und damit die Stellung der Deutschen gegen die Konkurrenz, sei es im Hörsaal oder auf dem Parkplatz. Hier zeigt sich das alte Versprechen der Nation, die Belohnung für die nationale Identifikation. Vielleicht reicht es dann ja auch irgendwann für eine schicke Penthouse-Wohnung, wie sie im Spot präsentiert wird. »Wie entstehen Wohnungen da, wo wir sie brauchen?« Angesichts der Designer-Lofts, die gezeigt werden, kann die Frage nach dem benötigten Wohnraum wohl nur rhetorisch gemeint sein.
Der Bundesregierung ist daran gelegen, dass der Zensus nicht als staatliche Kontrollmaßnahme verstanden wird, sondern als gemeinsames »nationales Projekt«. »Deutschland braucht die moderne Volkszählung«, mit diesem Slogan endet der Zensus-Werbespot. Wer die Aufforderung zur Pflichterfüllung nicht begriffen hat, wird auf der Homepage der Kampagne darüber belehrt, welche Bedeutung der Zensus »für unsere Zukunft hat: nicht nur für die Gesellschaft, sondern auch für jede und jeden Einzelnen«.
Straßenbau, Krankenhäuser, Kindergartenplätze, Bildungs- und Integrationspolitik – diese Bereiche können nur effektiv geplant und verwaltet werden, wenn alle mitmachen, so lautet die Botschaft der Kampagne. Dabei werden viele der genannten Bereiche gar nicht in den für den Zensus angefertigten Fragebögen berücksichtigt. In der Kampagne wird die Teilnahme als patriotische Bringschuld präsentiert, diejenigen, die sich der Auskunft verweigern, erscheinen hingegen als Hindernis für eine effektive Bildungs- und Sozialpolitik.

Fehlende Daten für infrastrukturelle und soziale Probleme verantwortlich zu machen, könnte man angesichts der bestehenden Hartz-IV-Gesetze und der Kürzungen, von denen soziale Einrichtungen regelmäßig betroffen sind, als arglistige Täuschung bezeichnen. Dass derzeit 14 Prozent der Bevölkerung in Deutschland unter der Armutsgrenze leben, ist durch zahlreiche Statistiken bereits ebenso belegt wie der Bedarf an Studien- und Kindergartenplätzen. Eine Verbesserung der Situation dürfte also kaum daran gescheitert sein, dass es an Informationen mangelt, sondern daran, dass wenig Bereitschaft dafür vorhanden ist, eine an den Bedürfnissen der Menschen orientierte Sozialpolitik oder Infrastruktur zu schaffen. Auch die Daten, die nun gesammelt werden, dürften wohl kaum dafür verwendet werden. Dagegen spricht schon der in der Kampagne verwendete Begriff der Inventur. Denn Inventuren dienen in Unternehmen der wirtschaftlichen Planung. Das nützt dem Standort Deutschland. Und was gut ist für den Standort, ist auch gut für »dich«, so lautet die Botschaft der Kampagne, die sicher nicht zufällig an die »Du bist Deutsch­land«-Kampagne vor sechs Jahren erinnert.
Ob diese Botschaft auch bei den Menschen ankommt, die einen sogenannten Migrationshintergrund haben, ist fraglich. Neun der insgesamt 46 Fragen, die im Rahmen des Zensus gestellt werden, beziehen sich auf die persönliche oder fami­liäre Migrationsgeschichte. Die Herkunft wird bis in die zweite Generation abgefragt, offenbar soll festgestellt werden, wie sich das erste »Gastarbeiterabkommen« von 1955 auf die Einwanderung ausgewirkt hat. Die Frage nach der Religionszugehörigkeit, bei der die verschiedenen Strömungen des Islam gesondert aufgelistet sind, dürfte bei Migranten den Eindruck verstärken, dass es bei ihnen vor allem um Kontrolle geht.

Der Apell an die Loyalität zur Nation scheint bei der Mehrheit der Bevölkerung jedoch zu funktionieren. Während die Volkszählung 1987 noch große Proteste hervorgerufen hat, scheinen mittlerweile nur noch wenige Bürger Bedenken gegen den Zensus zu hegen. Umfragen kamen zu dem Ergebnis, dass bis zu 75 Prozent der Staatsbürger »gerne« an der Befragung teilnehmen würden. Unter den Anhängern der Grünen, der Partei, die vor 24 Jahren noch an der Spitze der Boykottbewegung stand, befürworten einer Umfrage des Stern zufolge sogar 83 Prozent den Zensus.
Ein Grund für die Zustimmung der Bevölkerung dürfte auch der sich verändernde Umgang mit persönlichen Daten sein. Viele geben in digitalen »sozialen Netzwerken« freiwillig persönliche Informationen von sich preis oder lassen ihre Essgewohnheiten auf Chip-Karten speichern, um bevorzugte Lebensmittel ein paar Cent günstiger zu erhalten. Dass sie beim Zensus aber gar keine andere Wahl haben, als Persönliches preiszugeben, interessiert sie offenbar nicht.
»Zählt nicht uns, sondern eure Tage«, dieser Slogan zierte 1987 noch Häuser in der Hamburger Hafenstraße. Solche Sprüche würden heutzu­tage mangels kritischer Masse ein wenig peinlich wirken. Aber was tun, wenn man dennoch nicht am Zensus teilnehmen will – sei es, um sich einen letzten Rest Privatsphäre zu bewahren, oder weil man kein Interesse hat, durch seine Mitarbeit das »Unternehmen Deutschland für die Zukunft fit zu machen«? Der AK Zensus schlägt verschiedene Vorgehensweisen vor: »Zur Stichwoche umziehen und abmelden, ins Ausland ziehen«, oder »Aufsatz schreiben statt Antworten ankreuzen«. Für die letztgenannte Variante wird auf der Internetseite generator.zensus11.de sogar ein »Aufsatzgenerator« zur Hilfe bereitgestellt. Die Datenschützer betonen aber zugleich die mögliche Illegalität solcher Handlungen.
Aus einer ganz anderen Ecke hingegen wurden bereits während der Vorbereitungen zum Zensus Bedenken geäußert. In manchen Bundesländern wurden Beamte der Landeskriminalämter bei den Verwaltungsbehörden vorstellig und äußerten die Sorge, dass bei der Erhebung auch Wohnungen die Aufmerksamkeit der Volkszähler auf sich ziehen könnten, die zu Observationszwecken angemietet wurden. Dabei wären das durchaus Informationen, die von großem Interesse sein könnten.