Der Machtkampf geht weiter

It’s never too late to break out

Einmal mehr haben sich Nationalisten und Islamisten geeinigt, doch sie werden sich bald wieder streiten. Nur regime change und Demokratisierung können einen Friedensprozess ermöglichen.

»Die arabischen Revolutionen haben den Prozess beeinflusst«, sagte Mussa Abu Marsuk, ein Repräsentant der Hamas bei den Verhandlungen mit der Fatah, nach der Einigung. Das ist die erste gute Nachricht: Obwohl es in den palästinensischen Gebieten noch keine Massenproteste gab, sind die Islamisten ebenso besorgt wie die Nationalreligiösen. Unfreiheit, Folter, willkürliche Verhaftungen, soziale Misere, Korruption, Perspektivlosigkeit – alles, was die Menschen in anderen arabischen Ländern auf die Straße treibt, prägt auch das Leben in den palästinensischen Gebieten. Die Unzufriedenheit vor allem unter den Jugendlichen ist groß (Jungle World, 10/11), doch bislang wurde auch von Oppositionellen kein regime change gefordert, sondern jene Regierung der »nationalen Einheit«, auf die sich Fatah und Hamas nun geeinigt haben.
Wer, wie die Gruppe Gaza Youth Breaks Out, zu deren Parolen anfangs auch »Fuck Hamas!« und »Fuck Fatah!« gehörten, im Verdacht steht, nicht antizionistisch genug zu sein, muss mit Repressalien rechnen. Ob derzeit eine größere Zahl von Palästinensern eine andere Politik gegenüber Israel befürworten würde, ist unklar. Erst die Demokratisierung würde eine offene Debatte ermöglichen.

Ein Ziel der nun getroffenen Vereinbarung ist es, eine solche Debatte zu unterbinden und zu verhindern, dass aus der Unzufriedenheit eine Rebellion gegen die herrschenden Verhältnisse wird. Den Machtkampf zwischen Fatah und Hamas wird jedoch auch diese angebliche Einigung nicht beenden. Weit feierlicher versöhnte man sich im Januar 2007 vor der Kaaba in Mekka. Ein halbes Jahr später putschte die Hamas im Gaza-Streifen.
Deshalb will der palästinensische Präsident Mahmoud Abbas die »Sicherheitskooperation« mit Israel nicht beenden, sie schützt die Fatah vor einem möglichen Putsch der Hamas in der Westbank. Die Herrschaft über Gaza wird die Hamas nicht aufgeben, am Mittwoch vergangener Woche ließ sie eine Demonstration von Gaza Youth Breaks Out auseinanderprügeln, obwohl nur die »nationale Einheit« gefeiert werden sollte. Gemeinsam regieren wird die Koalitionsregierung nicht. Die Hamas kann auch im Gaza-Streifen nicht damit rechnen, noch einmal eine Wahl zu gewinnen, den vereinbarten Termin für Neuwahlen wird das Abkommen wohl nicht überdauern.
Es gibt aber noch eine zweite gute Nachricht. In Ramallah wedelte niemand mit palästinensischen Fahnen, als die Einigung bekanntgegeben wurde. Zu sehen waren nur Fahnen von Real Madrid und dem FC Barcelona, das Halbfinale der Champions League begeisterte die palästinensische Jugend offenbar mehr.

Für die Champions League der arabischen Revolution haben sich die Palästinenser noch nicht qualifiziert. Der antizionistische Konsens behindert die Entstehung einer Revolte, und zumindest im Gaza-Streifen wäre der Kampf nicht weniger hart als in Syrien. Doch nur die Demokratisierung kann einen Friedensprozess ermöglichen. Der Antisemitismus wird nicht einfach so im Zuge der Demokratisierung verschwinden, auch für ein Ende der Terroranschläge gibt es keine Garantie. Doch man muss die Israelis nicht lieben, um mit ihnen Frieden zu schließen. Die Kriegsmüdigkeit in der Gesellschaft ist ebenso offensichtlich wie das Bedürfnis vieler Palästinenser, sich auch einmal mit etwas anderem als der Konfrontation mit Israel zu beschäftigen.
Die Demokratisierung der palästinensischen Gebiete würde allen am Nahost-Konflikt Beteiligten Probleme bereiten. Zunächst einmal den Palästinensern selbst, die dann entscheiden müssten, ob sie einen seit mehr als 60 Jahren erfolg­losen Kampf fortsetzen oder die für einen Friedensschluss notwendigen Kompromisse eingehen wollen. Doch auch das politische Establishment Israels hat sich mit den Verhältnissen abgefunden und betrachtet alle Veränderungen in der Region mit Misstrauen. Solange sich bei den Palästinensern nichts ändert, bleibt Israel die innenpolitische Konfrontation erspart, die eine Räumung der Siedlungen in der Westbank mit sich brächte. Die »internationale Gemeinschaft« müsste, statt ständig neue Friedenspläne zu produzieren, den in den arabischen Ländern lebenden palästinensischen Flüchtlingen Green Cards anbieten.
Mit Fatah und Hamas haben sich kurzfristig noch einmal arabischer Nationalismus und Is­lamismus vereint, erforderlich ist jedoch ein Bruch mit beiden Ideologien. Die Demokratisierung böte diese Chance. Im Moment mag das noch unrealistisch erscheinen, doch noch vor einem halben Jahr hätte auch den »konservativen Ägyptern« kaum jemand eine Revolution zugetraut.