Die Diskussion in der Bundesregierung über die Ausrufung eines palästinensischen Staates

Ein Jein für den Terror

Die Bundesregierung lehnt zwar die Ausrufung eines palästinensischen Staates ab. Doch einige Vertreter der Regierungsparteien fordern von Israel, mit der Hamas zu verhandeln. Grundsätzliche Kritik an der Einigung zwischen Fatah und Hamas zu üben, bleibt dem Zentralrat der Juden überlassen.

Die Worte, die in der vergangenen Woche an den Präsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) gerichtet wurden, während dieser sich zu Gesprächen mit der Bundesregierung in Berlin aufhielt, hätten deutlicher kaum sein können: »Ich rufe Mahmoud Abbas dazu auf, die Übereinkunft mit der Hamas sofort zu annullieren und den Weg des Friedens mit Israel zu wählen. Das Abkommen zwischen der PA und der Hamas ist ein schwerer Schlag für den Friedensprozess. Wie ist es möglich, Frieden mit einer Regierung zu erlangen, von der die Hälfte zur Zerstörung des Staates Israel aufruft und sogar den Erzmörder Ussama bin Laden preist?« Allerdings stammten diese Sätze nicht von einem deutschen Regierungsmitglied, sondern vom israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu. Er empfing Tony Blair, den Sondergesandten des »Nahostquartetts«, in Jerusalem und verdeutlichte ihm die israelische Meinung zum von Ägypten vermittelten Bündnis zwischen der im Westjordanland regierenden Fatah und der in Gaza herrschenden Hamas.

Bundeskanzlerin Angela Merkel äußerte sich weitaus zurückhaltender als Netanjahu. Sie traf keine eindeutige Aussage zum Abkommen zwischen der Hamas und der Fatah und trug stattdessen die bereits bekannten Positionen ihrer Regierung vor. »Ich habe noch einmal für unsere Seite klar gemacht, dass es ganz, ganz wichtig ist, dass die drei Kriterien, die wir vielfach benannt haben, auch wirklich erfüllt werden«, sagte die Kanzlerin auf einer Pressekonferenz mit Abbas. Zu diesen Kriterien zählten »die Anerkennung der Sicherheit und Existenz Israels, der Verzicht auf Gewalt und das Bekenntnis zu einem Verhandlungsprozess«. Die Bundesregierung unterstütze weiterhin eine »Zwei-Staaten-Lösung« und hoffe dabei auf die Unterstützung der Europäischen Union sowie des »Nahostquartetts«. Die Ausrufung eines palästinensischen Staats ohne vor­herige Zustimmung Israels lehnte Merkel ab: »Wir sind der Auffassung, dass einseitige Schritte nicht helfen.«
Einige Angehörige der schwarz-gelben Koalition hingegen begrüßten die Einigung der Palästinenserorganisationen ausdrücklich. Rainer Stinner, außenpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion im Bundestag, bezeichnete den Pakt als einen »wichtigen Schritt für den Friedensprozess«, dem nun Taten folgen müssten: »Es kommt jetzt auch auf die israelische Regierung an, einen Beitrag zu leisten.« Joachim Hörster (CDU), Vorsitzender der Parlamentariergruppe für die arabischsprachigen Staaten des Nahen Ostens, schloss sich an: »Eine Einigung ist die Voraussetzung für einen unabhängigen Palästinenserstaat.« Mit der gewählten Vertretung der Palästinenser müsse man verhandeln, verlangte Hörster zudem, »unabhängig davon, ob die einzelnen palästinensischen Vertreter jeweils der Fatah oder der Hamas zuzurechnen sind«. Ohnehin liege es vor allem am jüdischen Staat, dass der Friedensprozess keine Fortschritte mache: »Gerade der israelische Siedlungsbau und jetzt die Drohung, palästinensische Steuergelder einzubehalten, helfen den Nahost-Friedensbemühungen nicht.«
Hörsters Parteikollege Andreas Schockenhoff, der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Union im Bundestag, warnte die israelische Regierung davor, »nicht erfüllbare Vorbedingungen für eine Zusammenarbeit mit der künftigen Palästinenserregierung aufzustellen«. Die Koope­ration zwischen der Hamas und der Fatah stelle für Israel aus seiner Sicht kein großes Problem dar, schließlich behalte die Fatah »die alleinige Zuständigkeit für den Friedensprozess mit Israel, da hat die Hamas keine Mitsprache«. Diese Ansicht vertrat offensichtlich auch Angela Merkel, als sie sagte: »Präsident Abbas hat noch einmal deutlich gemacht, dass die Verhandlungen über ein Friedensabkommen zwischen ihm und Israel geführt werden, und genau so sollte es auch sein.«

Dabei hatte die Hamas unmittelbar nach dem Abschluss ihrer Vereinbarung mit der Fatah erneut klargestellt, dass sie mitnichten gewillt ist, Verhandlungen mit Israel oder gar eine Anerkennung des jüdischen Staates zuzulassen. Auch einen Gewaltverzicht zieht sie weiterhin nicht in Erwägung. Es blieb dem Zentralrat der Juden in Deutschland vorbehalten, darauf hinzuweisen. »Herr Abbas hat gerade in diesen Tagen diese neue fatale Verbrüderung mit der Hamas vollzogen«, sagte Dieter Graumann, der Präsident des Zentralrats, in einem Interview mit dem Deutschlandfunk, »und die Hamas ist für uns das, was sie immer war: eine mörderische, hoch kriminelle und brutale, blutige Terrortruppe«. Er habe das geplante Treffen mit dem Palästinenserpräsidenten abgesagt, um »diesem komischen Verbrüderungsprozess nicht auch noch einen Anschein von Legitimität zu verleihen«. Die Forderung, Israel müsse nun auch mit der Hamas verhandeln, wies Graumann ebenfalls zurück: »Soll Israel mit anderen darüber sprechen, wie die eigene Existenz ausgelöscht werden kann? Die Hamas-Charta sagt bis heute nicht nur, dass Israel vernichtet werden soll, sondern dass alle Juden getötet werden sollen. Die Hamas hat in Gaza ein beinhartes Regime errichtet, freiheitsfeindlich, frauenfeindlich, gegen Homosexuelle.« Etliche Mitglieder der Bundesregierung scheinen jedoch kein Hindernis für Gespräche darin zu sehen, dass zur neuen Vertretung der Palästinenser eine antisemitische Terrororganisation gehört.
Ohnehin sehen die Kanzlerin und ihr Kabinett in der jüngsten Vergangenheit in der israelischen Siedlungspolitik das weitaus größere Hemmnis für den Frieden als im Treiben der Hamas. So machte Merkel nach Angaben der israelischen Tageszeitung Haaretz dem israelischen Premierminister Netanjahu bei einem Telefonat im Februar große Vorwürfe und urteilte: »Sie haben nicht das Geringste getan, um den Frieden voranzubringen.« Im selben Monat stimmte Deutschland auch einem von mehreren arabischen Staaten in den UN-Sicherheitsrat eingebrachten Reso­lutionsentwurf zu. In diesem Antrag wurde Israel für seine Siedlungspolitik verurteilt. Außer den USA, deren Veto schließlich die Verabschiedung der Resolution verhinderte, befürworteten alle Mitgliedsstaaten den Entwurf, darunter auch Deutschland. Und im Juli 2010 hatte der Deutsche Bundestag ohne eine einzige Gegenstimme ein interfraktionelles Papier beschlossen, mit dem Israel für seinen Einsatz gegen die »Free Gaza«-Flotte verurteilt wurde – ungeachtet der Tatsache, dass ein Bündnis aus militanten Islamisten und europäischen »Friedensaktivisten« mit seinem Versuch, die Blockade des Gaza-Streifens gewaltsam zu durchbrechen, den Einsatz der isra­elischen Armee provoziert hatte.

In all diesen Fällen hat die Bundesregierung dem jüdischen Staat die Unterstützung versagt und ist stattdessen den Palästinensern entgegengekommen. Nun lehnt sie zwar die Ausrufung eines Palästinenserstaates ab, Außenminister Guido Westerwelle (FDP) bezeichnete die Hamas kurz vor dem Treffen mit Abbas als eine Organisation, »die das Existenzrecht Israels mit Gewalt infrage stellen will« und deshalb kein Verhandlungspartner sein könne. Doch eine grundsätzliche Kritik an der Einigung zwischen der Fatah und der Hamas formulierte die Bundesregierung nicht, von einer Unterstützung für Netanjahu und einer Absage des Treffens mit Abbas ganz zu schweigen. Festzustellen, dass sich der Präsident der PA mit einer »brutalen, blutigen Terrortruppe« versöhnt hat, und daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen, blieb Graumann und Netanjahu vorbehalten. Dies zeigt die tatsächlichen Präferenzen in der deutschen Nahostpolitik.