Die deutsche Wirtschafts- und Entwicklungspolitik

Armut muss sich lohnen

Die deutsche Wirtschaft soll von der Entwicklungshilfe profitieren. Das ist der wichtigste Grundsatz für Minister Dirk Niebel. Sein Ministerium betreibt deshalb einigen propagandistischen Aufwand.

Harald von Witzke hat viel zu tun. Der Agrar­ökonom von der Berliner Humboldt-Universität berät derzeit gemeinsam mit 13 anderen Wissenschaftlern die Bundesregierung bei der Vorbereitung des internationalen Kongresses »The Water, Energy and Food Security Nexus«, der im November 2011 in Bonn stattfinden soll. »Solutions for the Green Economy« verspricht die Internetseite, auf der die Konferenz vorgestellt wird. Das Ziel der Veranstaltung ist »die Entwicklung einer globalen Strategie zur nachhaltigen Wasser-, Energie- und Ernährungssicherung«. Diese sei »ein zentraler Aspekt des deutschen Beitrags zum Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung, der 2012 in Rio de Janeiro stattfindet«.

Um die globale Wasser-, Energie- und Ernährungssicherung steht es tatsächlich nicht allzu gut. »Wir rechnen damit, dass gegen Ende dieses Jahrzehnts die Preise wichtiger Agrargüter um 50 bis 100 Prozent über denjenigen liegen, die wir am Anfang des letzten Jahrzehnts gesehen haben, und das würde dramatische Folgen haben für das Ausmaß von Hunger und Mangelernährung auf der Welt«, sagte Witzke im September vorigen Jahres in einem Interview mit dem Auslandsfernsehsender der Deutschen Welle. Es sei mit »möglicherweise zwei Milliarden mangelernährten Menschen auf der Welt« zu rechnen. »Wir müssen wieder stärker auf Freihandel setzen und die Exportrestriktionen versuchen zu beschränken«, war Witzkes Lösungsvorschlag.
Das Wort »Freihandel« dürfte bei Dirk Niebel (FDP), dem Bundesminister für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit, und der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) gut ankommen. Die GIZ organisiert den internationalen Kongress in Bonn. Im Januar ging sie aus der Fusion von drei Institutionen der deutschen Entwicklungshilfe hervor, der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ), der Internationalen Weiterbildung und Entwicklung und dem Deutschen Entwicklungsdienst. Niebel ist der wichtigste Auftraggeber für die GIZ. Die GIZ trete an, »um Weltmarktführer in der internationalen technischen Zusammenarbeit zu werden«, sagte Hans Jürgen Beerfeltz, der Staatssekretär im Entwicklungsministerium, im Februar. Das Entwicklungsministerium werde »den Pfad ebnen, auf dem die GIZ zu weiteren Erfolgen finden wird.« Niebel selbst lobte die Fusion in seinem Artikel »Für eine liberale deutsche Entwicklungspolitik« in der Zeitschrift für Außen – und Sicherheitspolitik als einen »Meilenstein, um die Wirksamkeit unserer Arbeit zu erhöhen und die politische Steuerung durch das Bundesentwicklungsministerium zu stärken«.
Wie diese Arbeit aussieht, beschrieb Niebel in einem Interview mit der Zeit. »Die meisten Rohstoffvorkommen befinden sich in Entwicklungsländern«, sagte er. Es gehe darum, durch »Rohstoffpartnerschaften« an sie heranzukommen. In der Zeitschrift für Außen – und Sicherheitspolitik bemängelte er: »Es ist noch zu wenig bekannt, wie sehr die deutsche Wirtschaft und Gesellschaft von Entwicklungszusammenarbeit profitiert.«

Die Verbindung aus privatwirtschaftlichen Interessen und Entwicklungspolitik ist allerdings nichts vollständig Neues. Partnerschaften der GTZ mit Wirtschaftsorganisationen wie dem Verband der Wasserindustrie »German Water Partnership« werden schon seit Jahren gepflegt. Niebels Ministerium verstärkt mit Initiativen wie der Plattform »developpp.de« aber die Werbung für Private Public Partnerships (PPP). Bei der Zusammenarbeit von Staat und Unternehmen in der Entwicklungshilfe geht es häufig um Investitionen in die Infrastruktur und um die Privatisierung von Lebensgrundlagen – wie etwa der Wasserversorgung in Entwicklungsländern, mit der sich auch der Kongress in Bonn beschäftigen soll.
»Niebel deckt mit seinen Äußerungen nur das auf, was schon lange Realität ist. Es ist nur eine klarere Sprache«, sagt Carl Waßmuth von der Initiative »Gemeingut in BürgerInnenhand«. Bei dem Versuch, den Protest gegen die Privatisierung öffentlicher Versorgungseinrichtungen auch international zu organisieren, stieß die Initiative gerade bei deutschen Entwicklungshilfeorganisationen auf wenig Begeisterung. Von einigen habe es Waßmuth zufolge ablehnende Antworten gegeben wie: »Wir machen mit PPP schon seit Jahren tolle Sachen.«
Mitte April ging die Initiative gegen den »Global Water Summit 2011«, eine Konferenz der internationalen Wasserindustrie in Berlin, auf die Straße. Die »private Beteiligung am Wassersektor« sei durch die Finanzkrise, die Wasserknappheit im Nahen Osten und das zunehmende finanzielle Selbstbewusstsein der Entwicklungsländer zurück auf der Agenda, war in der Programmankündigung für die Konferenz zu lesen. Auch beim zweiten Vorbereitungstreffen für die Konferenz »The Water, Energy and Food Security Nexus«, das Ende März stattfand, stand »die Perspektive der Privatwirtschaft auf den Nexus aus Wasser, Energie und Ernährungssicherheit im Vordergrund der Diskussionen«. Unter anderem hielten Vertreter von Siemens, Coca Cola, Pepsi und des Weltwirtschaftsforums Referate. Eine Chance der Konferenz sei, »im Dialog mit dem Privatsektor nach Antworten auf die globale Wasserkrise zu suchen«, ließ die Bundesregierung wissen. Eine Frage sei hingegen, »wie braune Ökonomie zu etwas grünerer Ökonomie werden könnte«, sagt die Kongresskoordinatorin Imke Thiem von der GIZ. Angesichts einer weltweiten Versorgungskrise wird das Prinzip der kapitalistischen Verwertung nicht als Ursache des Problems, sondern im Gegenteil als Lösung dargestellt. Eine »grüne Revolution« soll die weltweite industrielle Landwirtschaftsproduktion ankurbeln und zugleich die ökologischen Probleme beseitigen.

Die Proteste gegen diese Politik, die auch auf dem Kongress im November propagiert werden dürfte, bleiben derzeit aber hauptsächlich darauf beschränkt, Appelle an staatliche Institutionen zu richten. Diese sollen die Macht der Industrie zähmen und die öffentliche Daseinsfürsorge nicht an die Wirtschaft übergeben beziehungsweise Privatisierungen zurücknehmen. Auch die Beschränkung auf die nationale Politik ist nach Ansicht von Waßmuth ein Problem. Wegen der bescheidenen Mittel sei es die Strategie, vor Ort die Politik der Privatisierung anzugreifen. Die entwicklungspolitische Perspektive solle aber nicht völlig außer acht gelassen werden. Waßmuth äußert die Hoffnung, dass nationale Kampagnen auch das Ansehen von PPP in der Entwicklungspolitik schädigen könnten. »Man muss sich selbst damit beruhigen, dass die Wirkung der Gegenkampagne gemessen an den Mitteln ungleich viel größer ist als die der Kampagnen der Privatisierungslobby«, sagt er.