Die Verfahren gegen linke Buch- und Infoläden in Berlin

Buchhändler müssen nicht zensieren

Eine Reihe von Verfahren gegen die Geschäftsführer linker Buch- und Infoläden in Berlin wurde in der vorigen Woche eingestellt. Die Buchhändler reagierten auf die Entscheidung mit verhaltener Erleichterung.

Mit den Einstellungsbescheiden der Staatsanwaltschaft könnte die Repressionswelle gegen linke Buchhändler in Berlin ihrem Ende zugehen. Die Buchläden »M99«, »Schwarze Risse« und »Oh 21« hatten im vergangenen Jahr mehrfach Besuch von der Polizei, die verschiedene Ausgaben der Interim beschlagnahmte. Auch wegen der Zeitschrift Prisma und eines antimilitaristischen Flugblatts wurden die Buchläden durchsucht, in einigen Fällen wurden dabei auch die Computer mitgenommen. Neu war an den Durchsuchungsbeschlüssen, dass seit Mitte vorigen Jahres nicht mehr gegen »unbekannt«, also gegen die Hersteller der Zeitungen und Flugblätter, sondern gegen die Geschäftsführer der Buchhandlungen ermittelt wurde. Sie sollen mit dem Auslegen der Schriften zu Straftaten aufgerufen und gegen das Waffengesetz verstoßen haben.
Dieses Vorgehen der Staatsanwaltschaft läuft der bisherigen Rechtsprechung zuwider. Bislang müssen Buchhändler nicht den Inhalt der von ihnen vertriebenen Bücher und Zeitschriften prüfen, da angenommen wird, dass sie dafür weder die notwendige Zeit noch die rechtlichen Kenntnisse haben. In den achtziger Jahren hatte der Bundesgerichtshof entschieden, dass Buchhändler nicht für die Inhalte ihres Sortiments verantwortlich gemacht werden können. Vor mehr als zehn Jahren endete ein Prozess gegen zwei Hamburger Buchhändler mit einem Freispruch. Auch diesen hatte die Staatsanwaltschaft vorgeworfen, durch das Angebot der Interim zu Straftaten aufzurufen. Da den Angeklagten keine Kenntnis der fraglichen Ausgabe der Interim nachzuweisen war, forderte schließlich sogar die Staatsanwaltschaft ihren Freispruch.

Zur Unterstützung der Berliner Buchhändler gründete sich die Initiative »unzensiert lesen«. In einem Solidaritätsaufruf vom November 2010 kritisierte sie, dass Buchhändler »zukünftig für die Inhalte der Schriften haftbar gemacht werden sollen, die sie vertreiben«. Dies würde »nicht nur eine enorme rechtliche Verunsicherung« für die Buchhändler bedeuten, sie wären darüber hinaus auch »permanent von Kriminalisierung bedroht«. Diese Erklärung haben bisher mehr als 1 300 Personen und Initiativen unterzeichnet, darunter das italienische Autorenkollektiv Luther Blisset und zahlreiche Verlage.
Die Initiative unterstützte auch Frank C., den Geschäftsführer des Buchladens »Oh 21«, als im Februar der erste Prozess gegen ihn eröffnet wurde (Jungle World 09/11). Schon am zweiten Verhandlungstag Anfang März stellte der Richter das Verfahren wegen Geringfügigkeit (§153 StPO) ein.Wenige Tage später bot die Staatsanwaltschaft den Buchhändlern auch die Einstellung der anderen noch laufenden Verfahren an. In das Warten auf die schriftliche Bestätigung fiel dann eine Serie der Berliner Boulevardzeitung B.Z. über die autonome Szene in Berlin (Jungle World 17/11). Bereits im zweiten Teil der Serie »Die Krawall-Maschinerie« wurden diverse Initiativen, die ihren Sitz im Mehringhof in Kreuzberg haben, als Zentren eines »perfekt organisierten« linksextremen Netzwerks ausgemacht, unter anderem wurden der Buchladen »Schwarze Risse« und der Anwalt des Geschäftsführers Sven Lindemann erwähnt. Bei ihrer Beschreibung des Buchladens gelang es der B.Z.-Autorin, gleich drei Fehler in einem Satz unterzubringen: Weder ist Friedhelm R. der Besitzer des Buchladens »Schwarze Risse«, dessen Geschäftsführer er vielmehr ist, noch steht er derzeit vor Gericht, und die »Szene-Zeitschrift« Interim wird dort auch nicht verkauft, weil sie nämlich gar nichts kostet. Eine Gegendarstellung zu dieser Passage wurde von der B.Z. nicht abgedruckt.

In der vergangenen Woche trafen bei allen Geschäftsführern der Buchläden Briefe ein, die bestätigten, dass mehrere Verfahren eingestellt wurden. Über die Gründe dafür wird bei den Unterstützern der linken Buchhändler ebenso spekuliert wie über die ursprüngliche Motivation von Polizei und Staatsanwaltschaft, die Buchläden überhaupt zu behelligen. Auch die Initiative »unzensiert lesen« beschäftigt sich noch mit den Hintergründen der Entscheidung. Ging es den »Staatsschutzbehörden« nur darum, »Informationen über die Läden, ihre Betreiber und ihre Kundschaft zu sammeln«? Scheiterte die Staatsanwaltschaft »an der mangelhaften Beweislage oder dem Druck der liberalen Öffentlichkeit«? Fest steht für die Aktivisten, dass »die Kriminalisierung der Buchläden als Teil linker Infrastruktur« sowie die Diskreditierung »der Gegenöffentlichkeit« und »politischer Inhalte und Aktivitäten« das Ziel der strafrechtlichen Verfolgung gewesen sei. Dies sei nicht gelungen.

Allerdings sind gegen die Geschäftsführer von »M99« und »Schwarze Risse« noch Verfahren wegen der Interim anhängig. Christoph Kliesing, Anwalt des »M99«-Betreibers, wollte für seinen Mandanten keine Prognose abgeben, solange die Entwicklung offen ist. Sven Lindemann, der Anwalt von »Schwarze Risse«, geht jedoch davon aus, dass auch die anderen Verfahren gegen seinen Klienten eingestellt werden. Gegen den Geschäftsführer von »Oh 21« sind schon alle Verfahren eingestellt worden. Sein Anwalt Ulrich von Klinggräff wertete das als Beleg dafür, dass die Staatsanwaltschaft sich geirrt habe und inzwischen einsehe, dass gegen die Buchhändler keine Verurteilungen zu erreichen seien. Die Einstellungen könne man als Bestätigung der bisherigen Rechtsprechung verstehen, die Buchhändlern keine Prüfungspflicht ihres Sortiments vorschreibt. Die Prozesse enden also möglicherweise relativ unspektakulär. Den Buchhändlern und ihrer Kundschaft kann das nur recht sein. Doch so ganz traut man dem Frieden nicht. Im Rahmen der linken Buchtage, die Anfang Juni im Mehringhof stattfinden, ist auch eine Informations- und Diskussionsveranstaltung zum Stand der Prozesse geplant.