Elektropunkband Egotronic wird 10. Brauchen wir sie noch? Weiter raven gegen Deutschland!

Das ist die richtige Einstellung

Die Band Egotronic hat sich in den vergangenen zehn Jahren dadurch verdient gemacht, dass sie einer neuen, jungen, antinationalen Generation den Soundtrack lieferte und es zum coolen Ding werden ließ, gegen Deutschland zu raven.

Mit Erinnerungen und Rückblicken ist das so eine Sache, denn sobald ein wenig Zeit vergangen ist, setzen die Verklärungen ein: Aus pubertierendem, suburbanem Abgehänge bei Hasch und Dosenbier wird schnell die einmalig magische Jugendzeit, aus dem existenziellen bis lebensbedrohlichen Liebeskummer eine belächelte, naive Irrung, und so stabil und geschmackssicher wie heute war man natürlich sowieso schon immer. Daher bin ich vorsichtig und behauptete besser nicht, ich sei ein glühender Egotronic-Fan der ersten Stunde, denn als ich irgendwann, es muss ungefähr 2003 gewesen sein, das erste Mal mit dem damals noch recht enervierenden 8bit-Gedudel konfrontiert wurde, war mir Egotronic musikalisch eher egal, lediglich die Attitüde gefiel mir, und der Habitus passte zur Adorno-Lektüre, dazu, Israel nicht mehr als Schurkenstaat zu sehen und linke Säulenheilige doof zu finden, und zu meinen Sympathien für die Pop-Antifa.
Elektronische Musik war zu dieser Zeit normalerweise unpolitisch, lediglich eine Handvoll Akademikerjungen reproduzierten die ausgeleierten Rave-Mythen der neunziger Jahre. Höchstens beim Gabba, dem bereits im Koma befind­lichen Drum’n’Bass und beim Breakcore tummelten sich einige dezidiert Linke. Der Rest hörte die Helden von früher, Quetschenpaua oder den in jeglicher Hinsicht austauschbaren Politpunk, zumindest kam mir das alles ziemlich öde und uninspiriert vor.

Es war also Zeit für Musik, die einerseits mit den linken Musikkonventionen brach und gleichzeitig Abscheu gegenüber einem neuen Deutschland formulierte, das seine geopolitischen Interessen emphatisch vertrat, deutsche Tugenden keine 60 Jahre nach dem industriellen Massenmord stolz bejubelte, nebenbei noch die Shoah geschickt europäisierte und bei Länderspielen der deutschen Fußballnationalmannschaft einen euphorischen Umgang mit den Nationalfarben pflegte. Es war also ganz klar Zeit für Egotronic, die Gruppe mit dem Sänger, dessen exzessives Tourleben und derangierte Beweisfotos von einer gesunden Mischung aus auf den Punkt gebrachter Aussage und sympathisch-kaputter Selbstzerstörung durch Substanzen jeglicher Couleur zeugten und auch heute noch zeugen.
Im Laufe der Zeit entwickelte sich Egotronic also zur antideutschen Vorzeigeband, die dafür vom bauchlinken Indymedia-Mob gehasst und angefeindet wurde. Vor allem aber entstand ein besseres, massenkompatibles musikalisches Gewand für die feinen Reime, die Torsun dem »deutschen Volk« entgegenbrüllte. »Exportschlager Leitkultur« war der erste Track, der auch dank des fast gleichzeitig erschienenen Gassenhauers »Ten German Bombers« ein größeres Publikum erreichte. Nicht nur die Kids aus dem Jugendzentrum mit der ohnehin schon richtigen Einstellung kamen nun zu den Konzerten, sondern auch die ein bisschen Linken, Ex-Mediengruppe-Telekommander-Fans, ja selbst Indies raveten irgendwann gegen Deutschland.

Daher kann man die agitatorischen Verdienste Egotronics gar nicht genug würdigen. Denn wenn eine Halle mit 1000 euphorisierten Kids gemeinsam »Raven gegen Deutschland« brüllt, ist das mehr als eine gut mitgrölbare Formel und plakative Koketterie, vor allem aber auch nicht, wie gerne von »entsetzten« Langweilerbloggern unterstellt wird, ein faschistoides Massenerlebnis, sondern es ist im Jahr 2011 der einzig denkbare Schritt, politische Inhalte zu vermitteln oder zumindest eine Voraussetzung zu schaffen, damit eine Beschäftigung mit den Verhältnissen angestoßen wird, ohne dabei einen streberhaften Eifer an den Tag zu legen oder die pseudo-intellektu­ellen »Protestsong«-Inhalte nur für das Bürgerkind an der Uni mit seiner KuWi-Begriffsmontur rezipierbar zu machen.
Man kann und muss Egotronic und dem internetsüchtigen Sänger Torsun (Gibt es einen Musiker, der mehr bloggt und bei Facebook die Fans konstanter mit Updates aus seinem Leben auf dem Laufenden hält? Wohl kaum!) gratulieren, dass sie es geschafft haben. Sie sind ihren Weg kompromisslos (siehe: zahlreiche Absagen an Locations, die rechtsoffene Idioten spielen ließen) und solidarisch (siehe: zahlreiche Soli-Konzerte zum Beispiel für antifaschistische Gruppen) gegangen und haben neue, verdammt junge Fans hinzugewonnen. Vor allem aber haben sie sich musikalisch so entwickelt, dass ich jetzt mit ru­higem Gewissen behaupten kann, Egotronic-Fan zu sein. Daher gratuliere ich Endi, Tili und Torsun an dieser Stelle ganz herzlich und freue mich auf die nächsten zehn Jahre!