Machtkampf im iranischen Regime

Ein Mahdi wird kommen

Im Iran spitzt sich der Machtkampf zwischen Mahmoud Ahmadinejad und dem religiösen Führer Ali Khamenei zu. Die Fraktion des iranischen Präsidenten fürchtet um ihre institutionelle Macht.

Ein Minister tritt zurück. Er besitzt nicht mehr das Vertrauen des Regierungschefs. So etwas kommt in den besten Regierungen vor. Nur: Es ist der Geheimdienstminister der Islamischen Republik Iran, und der Regierungschef heißt Mahmoud Ahmadinejad. Gemessen an konventionellen Maßstäben wird ein solcher Vorgang also kaum »normal« ablaufen. Und so war der Geheimdienstminister, den Ahmadinejad loswerden wollte, nach einigen Stunden wieder oder immer noch Geheimdienstminister, dank der Intervention des religiösen Führers Ali Khamenei. Woraufhin der Präsident sich entschloss, öffentlich zu trotzen, und elf Tage lang die eigenen Kabinettssitzungen boykottierte sowie offiziellen Terminen fernblieb. Nachdem eine Delegation des Parlaments beim Präsidenten vorstellig geworden war und diverse Mahnworte des religiösen Führers gesprochen waren, entschloss sich Ahmadinejad schließlich, weiter zu regieren. Was nun bei der nächsten Kabinettssitzung genau geschah, darüber gehen die Meinungen, je nach politischer Fraktion, auseinander. Auf den offiziell verbreiteten Fotos war der Geheimdienstminister jedenfalls nicht zu sehen.

Es folgten mehrere Verhaftungen und drohende Worte der Chefs der Revolutionsgarden sowie radikaler Kleriker, schließlich Sprechchöre beim Freitagsgebet, die Gegnern Khameneis den Tod wünschten. Alles gar nichts Ungewöhnliches im Iran, nur dass es diesmal gegen Ahmadinejad ging. Zu den Verhafteten sollen Journalisten gehören, die für Ahmadinejad nahestehende Websites schreiben. Offiziell bestätigt wurde die Verhaftung Abbas Amirifars, eines Klerikers, der die »Kulturkommission« des Präsidentenbüros leitete, sowie einer obskuren Gestalt namens Abbas Ghaffari, von dem der Teheraner Generalstaatsanwalt zu berichten wusste, er beschäftige sich mit dem Herbeirufen von Jinns, mit Geisterbeschwörung also. Mittlerweile heißt es, Ghaffari habe sich nicht nur mit der Wahrsagerei beschäftigt, er sei auch politischer Berater Ahmadine­jads gewesen. Außerdem sei Ghaffari der Sohn und Bruder von Prostituierten, ein Satanist und eigentlich Jude. Dass er für seine Zauberei im präsidialen Auftrag mit einer Bewährungsstrafe davonkommt, ist also kaum zu erwarten. Dem anderen Verhafteten, Abbas Amirifar, wird die Miturheberschaft am Dokumentarfilm »The Coming Is Near« zur Last gelegt, der seit Monaten auf DVD verbreitet wird. Darin wird das Erscheinen des Mahdi angekündigt, des schiitischen Messias, zu dessen Vorboten gemäß den apokryphen Überlieferungen nicht nur Khamenei und der Anführer der Hizbollah, Hassan Nasrallah, gehören sollen. Zu ihnen zählt auch ein eher schmächtiger Mann mit dünnem Bartwuchs. Man errät schnell, wer da als künftige rechte Hand des Mahdi präsentiert wird, und ahnt, warum Khamenei der Film nicht gefallen konnte.

Hinter diesen bizarren innenpolitischen Entwicklungen in Teheran verbirgt sich ein Machtkampf. Und zwar einer, in dem Ahmadinejad eine herbe Niederlage erlitten hat. Vielleicht sogar eine entscheidende – jedenfalls wenn der Mahdi nicht doch noch eingreift.
In den ersten Wochen und Monaten nach der Wahl vom Sommer 2009 zeigte sich Ahmadinejad als erstaunlich schwache Figur, die sich nach dem Ausbruch der Proteste zuerst einmal zurückzog. Ein Jahr später, nach der Unterdrückung der Straßenproteste der Grünen Bewegung, manövrierte er seine »konservativen« Kritiker im Parlament konsequent aus. Khamenei hatte sein eigenes Schicksal so eng an das Ahmadinejads geknüpft, dass dieser regelrechte Narrenfreiheit erlangt zu haben schien. Nun dürfte der Punkt erreicht sein, an dem Khamenei und die Konservativen glauben, dieses Bündnis demonstrativ lockern zu können – und zu müssen.
Der Kampf kulminiert dabei in dem Streit um die Person Esfandiar Rahim Mashais, eines entfernten Schwagers von Ahmadinejad, der Chef seiner Präsidialverwaltung und mittlerweile auch noch außenpolitischer Sonderemissär ist. Mashai ist ziemlich unbeliebt beim Klerus und vor allem bei den konservativen Kräften, die hinter Ali Khamenei stehen. Der erste bemerkenswerte Machtkampf zwischen Ahmadinejad und Khamenei fand im Herbst 2009 statt, als Mashai zum Entsetzen der Konservativen zum ersten Vizepräsidenten gekürt wurde. Nach einer Intervention Khameneis verzichtete Mashai schließlich auf den Posten, um zum Leiter der Präsidialverwaltung mit erweiterten Befugnissen berufen zu werden.
Ahmadinejad und Mashai sind jedenfalls eng verbunden. Inwieweit Ahmadinejad und seine Entourage tatsächlich den Mahdi erwarten und wo hier die Grenzen zwischen Propaganda, Kalkül und Wahn liegen, ist allerdings schwer zu beurteilen. Die Auftritte Mashais wirken jedenfalls, im Gegensatz zu Ahmadinejads Ausfällen, äußerst kalkuliert, genauso wie sein Spiel mit Elementen des iranischen Nationalismus, mit dem er die Konservativen in den vergangenen Monaten gezielt provoziert hat. Und während sich die Blicke aller Beteiligten auf die für nächstes Jahr angesetzten Parlaments- und die ihnen folgenden Präsidentschaftswahlen richten, sammelt auch Mashai angeblich schon Spenden für eine Kandidatur – Ahmadinejad selbst kann nach zwei Amtszeiten nicht erneut kandidieren. Allerdings ist es kaum vorstellbar, dass der Wächterrat, dem es obliegt, die Kandidaten zu benennen, die Kandidatur Mashais genehmigt. Ahmadinejad verkündete jedoch jüngst, der Mahdi habe den nächsten Präsidenten bereits bestimmt.

Ausgelöst wurde die Krise möglicherweise durch die Entdeckung von Abhöreinrichtungen bei Mashai, möglicherweise war es aber auch die versuchte Entfernung eines wichtigen Anhängers Ahmadinejads aus der Führungsetage des Geheimdienstministeriums. Die Fraktion um Ahmadinejad muss ihre institutionellen Machtposi­tionen sichern. Hinter dem religiösen Führer stehen in diesem Konflikt die Führung der Revolu­tionsgarden, die Konservativen im Parlament und die radikalen Kleriker. Ahmadinejad hat neben direkten Günstlingen mutmaßlich eher mittlere Offiziersränge und Teile des verarmten Kleinbürgertums auf seiner Seite, das er offensichtlich mit nationalistischen Untertönen anzusprechen hofft. Jedoch weiß niemand so genau, wie groß diese Unterstützung ist. Von den geschassten »Reformern« wird Ahmadinejad kaum Unterstützung erwarten können.
Und die Grüne Bewegung? So plötzlich, wie sie mit den Protesten der Studenten im Februar wieder auftauchte, so plötzlich verschwand sie wieder. Doch sie kann jederzeit wieder sichtbar werden. Das macht die Streitereien innerhalb des Establishments umso weltfremder. Die Demonstranten des Sommers 2009 stehen dem innenpolitischen Machtkampf wie stumme Zuschauer gegenüber. Weder die eine noch die andere Seite stellt für sie eine Option dar.