Über den Web-Comic »Hipster Hitler«

Heil Hipster!

Ein US-amerikanischer Internet-Comic zeigt Adolf Hitler als selbstverliebten Hipster.

Adolf kommt mit dem Fahrrad aufs Schlachtfeld, interessiert sich mehr für coole T-Shirts als für Kriegsführung, und beim Berliner Nachbau von Hollywoods »Walk of Fame« werden auch jüdische Filmschaffende geehrt. Absurde Geschichten wie diese erzählen die Comics auf der Website www.hipsterhitler.com seit August 2010, und die Nachfrage ist beachtlich. Nach Angaben der Website-Macher haben sich schon mehr als 3,5 Millionen Besucher durch die kurzen Stories geklickt. Ihre Komik beziehen die Comics allerdings nicht in erster Linie aus dem Umstand, dass der gezeichnete Hitler unterbelichtet ist, sondern vor allem daraus, dass er Diktator und Hipster in Personalunion ist – was der Name der Seite ja bereits deutlich macht.
Der Begriff des »Hipsters« ist inzwischen dermaßen negativ besetzt, dass es weltweit vermutlich keinen einzigen Menschen gibt, der sich selbst als Hipster bezeichnet. Aber wenn man einen sieht, erkennt man ihn sofort. Hautenge Hose, gestreifter V-Ausschnitt-Pullover, Bart, Nerd-Brille und Jute-Beutel? Hipster! Die weibliche Variante sieht so ähnlich aus, trägt manchmal auch Kleid. Hipster verbringen Stunden damit, so auszusehen, als ob sie keinen Wert auf ihr Äußeres legen. Sie geben sich als Mega-Individualisten, sehen aber alle gleich aus. Generell gilt: Das Hipstertum ist ein mehrheitlich von Mittelschichtlern zelebrierter, extrem konsumorientierter Lifestyle, bei dem es vor allem darauf ankommt, früher als alle anderen über modische, musikalische, kulinarische oder sonstige Trends Bescheid zu wissen, dieses Wissen zur Schau zu stellen und sich so gegen den Mainstream abzugrenzen.
Pierre Bourdieus Arbeiten über symbolisches Kapital und Distinktionsgewinne werden in diesem Zusammenhang diskutiert, z.B. 2009 auf dem Kongress »What was the Hipster?« in New York. Kreativ sind Hipster eher nicht, die Entscheidung für einen Stil oder eine Marke wird bereits als eine Art Kunst verstanden. Die Trends entdecken sie auf der Straße, in Clubs und Magazinen, die schnelle Verbreitung erfolgt – natürlich – übers Internet.
Erstmals taucht der Begriff Hipster in den vierziger Jahren in den USA auf. Damals bezeichnet er schwarze Anhänger des Jazz, die sich über Sprache, Kleidung und Musik eines Codes bedienen, den nur sie verstehen können. In den fünfziger Jahren gibt es weiße Hipster, die den schwarzen Hipster-Lifestyle kopieren. Die Neo-Hipster bevölkern im Zuge der Reurbanisierung Ende der neunziger Jahre Brooklyn und die Lower East Side in New York.
Es sind weiße, junge Mittelschichtler, die in dieser Zeit ironisch und nostalgisch mit der Ästhetik des White Trash und der Vorstadtkultur ihrer Kindheit spielen – Pornobrillen, Truckerhüte, Unterhemden gehören zum Standard-Outfit. Von einigen der Alteingesessenen – das sind vor allem jüdische und lateinamerikanische Communities – werden die Neuankömmlinge und deren zur Schau gestellte weiße Kultur als aggressiv empfunden, ihr Auftauchen symbolisiert den Beginn oder den Höhepunkt städtischer Verdrängungsprozesse. Heute gehören Hipster von Brisbane bis Berlin zum Stadtbild. Vorherrschender Modestil ist ein Mix, der sich bei allen möglichen als rebellisch geltenden Subkulturen bedient.
Am Hipster lässt sich also eine Menge aussetzen, das sehen auch die Macher von www.hipsterhitler.com so. Es handelt sich bei ihnen um den 24jährigen JC und die 23jährige APK. Ihre richtigen Namen verraten die US-Amerikaner nicht, denn sie möchten, dass ihre Website unabhängig von den Personen bewertet wird – außerdem finden sie die Anonymität cool. »Es ist mit Sicherheit nicht erstrebenswert, ein Hipster zu sein«, sagt APK. »Sie werden ja nicht ganz zu Unrecht wegen ihres Snobismus und ihrer Selbstgefälligkeit von vielen Menschen abgelehnt. Die Ziele unserer Satire sind aber zu gleichen Teilen der Hipster und Hitler, beide Figuren sind in den Comics eng miteinander verschlungen. Wir zeigen gleichzeitig, wie wahnsinnig Hitler war und wie lächerlich es für eine Subkultur ist, bloß keine Subkultur sein zu wollen, immer auf der Suche nach dem Nicht-Angepassten zu sein und aus dem vermeintlich Authentischen einen Fetisch zu machen.«
Ihnen ist bewusst, dass ihre Geschichten Irritationen auslösen können: »Es ist nicht unsere Absicht, Hitlers Verbrechen zu verharmlosen«, sagt JC. »Seit Charlie Chaplins ›Der große Diktator‹ haben sich doch viele Komiker über Hitler lustig gemacht. Über einen grausamen Mann wie ihn zu lachen, kann sehr erleichternd sein, einen kathartischen Effekt haben. Wir denken, dass es dieser immer noch sehr einschüchternden Figur viel Kraft nimmt, wenn man sie lächerlich macht.«
Auf den ersten Blick sieht die Website nach einer witzlosen Provokation aus. Es werden Buttons mit den Slogans »Save the Panzer« und »Stalingrad – Class of 1943« zum Kauf angeboten, in einem Reichsadler-Wappen prangt statt des Hakenkreuzes das Twitter-Logo.
Der schlechte Eindruck relativiert sich aber beim Blick ins Archiv, in dem mehr als 40 Cartoons zu finden sind. In vielen Fällen gelingt der Doppelangriff überraschend gut.
Etwa, wenn der Hipster-Hitler es für nicht ausreichend originell hält, in Polen einzumarschieren, weil die Schweden das schon 1626 gemacht haben. Amüsant sind auch die T-Shirts, die der selbstverliebte Diktator trägt. Die typischen Retro-/Slogan-/Film-/Band-Shirts der Szene werden originell »hitlerisiert«: »It’s my Partei and I’ll Heil if I want to«, »Vegetaryan«, »1941: a race odyssey«. Bedenklich ist die Entscheidung, diese T-Shirts kommerziell zu vertreiben. Jemand, der mit so einem T-Shirt herumläuft – also bewusst auf den erklärenden Kontext der Website verzichtet –, kann eigentlich nur ein stumpfer Provokateur oder ein geschichtsloser Ignorant oder beides sein – und sollte sich nicht wundern, wenn nicht jeder auf sein Kleidungsstück mit dem anerkennenden Kommentar reagiert: »Ach, Hipster-Satire? Cool!«
Und es muss auch gesagt werden: Eindeutig zu viele Geschichten auf www.hipsterhitler.com laufen glatt ins Leere, die Grundidee hat nicht allzu viel Potential. Eine Einschränkung haben sich APK und JC selbst auferlegt: »Der Holocaust wird niemals ein Thema sein«, sagt APK. »Schließlich wollen wir uns nicht über die Opfer der Nazi-Gräuel lustig machen. Wir bieten lieber einen weiteren Grund, Hitler zu hassen.« Den hätte es jetzt nicht unbedingt gebraucht, aber www.hipsterhitler.com liefert auch so genug Komisches.