Berlin Beatet Bestes

Shein bistu shein

Berlin Beatet Bestes. Folge 95. The Barry Sisters: Eishes-Chiyell (1959).

Als meine Freundin und ich und ein paar andere Swing-Fans unlängst im Tempelhofer Park tanzten, legte ich auch den Song »Eishes-Chiyell« der Barry Sisters auf. Während zu dem flotten Swing getanzt wurde, schienen sich alle zu fragen: Was ist das für eine Sprache? Nur eine Frau aus unserem Tanzkurs bemerkte: »Ich kenne dieses Lied! Und ich verstehe sogar den Text.« Das hat mich gefreut. Die hochgewachsene Blonde hatte ich bisher für russlanddeutsch gehalten, nicht aber für eine Jüdin.
Vor dem Holocaust gab es neun Millionen jiddisch sprechende Juden, heute sind es nur noch 3 Millionen; die Mehrheit davon sind chassidische Juden in Israel und den USA. In Deutschland ist das Jiddische ausradiert. Eine gewisse Ratlosigkeit gegenüber dieser Platte habe ich über die Jahre hinweg immer wieder feststellen können. Auch die Kombination von moderner Swingmusik und eher traditionellem Jiddisch, die Verbindung von Klezmer und Jazz, gibt Rätsel auf. Und doch hat es in den späten dreißiger Jahren einen kurzlebigen Boom des jiddischen Swing gegeben. Ausgelöst wurde er von einer auf Englisch gesungenen Swing-Version von »Bei Mir Bistu Shein« der Andrews Sisters, die sich über eine Million mal verkaufte. Unmittelbar nach diesem Erfolg wurde in New York die Radiosendung »Yiddish Melodies In Swing« ins Leben gerufen, die sich ganz dieser neuen Fusion widmete. Als Hauptact traten die Geschwister Claire (Jahrgang 1923) und Myrna Bagelman (Jahrgang 1925) als die Bagelman Sisters regelmäßig in diesen Liveshows auf und begeisterten mit ­ihren nahtlos zwischen Jiddisch und Englisch wechselnden Songs das Publikum. Anstatt die jiddische Kultur in den Mainstream einzuschleusen, verband diese Sendung eine junge Genera­tion amerikanischer Juden wieder mit einer älteren, musikalischen Tradition. Die Bagelman Sisters nahmen 1939 ihre erste Schallplatte »Bist Main Welt/A Yiddish Lied« für RCA Victor auf. Mit Abe Ellstein und seinem Orchester, das sie auch gut 20 Jahre später auf der vorliegenden Platte begleitete, spielten sie 1940 eine erste swingende Version des traditionellen Lieds »Eishes-Chiyell« ein, was so viel heißt wie »Die heldenmutige Frau«. Anfang der vierziger Jahre nahmen sie dann schon als Barry Sisters eine jiddisch gesungene Version von »Bei Mir Bistu Shein« auf. Als zwei der wenigen amerikanischen Künstler tourten sie in den fünfziger Jahren auf dem Höhepunkt des Kalten Kriegs durch die Sowjetunion und gaben der verfolgten und verängstigten jüdischen Minderheit neuen Mut. Auch nach Berlin kamen die Barry Sisters 1963 zur Funkausstellung, überrascht, dass sie auch in Deutschland mit »Yes My Darling Daughter« einen Hit hatten.
Auf dieser holländischen EP, die aus der Roulette-LP »At Home With The Barry Sisters« ausgekoppelt ist, singen die Sisters sowohl traditionell gefärbte als auch neu eingespielte Swing-Versionen ihrer alten Hits. Myrna Barry starb 1976, Claire Barry tritt, mittlerweile 88jährig, immer noch gelegentlich auf.