Über den Film »Wadans Welt«

Wir sind Werft

»Wadans Welt« schildert die traumatische Erfahrung des Ausgeschlossenwerdens von der Lohnarbeit.

Zwei Schwäne vor einem Schiffsrohbau. Eine Frauenstimme aus dem Off erzählt die Sage des germanischen Gottes Wotan. Es ist die Geschichte von einer möglichen neuen Welt.
Eine bessere Zukunft wurde auch den Arbeitern der Wodan-Werft versprochen, eingelöst wurde das Versprechen nicht.
An einem Deckenkran wird das mächtige Heckteil eines Stahlrumpfes durch eine riesige Schiffbauhalle transportiert. Laute Warnsignale, das Geräusch von Stahlseilen, die über Rollwinden laufen. Dazu Hämmern, das Zischen von Schweißgeräten, laute Rufe. Fünf Kamera- und drei Tonleute haben in anderthalb Jahren 130 Stunden Filmmaterial aufgenommen, in den Schiffbauhallen und auf dem Werftgelände, in den Büros der Vorstände und Eigner und bei den Werftarbeiterm zu Hause.
Im Umkleideraum sehen wir den Schweißern Roland und Krischan dabei zu, wie sie sich schweigend umziehen und für die Arbeit fertigmachen. Die abgewetzte Wand ist mit Sexpostern tapeziert. Der Film zeigt den Alltag der Männer, aber er kommentiert ihn nicht. Wie reagieren Männer, wenn sie in ihrem Alltag in der Industrieproduktion keine Frauen als Kolleginnen erleben? Fördert dies einen abwertenden Blick auf Frauen? Die Pornobilder sind ein beredter Ausdruck davon.
Der Film begleitet Roland und Krischan bei der Arbeit. Sie schweißen aus Stahlplatten Sektionen für Schiffe zusammen. Beim Schleifen sprühen Funken, der Metallstaub lässt sich förmlich riechen, so nah ist die Kamera dabei. Der Ton wird in diesem Film zu einem großartigen Erlebnis, es ist vor allem die Geräuschkulisse der Arbeit. Manchmal schreien die Schiffbauer fast, wenn sie sich verständlich machen wollen. Sie kriechen durch enge Öffnungen in die Schiffsteile, um die Schweißnähte zu kontrollieren. Beim Schweißen tragen sie einen Kopfschutz und einen Schweißschutzschirm. »Das grelle Licht vom Schweißen kann dir ganz schnell die Augen verblitzen, das schmerzt«, sagt ein junger Schiffbauer. Krischan wird gezeigt, wie er vor einem gigantischen Stahlblock eine kurze Pause macht: »Nach 27 Jahren hast du Probleme mit Knien, Armen, den Gelenken. Das ist eine Knochenmühle hier«. Krischan ist aber stolz darauf, durchzuhalten. »Zum Schiffbauer musst du geboren sein«, schnauft er.
Wenn die Kamera in der Totale die Schiffbauhalle zeigt, wo tonnenschwere Stahlbauarbeiten am Kran durch den Raum gezogen werden, wirken die Arbeiter sehr klein. Die schwere Industriearbeit, der Lärm, der Schmutz, die ständigen Gefahren sind beeindruckend in Szene gesetzt. Ebenso die Arbeiten der Schiffbauer. Es ist verblüffend anzusehen, wie drei Schweißer gemeinsam eine tonnenschwere Stahlplatte mithilfe eines Deckenkranes millimetergenau an die auf dem Schiffboden markierte Stelle bugsieren und gekonnt mit Halterungen als Kabinenwand anschweißen. Da wird mit dem Fuß etwas nachgeholfen, ein Schweißer bückt sich noch einmal schnell unter der schwebenden Stahlplatte hindurch – alles sitzt und passt.
Anfänglich wollte Regisseur Dieter Schumann einen Film über den Bau der größten Passagierfähre der Welt drehen. Dafür bekam er die Genehmigung, auf dem Werftgelände in Wismar zu filmen. Der erste Teil der Dokumentation besteht aus diesen Bildern. Die Werft hieß damals, 2008, Aker Yards, wurde aber vom Aker-Konzern an die russische Investmentgesellschaft FLC West verkauft. Andrei Burlakow, Chef von FLC, ist zu sehen, wie er sich auf einer Betriebsversammlung als neuer Inhaber vorstellt. Wadan ist der russische Name für Wotan, erklärt er, Wadan Yards werde die Werft ab sofort heißen. Wadan Yards, das soll nach Stärke klingen, vielleicht auch germanisch.
Die Kameraleute haben gefilmt, was in den Nachrichten nicht vorkommt: Die skeptischen Gesichter der Schiffbauer, ihre Gespräche nach der Versammlung auf dem Weg zurück zur Arbeit. Als schöne Brechung der Nachrichtenbilderproduktion erscheint es, wenn sich Filmteams von Fernsehsendern um Burlakow aufbauen, der sich vor der fast fertigen Fähre aufnehmen lässt und etwas von prosperierendem Schiffbau erzählt. Ein Glücksfall, dass sich Burlakow gerne öffentlich inszeniert, so kann weiter auf der Werft gefilmt werden. Auch als er das Moskauer Büro von Wadan Yards eröffnet, sind die Kameras dabei. Ein Staatssekretär Mecklenburg-Vorpommerns überreicht einen albernen Miniaturstrandkorb, Burlakow schwadroniert von glänzenden Gewinnaussichten.
Auf der Wadan Werft gibt es die ersten Stapelläufe für nach Russland verkaufte Schiffe. Dann bricht mit der Finanzkrise der internationale Markt für Schiffsbaufinanzierung zusammen. Die weltweit größte Bank für Schiffsfinanzierung wird geschlossen.
Die größte Fähre der Welt wird nicht weitergebaut, Wadan Yards geht das Geld aus: Aufträge werden storniert, fertige Schiffe nicht abgenommen. Die Containerfrachtraten sinken, es werden keine Schiffe mehr gechartert.
Regisseur Schumann schlägt der Schiffbauergruppe vor, dennoch weiterzudrehen: einen Film über die Auswirkungen der Krise auf die Werft. Schumann ist selbst sechs Jahre zur See gefahren, hat bei der Defa und dem DDR-Fernsehen das Handwerk des Dokumentarfilmers gelernt. Er kommt selbst aus Mecklenburg und redet wie die Schiffbauer. Nach kurzer Diskussion willigen sie ein, die Geschäftsführung wird wohl auch zugestimmt haben. So entsteht die beinahe einmalige Situation, dass ein Dokumentarfilm über die Schiffbauer nicht erst mit der Insolvenz beginnt, sondern schon vorher, und dass beim Ausbruch der Krise schon ein Vertrauensverhältnis besteht.
Auf einer Betriebsversammlung erklärt der Insolvenzverwalter, dass von August 2009 an kein Insolvenzgeld mehr da ist. Profiling sei jetzt das Gebot der Stunde: Wer könne was wie gut, welche Betriebsteile seien wie profitabel? So ließe sich vielleicht ein Käufer finden, andernfalls seien ab August alle arbeitslos. Die anfängliche Wut auf den Insolvenzverwalter verwandelt sich in Ohnmacht. Das Entsetzen steht den Schiffbauern ins Gesicht geschrieben, als sie im Pausenraum zusammensitzen. Was können wir machen, fragen sie sich. Wenn es hier weitergeht, dann bestimmt nur zu schlechteren Bedingungen, sagt einer: Statt 17 gibt es dann vielleicht noch acht Euro. Krischan: »Ich komm’ trotzdem, was soll ich denn sonst machen?«.
Monatelang liegt die Werft still. Am Werkstor hängt ein Transparent: »Wismar ohne Werft ist wie Ostsee ohne Fische!« Schwarzer Trauerflor weht an den Kaikränen. In Wismar ist die Werft der einzige große Betrieb, aus jeder dritten Familie der Stadt mit 45 000 Einwohnern arbeitet jemand auf der Werft. Auf einer Demonstration durch die Stadt steht auf Plakaten: »Wir sind Werft!«
Die Betriebsratsvorsitzende beschwört den sozialen Frieden, der bei einer Schließung gefährdet sei. Auf einer Sitzung des Betriebsrates würgt sie resolut zaghafte Vorschläge für eine Werksbesetzung oder eine Autobahnblockade ab: »Wir sind hier nicht in Frankreich!«
Die Schiffbauer werden nun in ihrem Zuhause gezeigt. Beim Warten auf eine briefliche Bestätigung, dass es weitergeht. »Uns ging es ja sehr gut, wir hatten sichere Arbeitsplätze«, erklärt Dzevad Salihic. Hilflos sagt Roland Lindner in die Kamera: »Wir haben ja niemanden, der uns führt beim Protest.« Traurig und passiv sitzt seine Frau neben ihm. Jetzt hat er Zeit, seinem Enkel das Schweißen zu zeigen. Der Vorarbeiter der Schiffbauergruppe Christian Schröder sagt: »Eigentlich ist mir egal, wem der Laden gehört. Ich bin verantwortlich für die Schweißerei auf der Dockkante und ich will morgens um Sechs zur Schicht kommen.« Hauptsache Arbeit.
Zwei Monate später ist es soweit – eine Investorengruppe hat die Werft gekauft. Die heißt jetzt Nordic Yards und stellt mit befristeten Zeitverträgen und geringerer Entlohnung auch wieder ein, aber nur 700 der vormals 1 300 Schiffbauer. Die Kamera ist dabei, als die Verträge ausgeteilt werden. Entweder unterschreiben – oder ein anderer bekommt den Job. Alle angefragten Arbeiter akzeptieren, andere warten vergeblich auf die Einladung zur Vertragsunterzeichnung. Während die Wiedereingestellten bei der ersten Schicht gezeigt werden, sind andere zu sehen, wie sie mehrmals am Tag vergeblich zum Briefkasten gehen.
»Wadans Welt« gelingt es, die traumatische Erfahrung des Ausgeschlossenwerdens von der Lohnarbeit anschaulich zu machen. Dabei sind die von Schumann gezeigten Bilder – hervorragend montiert von der Defa-Schnittmeisterin Gudrun Steinbrück – zumeist radikaler als die Aussagen des Regisseurs selbst. Schumann sagte vor einiger Zeit: »Vielleicht dämmert es auch Deutschlands Wirtschaftsbossen erneut, dass Wertarbeit mit dem Wert und der Würde des Arbeiters zusammenhängen.« Dabei ist »Wadans Welt« ein einziger Beleg dafür, dass es bei der Wertschöpfung um vieles geht, aber nicht um die Würde der Arbeiter.

»Wadans Welt« (D 2010). Regie: Dieter Schumann, Schnitt: Gudrun Steinbrück, Musik: Nils Kacirek. ­Kinostart: 12. Mai