Die Elektropunkband Egotronic wird 10. Brauchen wir sie noch? Schluss mit raven, ohne denken zu müssen!

Zehn Jahre Egotronic sind genug!

Von dem gestenreichen Rebellentum ist nur die Geste geblieben. Egotronic-Konzerte versprechen den Kids heute nur noch eines: raven, ohne denken zu müssen.

Als ich Torsun vor etlichen Jahren kennenlernte, knallwach, schmutzig und glücklich im Dreck vor einem Club am Berliner Spreeufer liegend, verstanden wir uns auf Anhieb blendend. Irgendwie linksradikal, in jedem Falle gegen Deutschland und zumindest in diesem Moment hochgradig verwirrt, erkannten wir recht schnell unsere gemeinsamen Interessen. Hedonistische Lebensentwürfe waren unser Ding und ein massives Abgrenzungsbedürfnis gegenüber der traditionellen autonomen Szene die Konsequenz. Es folgten ein paar gemeinsame Sommer und eine Menge Unsinn, am Ende gingen unsere Wege wieder auseinander. Wir hatten viele Partys gefeiert und noch mehr Afterhours, Egotronic hörten wir dabei nie.
Überhaupt: Egotronic. Natürlich war Torsuns Bandprojekt immer mal wieder Thema, aber weniger aus musikalischen Gründen als vielmehr wegen der Komplikationen, die das politische Selbstverständnis der Band so mit sich brachte. Die Geschichte von Egotronic war in diesen Jahren voller Skandale. Die angebliche Nähe zu einem angeblichen oder tatsächlichen Vergewaltiger, die Affinität zur Bahamas, das standhafte Bekenntnis zu einer bedingungslosen Solidarität mit Israel – es gab viele Gründe dafür, dass die ­Geschichte von Egotronic in diesen Jahren auch eine der Hausverbote, der Hetzschriften, der Projektionen und des Hasses war. Das Fusion-Festival sprach einen Bann aus, auch internationale Bookings konnten mitunter nicht stattfinden, weil Autonome in Friedrichshain das Internet dafür benutzt hatten, Auftritte zu verhindern. All das hat dem Erfolg der Band offensichtlich nicht geschadet.

Überhaupt ist der Erfolg von Egotronic das Erstaunlichste an der ganzen Sache. Nachdem man jahrelang durch die autonomen Jugendzentren der BRD getingelt war, eine Soliparty nach der anderen bespielt und erste Veröffentlichungen noch mehr oder weniger aus der eigenen Tasche bestritten hatte, tritt die Band heute vor ausverkauftem Haus an durchaus etablierten, kommerziellen Veranstaltungsorten auf. Dieses Phänomen zu erklären, ist nicht ganz einfach. Wesentlich dazu beigetragen haben dürfte die teilweise an Obsession grenzende Hingabe, mit der sich Torsun auf seinem Weblog seinen Fans widmet. Die Selbstverständlichkeit, mit der hier jemand sein privates Leben öffentlich macht und von der entzündeten Nasenscheidewand bis zum Hass auf die Hamas so ziemlich alles mitteilt, dürfte zumindest in der deutschen Musiklandschaft einmalig sein. Dass das mitunter peinlich sein kann, wird jeder nachvollziehen können, der selbst einmal seinen Geltungsdrang in den Weiten des Internets ausgelebt hat – inklusive mir.
Peinlich war dann auch das maßgeblich vom Soundtrack Egotronics befeuerte, popkulturelle Phänomen der Antifa-Dada-Jugend, die sich mit Parolen wie »Wodka – Redbull – Antifa« vergewisserte, endlich nicht mehr als Teil einer marginalisierten Linken auf der Verliererseite stehen zu müssen. Egotronic, ursprünglich als kritische Kritiker gestartet, lieferten hier nur noch den Soundtrack zur Affirmation: Ein bisschen Israel, ein paar mehr Drogen, natürlich alles für den Kommunismus, auch wenn man für die Kritik der Verhältnisse angesichts des häufigen Katers irgendwie keine Zeit mehr hatte.

Heute spielt all das kaum mehr eine Rolle. Beharrlichkeit, ein paar Kontakte in das Milieu meinungsmachender Musikredakteure und ein fähiges Management haben Egotronic den Weg aus der auch finanziell wenig attraktiven Schmuddel­ecke linksalternativer Juzi-Bespaßung hin zu den Fleischtöpfen der hypeverarbeitenden Tonträgerindustrie geebnet. Ein Musikmagazin bittet zum Polit-Smalltalk mit dem Dampfplauderer Matthew Herbert, etablierte Festivals buchen die Sonderlinge vom Egotronic-Label Audiolith-Records als grelle Ergänzung zum Konsensprogramm, und die Stadt Hamburg verleiht sogar einen Preis an das Label.
Was sich einst mit dem Gestus der Unversöhnlichkeit als Gegenmodell zu den ganzen heimattreuen Produzenten deutschen Liedguts positionierte, ist mittlerweile in den popkulturellen Mainstream der sogenannten Indie-Szene integriert; verschwitzte Restpubertäre grölen besoffen mit, wenn es heißt, man müsse erst Mügeln anzünden und dann die ganze Zone, geravet wird gegen Deutschland, gedacht wird nicht.
Sicher, einer Band ihre Fans vorzuwerfen, das wäre albern, und selbstverständlich sind Ego­tronic weniger schlimm als der ganze Rest. Von der Pose des nicht zu vereinnahmenden Kritikers der deutschen Verhältnisse allerdings sollte man sich besser verabschieden. Ich wünsche den Herren alles Gute und viel Erfolg, aber Teil dieser Jugendbewegung möchte ich nicht sein.