Die neuen Arbeitsformen sind das Gegenteil von Befreiung

Contra: Die Arbeit greift totalitär aufs ganze Leben über

Weil sich die Hierarchie aus dem Zwang zum Profit ergibt, sind die neuen Arbeitsformen alles andere als Befreiung – sie sind ihr Gegenteil.

Misstrauen ist angebracht, wenn Begriffe, die bislang ein Hilfsmittel bezeichneten, sich in den Vordergrund drängen. Ich kommuniziere nicht mehr, um etwas zu erreichen, sondern: Egal um was es geht, Hauptsache, ich habe es gut kommuniziert. »Kommunikation« ist sicherlich der zäheste Gummibegriff, einst von einem fein lächelnden reaktionären Verwaltungsbeamten zum Systembegriff geadelt, ohne Verfallsdatum. In den vergangenen Jahren hat die Kommunikation zahlreiche Freundinnen bekommen: die Kreati­vität, die Vernetzung, die flache Hierarchie, die Kollaboration, die Synergie. Kommen Sie nie auf die Idee zu fragen, auf was diese Begriffe verweisen und worin ihr Zweck besteht, was also ihr praktischer Gehalt ist. Sie sind sich selbst genug, sie scheinen ihre eigene Praxis zu sein.

Natürlich ist das eine Verkehrung: Netzwerke sind an sich nicht produktiv, Kommunikation schafft keinen Mehrwert, Kreativität sagt nichts über den Gebrauchswert des mit ihrer Hilfe ­geschaffenen Produkts aus. Diese Verkehrung taucht eine rüde und rücksichtslose Arbeitswelt, die auf den Namen Kreativitätsindustrie hört, in rosarotes Licht. Aber kann das sein? Im Betahaus brüllen keine Chefs, gibt es keine Stechuhren, kann man durch die Etagen lustwandeln, um sich tolle Partner für seine spannenden Projekte zusammenzusuchen. Der Selbstbetrug besteht darin, vom Fehlen einer Hierarchie innerhalb der Bürogemeinschaft auf das Ende der Hierarchien in der gesamtgesellschaftlichen Arbeitsteilung zu schließen, die Abwesenheit eines Chefs mit der Abwesenheit von Zwang zu verwechseln.
Die Hierarchie ergibt sich aus dem Zwang zum Profit: Die Kreative mag sich einbilden, ohne Fremdkapital und also nur aus dem eigenen Humankapital schöpfend zur Unternehmerin (auch: Arbeitskraftunternehmerin) aufzusteigen. Sie muss aber weiterhin zur Akkumulationsrate, dem »Geduldsfaden des Kapitals« (Johannes Agnoli), beitragen – ein winziges Rädchen der großen Industrie. Deren Wertschöpfungsketten sind in der Tat so fein verästelt, dass sie zahlreicher diskursiver Vermittlungsleistungen bedürfen. An ­einigen Schnittstellen entsteht dann die Fetischform »Kommunikation«. Der Kreative, dem alles auf die gute Kommunikation ankommt, redet sich nicht nur sein austauschbares Rädchendasein schön, er weiß nicht einmal, an welcher Stelle in der Megamaschine Kapital er sich dreht.

Die klassischen innerbetrieblichen Hierarchien – ob in Büros oder Fabriken – haben den Vorteil, dass sie klare Grenzen ziehen. Diese darf man (bis zur Beförderung) nicht überschreiten. Dafür sind die Arbeitsbeziehungen innerhalb der Grenzen nicht selten so klar, dass die Arbeiterinnen und Angestellten sie zu ihren Gunsten manipulieren und diese Manipulationen vor ihren Vorgesetzten geheim halten können. Wer seine Bunkermentalität im Betahaus pflegt, wird sich das nicht vorstellen mögen, aber so ist es: Die wahren Kreativen sind diejenigen, die durch Tricks, Schummeleien und eine unterschwellige Kooperation (nicht: Kollaboration) sich während der ansonsten tödlich ermüdenden Arbeit die überlebenswichtigen Freiräume schaffen. Diese Freiräume verschwinden, wo die Grenzen sich auflösen und ohne den Schutz einer Hierarchie jeder Einzelne gleich nah zu Gott – also zum Profit-zwang – steht. Wo es allein auf die Kreativität ankommt, wo Kreativität sich zu einem totalitären, allumfassenden Begriff aufplustern kann, droht der Zugriff auf das gesamte Arbeitsvermögen.
Von einer Facharbeiterin wird eine bestimmte Tätigkeit erwartet, die ein bestimmtes Set an Qualifikationen voraussetzt. Sie werden im Verwertungsprozess gnadenlos ausgenutzt. Schlimm genug. Von einem Kreativen wird erwartet, dass er morgens für die Taz blogt, sich mittags als Formgestalter für ein ganz tolles, aber insgesamt vage bleibendes Projekt betätigt und abends auf einer Party vor vielen wichtigen Leuten (alles Freunde natürlich) den DJ macht – und das alles auf Facebook dokumentiert. Er muss permanent auf Achse sein und gleichzeitig das Image pflegen, ein Genießer zu sein, zur Boheme zu gehören. Er muss sich mitten im höchstentwickelten Kapitalismus so verhalten, wie Karl Marx es für den Kommunismus prophezeit hat: Arbeit ist ihm »nicht nur Mittel zum Leben, sondern selbst das erste Lebensbedürfnis«. Kurzum: Es ist die Hölle.