French Psycho

Wenn Robert Hare einen Vortrag über Psychopathen hält, überrascht er manchmal seine Zuhörer. Nachdem er Bilder von Mafiakillern und Sexualstraftätern gezeigt hat, erscheinen Fotos von Managern. »Dies sind abgebrühte, brutale Subjekte«, erläutert der Psychologe. »Es kümmert sie nicht, dass andere Menschen Gedanken und Gefühle haben. Sie kennen weder Schuldbewusstsein noch Gewissensbisse.« Vermutlich aus rechtlichen Gründen zeigt Hare nur Manager, die wegen einer Straftat verurteilt wurden. Möglicherweise wird er seiner Galerie bald das Bild Dominique Strauss-Kahns hinzufügen können. Doch selbst wenn sich die Vorwürfe gegen den IWF-Direktor als falsch erweisen sollten, könnte er wohl als Beispiel für Hares These gelten. Man muss kein Psychopath sein, um Karriere zu machen, aber es hilft ungemein. Wem nämlich Starrsinn, Ordnungswahn, diktatorische Tendenzen, oberflächlicher Charme, Unehrlichkeit, Egozentrik und Mangel an Empathie gänzlich fremd sind, der wird Probleme haben, sich gegen Konkurrenten durchzusetzen und die Folgen seines Handelns mit einem kühlen Lächeln zu übergehen. »Sie müssen sich den IWF wie einen Arzt vorstellen«, sagte Strauss-Kahn. »Das Geld ist die Medizin. Aber die Staaten, die Patienten, müssen auch ihr Leben ändern, wenn sie gesund werden wollen.« Im wirklichen Leben muss ein Patient sein Leben nicht ändern, um sich von einem Knochenbruch oder einer Infektionskrankheit zu erholen. Doch man muss wohl an solche Lehren glauben, um einen Job erledigen zu können, der Millionen Menschen verarmen lässt. Profiler werden aber nicht nur bei Konzernen und Regierungen fündig. Auch Julian Assange scheint die Persönlichkeitsmerkmale aufzuweisen, die für eine Karriere qualifizieren. Dass ausgerechnet der Wikileaks-Gründer die Unterzeichnung einer Verschwiegenheitserklärung verlangte und mit einem Wutanfall reagierte, als ein Mitarbeiter diese verweigerte, ist nicht nur eine Kuriosität.
Erfolgreiche Psychopathen fallen selten durch persönlich begangene Gewalttaten auf. Bei Faktor 2 des von Hare entwickelten Tests, der die »chronisch instabile, antisoziale und sozial abweichende Lebensführung« misst, kommen sie meist auf geringe Werte. Eine Eigenschaft, die sie mit harmloseren Übeltätern wie Karl-Theodor zu Guttenberg teilen, lässt jedoch Ausnahmen zu: die Arroganz. Die Vorstellung, dass jemand mit ihrem sozialen Status für irgendetwas belangt werden könnte, ist ihnen fremd. Im Fall Strauss-Kahns werden wohl die in dieser Woche erwarteten Ergebnisse der DNS-Tests Klarheit bringen. Die den nun kursierenden Verschwörungstheorien oft beigefügte Ansicht, jemand wie er habe »so etwas« doch gar nicht nötig, weil er sich die teuersten Prostituierten leisten kann, geht jedoch an der Sache vorbei. In solchen Fällen geht es um Macht, und davon können gerade erfolgreiche Psychopathen nie genug bekommen.