Parteitag der Harmonie bei der FDP

Männer, die sich in Harmonie üben

Von Aufbruchstimmung war auf dem Parteitag der FDP nichts zu spüren. Die Partei bleibt ein Männerverein, den Antrag, eine Frauenquote einzuführen, lehnte der Parteitag ab.

Mehr als eine Stunde hatte Guido Westerwelle bereits geredet, da war auch auf dem FDP-Bundesparteitag in Rostock endlich die Zeit für seinen Lieblingsspruch gekommen: »Auf jedem Schiff, das dampft und segelt, gibt es einen, der die Sache regelt.« Unzählige Male hatte er den dämlichen Reim im Laufe seiner Amtszeit dem Parteivolk kredenzt. Den Umständen entsprechend modifizierte der scheidende Vorsitzende diesmal jedoch die Schlusspointe: »Und das bin ich – nicht mehr«, beendete Westerwelle am vergangenen Freitagmittag seine Abschiedsrede. Fast acht Minuten währte der Beifall.
Mehr als eineinhalb Jahrzehnte lenkte Westerwelle die Geschicke der FDP. Seit 1994 führte er die Partei zunächst als Generalsekretär, dann vom Frühjahr 2001 an als Bundesvorsitzender mit eiserner Hand wie Kapitän William Bligh die Bounty. Und die Besatzung des klapprigen Kahns fügte sich lange klaglos: Wie eine Sekte bejubelte die FDP ihren Parteichef, ergötzte sich an dessen Brachialrhetorik, seinen unterkomplexen Parolen und seinem antiliberalen Gestus – solange die Wähler seinen Kurs zu goutieren schienen. Doch zuletzt blieben die Wahlerfolge aus, und die Mannschaft begann zu meutern. Jetzt soll es Phi­lipp Rösler richten.
Aber Rösler ist kein Fletcher Christian, der den abgesetzten Kapitän einfach von Bord jagt. Nicht einmal den Kurs will der neue Hoffnungsträger, der in Rostock mit 95 Prozent der Delegiertenstimmen zum Nachfolger Westerwelles gewählt wurde, ändern. Nur einen anderen Ton schlägt er an. Westerwelle war laut, krawallig und aggressiv. Leise, bedächtig und freundlicher, ja sogar selbstironisch will Rösler seine Partei nun führen. Allerdings wird ein solcher Stilwechsel alleine kaum reichen, um die Partei vor dem Untergang zu retten.
Zusammen mit Christian Lindner, der Generalsekretär der FDP bleibt, inszenierte Rösler einen Parteitag der großen Harmonie. Für jeden hatte er eine Streicheleinheit parat: für die vielen Wirtschaftsliberalen, die wenigen Bürgerrechtsliberalen und für die unverwüstlichen Steuersenkungsfans erst recht. Die FDP werde sich künftig mehr »auf die Lebenswirklichkeit und die Alltagssorgen der ganz normalen Menschen in Deutschland konzentrieren«, versprach der in Vietnam geborene Arzt aus Hannover in seiner ersten Rede als Parteivorsitzender. Doch was das konkret bedeuten soll, ließ der 38jährige offen.

Wie bemüht die neue Parteiführung war, niemanden zu verschrecken, belegte exemplarisch die Debatte über die Atomenergie. Zwar beschloss der Parteitag in altbewährter Terminologie: »Für die FDP war und bleibt die Kernkraft eine Brückentechnologie.« Weil es aber seit der Reaktorkatastrophe in Fukushima nun mal nicht mehr angesagt ist, offen für die Hochrisikotechnologie ein­zutreten, hat sich die FDP dazu durchgerungen, nicht mehr dagegen zu sein, »einen gegenüber der Laufzeitverlängerung beschleunigten Ausstieg aus der Kernkraft zu ermöglichen«. Sie beugt sich also der Macht des Faktischen – wenn auch nicht ohne Hintertürchen. Denn auf eine Jahreszahl wollte man sich nicht festlegen. Statt sich am »Überbietungswettbewerb des Atomausstiegs« zu beteiligen, werde die FDP bei der Frage der künftigen Energieversorgung die »Stimme der Vernunft« sein, kündigte Rösler an. Was die Partei für Vernunft hält, dürfte nicht schwer zu erraten sein: Sie wird den Ausstieg aus der Atomenergie weiter so lange wie möglich hinauszögern.
Größere personelle Veränderungen wurden nicht beschlossen. Zu mehr als einer Personal­rochade im Kabinett, in der Fraktion und im Parteipräsidium fehlte Rösler der Mut und wohl auch noch die Kraft. So bleibt nicht nur Westerwelle Außenminister. Auch die blasse Birgit Homburger, die als Vorsitzende der Bundestagsfraktion in der vergangenen Woche dem tollpatschigen bisherigen Wirtschaftsminister Rainer Brüderle weichen musste, fand als stellvertretende Parteivorsitzende wieder Verwendung – wenn sie auch mit gerade 66 Prozent der Stimmen nur knapp gewählt wurde. Treffend bezeichnete der Vorsitzende der Jungen Liberalen, Lasse Becker, die Ämterwechsel an der Spitze als »eine Reise nach Jerusalem, bei der man vergessen hat, den Stuhl wegzunehmen«. Ein Neuanfang sieht anders aus.

Die FDP hat eine große Chance verspielt. Denn es hätte tatsächlich ein Parteitag des Aufbruchs werden können. Auf der Tagesordnung stand immerhin ein Antrag, dessen Annahme einer kleinen Revolution gleichgekommen wäre. Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit diskutierten am Freitagabend, in den Auszählpausen der Präsidiumswahlen, die rund 650 Delegierten über die Einführung einer Frauenquote.
Eine längst überfällige Debatte: Bei keiner anderen im Bundestag vertretenen Partei ist es um die Beteiligung von Frauen so schlecht bestellt wie bei der FDP. Dabei hatte die Partei bereits 1987 einen Frauenförderplan beschlossen – als Reaktion auf die im Jahr zuvor eingeführte 50-Prozent-Mindestquote der Grünen. Das Ziel lautete, den Frauenanteil in den Führungspositionen entsprechend dem Mitgliederanteil zu erhöhen – allerdings bewusst unter Verzicht auf die Einführung institutioneller Regeln.
16 Jahre später zog der FDP-Bundesvorstand eine erste Bilanz. Das Ergebnis: »Der Beschluss des Bundesvorstands wurde nicht umgesetzt, die Selbstverpflichtung der Partei wurde nicht eingehalten.« Das Führungsgremium konstatierte: »Angesichts der katastrophalen Lage ist es höchste Zeit zu handeln.« Eine Quote lehnte der Vorstand jedoch weiterhin ab: »Als liberale Partei setzen wir auf den freien Wettbewerb, damit sich die Besten durchsetzen.« An dieser Sichtweise hat sich bis heute nichts geändert. Lieber probierte es die FDP deshalb auch 2003 noch einmal mit Lippenbekenntnissen: Die Partei werde mit einer »Frauenkampagne« und »mittels gezielter Frauenförderung den Frauenanteil in der FDP in den nächsten zwei Jahren auf 30 Prozent erhöhen.« Der grandiose Erfolg der »Offensive für mehr Frauen in die FDP«: 2003 lag der weibliche Anteil unter den Mitgliedern bei 24,7 Prozent, bis zur Bundestagswahl 2009 sank er auf 22,6 Prozent.
Noch schlechter sieht es auf der parlamentarischen Ebene aus. Bundes- und Landtagsfraktionen zusammengezählt, liegt hier der Frauenanteil unter 20 Prozent. Den Landtagsfraktionen von Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Thüringen und Berlin gehört jeweils gerade mal eine Frau an. In den Parlamenten Baden-Württembergs, Bremens und des Saarlandes sitzen für die Liberalen sogar ausschließlich Männer. Eine Landtagsfraktion ganz ohne Frauen – das gibt es sonst nur noch bei der NPD in Mecklenburg-Vorpommern.

Die liberalen Frauen wollten sich solche Zustände nicht länger bieten lassen. Mittlerweile haben auch sie erkannt, dass es ohne Quote nicht geht. Also beantragte deren Bundesvereinigung auf dem Parteitag, künftig müssten mindestens 40 Prozent der Parteiämter und freidemokratischen Parlamentsmandate dem weiblichen Geschlecht vorbehalten sein. »Eine größere Beteiligung von Frauen ist von existentieller Bedeutung für die Zukunft und den Erfolg der Freien Demokratischen Partei in Deutschland«, begründete der parteiinterne Zusammenschluss seinen Antrag. Es seien »deshalb verbindliche Vorgaben notwendig, um Frauen überhaupt eine Chance einzuräumen, in die Gremien und auf aussichtsreiche Listenplätze gewählt zu werden«.
Die liberalen Frauen, darunter auch die inzwischen 69jährige frühere FDP-Generalsekretärin Irmgard Schwaetzer, kämpften tapfer – aber vergeblich. Die Männer ließen sie eiskalt abblitzen. Nur 20 Prozent der Delegierten sprachen sich für den Antrag aus. Während es bei den Grünen, der SPD und der Linkspartei längst verbindliche Quoten gibt, während auch die CDU und seit Herbst vergangenen Jahres sogar die CSU sich mit ihren etwas unverbindlicheren Quorums­regelungen wenigstens darum bemühen, die Repräsentation von Frauen zu erhöhen, bleibt damit die FDP die letzte, offenbar uneinnehmbare Männerbastion. Allerdings zahlt sie dafür einen hohen Preis: Hätten in Rheinland-Pfalz genauso viele Frauen wie Männer die Partei gewählt, wären die Freidemokraten nicht aus dem Landtag geflogen. Am Sonntag wird in Bremen gewählt. In den Umfragen liegt die FDP auch hier unter fünf Prozent.