Coworking Spaces – Die digitale Boheme bezieht ihr Büro

Zur Maloche in die Lounge

Die digitale Boheme wollte raus aus dem Mief der Büros, in denen der lähmende Geist des Angestelltenverhältnisses herrschte. Nun zieht es kreative Freischaffende wieder in Büros – die sich nun allerdings »Coworking Spaces« nennen und auf den ersten Blick nichts mehr mit den unansehnlichen Räumen zu tun haben, in denen unter Neonlicht gearbeitet wird.

Die »Verwirklichung des Traums vom selbstbestimmten Leben« hatte sich die digitale Boheme vorgenommen. Wie sieht es mit der Verwirklichung aus, fünf Jahre nachdem das Buch »Wir nennen es Arbeit« die Aufmerksamkeit auf die kreativen Freiberufler gelenkt hat? Viele Wünsche der digitalen Bohemiens haben sich tatsächlich erfüllt. Aus Spaß wurde Arbeit, jeder noch so banale Einfall zu einer Geschäftsidee und Freunde wurden zu Kontakten – oder war es umgekehrt? Sie arbeiten wann, wo und wie sie wollen, also fast immer, überall und in absoluter Selbstverantwortung.
Schnell bewahrheitet hat sich die Diagnose, diese Boheme sei nur die Vorhut einer neuen Massenerscheinung. Die Internet-Cafés, einst ihr bevorzugter Arbeits- und Aufenthaltsort, sind längst zu klein, um die Scharen von Freiberuflern auf der Suche nach einem Platz mit W-Lan- und Kaffee-Flatrate aufzunehmen. So erfreut sich nun ein neues Raumkonzept, das auf diese Entwicklung reagiert, zunehmender Beliebtheit: der sogenannte Coworking Space.

Die in der Kultur- und Kreativbranche Tätigen kennen schon seit längerem das Prinzip der Bürogemeinschaft, in der sich mehrere unabhängig voneinander arbeitende Personen zusammentun, um einen gemeinsamen Arbeitsraum zu unterhalten, zum einen aus ökonomischen Gründen, zum anderen der sozialen Anbindung wegen. Die klassische Berliner Bürogemeinschaft hatte bisher im Schnitt zwischen drei und sechs Mitglieder, siedelte sich mit Vorliebe in leeren Ladengeschäften an und kam nicht selten auf Basis bereits bestehender Bekanntschaften und Allianzen zustande. Je mehr Selbständige es gibt, desto höher wird der Bedarf an diesen Arbeitsplätzen, insbesondere an solchen, die nicht nur monats-, sondern auch tageweise zu mieten sind und damit ein Höchstmaß an Flexibilität garantieren. Und so bestehen mittlerweile Bürogemeinschaften in einer völlig neuen Dimension: große Lofts, Etagen und ganze Gebäude, die wie eigenständige Institutionen funktionieren und 100 oder mehr freiberuflich Arbeitende fassen – die Coworking Spaces.
Einst hießen diese Orte Großraumbüros, waren in kühles Neonlicht getaucht, mit unästhetischen Möbel- und Trennwandelementen zugestellt, laut und unpersönlich. Die Betreiber jener Arbeitsräume gaben sich keine Mühe zu verheimlichen, worum es ging: Leistung, Ideen und Zeit gegen Geld einzutauschen, und zwar so pragmatisch und anspruchslos wie möglich. Und die damaligen Benutzer hatten sowieso keine andere Wahl. Sie waren festangestellt und wurden als Mitarbeiter der Firma unter anderem dafür bezahlt, in solchen Räumen anwesend zu sein.
Der Coworker von heute dagegen ist seine eigene Firma und zahlt ab 10 Euro am Tag oder 149 Euro im Monat, um sich in einer Umgebung aufhalten zu können, in der er konzentriert arbeiten kann und die ihm zugleich den Eindruck von Geschäftigkeit vermittelt. Arbeitsatmosphäre bereitzustellen ist also mittlerweile eine Dienstleistung, für die man Geld verlangen kann. Zum Prinzip der digitalen Boheme gehört es offenbar, Dinge, die früher obligatorisch waren, zunächst abzulehnen, um sie dann freiwillig und gegen Entrichtung eines Entgelts in leicht abgewandelter Form doch wieder zu akzeptieren.
Ähnlich wie in einem exklusiven Club wird den Coworkern für ihren Mitgliedsbeitrag allerdings heutzutage einiges geboten, denn das Großraumbüro hat eine umfassende Metamorphose durchlaufen. Zwar besteht die Ausstattung noch immer aus den Grundelementen eines jeden Firmensitzes: Drucker, Scanner, W-Lan, Telefone. Aber sonst ist das Großraumbüro kaum wiederzuerkennen. Die ernüchternde und ästhetisch abstoßende Erscheinung früherer Arbeitsräume, in denen die kapitalistische Ellenbogenmentalität deutlich sichtbar und schnell unerträglich wurde, ist einer trendgerechten Lounge-Atmosphäre gewichen, in der es sich bequem aushalten lässt, weil sich Erwerbstätigkeit hier nicht mehr wie Notwendigkeit und Pflicht, sondern wie ein permanenter Chill-Out anfühlt. Und so arbeiten die Selbständigen von heute auch weniger des Geldes wegen, sondern weil sie ihre Arbeit einfach geil finden – so geil, dass sie sie zuweilen auch umsonst verrichten. Deshalb muss die Coolness stimmen, denn andernfalls kommt schlechte Laune auf.

Wenn Arbeit zum Lifestyle wird, ist es selbstverständlich überaus bedeutsam, im richtigen Ambiente mit den richtigen Leuten und den richtigen Werkzeugen gesehen zu werden. Alles andere wäre unsexy. Aber da Coworking Spaces von digitalen Bohemiens für ebensolche bereitgestellt werden, sind die Bedürfnisse und Ansprüche bekannt und werden umgehend erfüllt: großzügige Lofts mit ausgefallenen Beleuchtungskonzepten, Designermöbeln, flauschigen Sofas und Sesseln, einer schicken Espresso-Bar und einem »Psst-Raum«, damit die Anwesenheit der anderen und die damit verbundene Geräuschentwicklung nicht doch irgendwann nerven. Und weil die Geschmäcker variieren, entstehen gleich kleinen Arbeitsthemenparks immer neue Coworking Spaces mit immer anderen Interieurs und Atmosphären. Das Berliner »Beta-Haus« am Moritzplatz zum Beispiel möchte seinen Mietern eine Mischung aus »Wiener Kaffeehaus, Bibliothek, W-Lan-Café, Home Office, Campus« bieten. »Und sobald die dampfende Pasta serviert wird, verschwindet der Laptop ganz schnell im Schließfach«, heißt es auf der Homepage. Gewürzt mit dem Aroma von Freiheit und Stil schmeckt die Maloche so gut, dass die modernen Lohnarbeiter sie sich gerne etwas kosten lassen.
Das »Wostel« in der Hobrechtstraße in Berlin, eine Wortschöpfung aus »work« und »hostel«, will sogar »mehr als nur ein Coworking Space« sein. Der Selbstdarstellung zufolge ist es ein Ort für »Freunde und Freunde von Freunden und Freischaffende aus aller Welt«, die dort »in einem familiären und freundschaftlichen Umfeld arbeiten und sich austauschen« sollen. Es fällt auf, wie oft und nachdrücklich die Freundlichkeit betont wird, fast so als könne sie sonst glatt über­sehen werden. In Vintage- und Designmöbeln sitzend lässt sich vielleicht für einige Stunden vergessen, wie trist die Kundengewinnung und die Auftragsakquise nach wie vor sind. Das Problem dabei ist eben nicht das Design, sondern dass sich außer dem Design nichts zum Besseren geändert hat. Noch immer gilt: Es muss unter allen Umständen gearbeitet werden. Nur jetzt in gehobener Atmosphäre.
Eigentlich könnten die Freelancer von heute ganz gemütlich von zu Hause aus tätig werden. Mehr als einen Internetanschluss brauchen sie meist nicht. Und war es nicht ihr Ziel, das leidige Büro endlich hinter sich zu lassen? Eine der Hauptmotivationen, sich einen Tisch in einem Coworking Space zu leisten, liegt jedoch gerade in dem Wunsch, den heimischen Schreibtisch neben dem ungemachten Bett wieder mit einem in einer offizielleren Atmosphäre zu tauschen. Der virtuelle kann den realen öffentlichen Raum eben doch nicht ganz ersetzen: Wer nur noch über das Internet kommuniziert, wird irgendwann wunderlich. Es soll Menschen geben, die zum Arbeiten daheim nicht mal mehr den Schlafanzug ausziehen – wozu auch?

Das Einsiedlerdasein führt zudem auch zu immer ausgefeilteren Techniken des Aufschiebens, der Prokrastination, ganz zu schweigen von der lauernden Gefahr eines unangenehmen und kon­traproduktiven Zweifels am Sinn der eigenen Tätigkeit. Und keine soziale Kontrolle verhindert, dass die eigentlich Arbeitswilligen sich ständig undiszipliniert gehen lassen und dann mit dem schlechten Gewissen klarkommen müssen, wieder nichts geschafft zu haben. Die ersehnte Freiheit auch tatsächlich konsequent auszukosten, ohne dabei den Faden zu verlieren, erweist sich als schwieriges Unterfangen. Deshalb schafft sich die digitale Boheme nach ihrem Ausstieg aus den alten Strukturen dann doch ganz schnell neue, an denen sie sich festzuhalten versucht. So wird das Netzwerk einerseits zum Spender von Aufmerksamkeit und Anerkennung, andererseits auch zur ganz realen Einkommensquelle wird, seit die Vergabe lohnender Aufträge vor ­allem davon abhängt, wer wen kennt.
So ist es vor allem die Sehnsucht nach Kontakt und Austausch, nach der sichtbaren Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft von Gleichgesinnten, welche die digitalen Bohemiens in die Coworking Spaces treibt. Damit verbindet sich für viele die Hoffnung, neues soziales Kapital anzuhäufen, die Vernetzung auszubauen und von sogenannten Synergieeffekten zu profitieren. Flexible Kreativarbeit mit dem Computer als wichtigstem und oft einzigem Gegenüber kann schnell zu einer sehr einsamen Angelegenheit werden. Da wirkt die Selbstvergewisserung, dass es anderen ähnlich geht, beruhigend und motivierend zugleich. In dieser Hinsicht scheint das Konzept der Coworking Spaces gut zu funktionieren, denn einer weltweiten Befragung zufolge arbeiten die meisten Coworker motivierter als zuvor. Mehr als jeder Zweite organisiert seinen Arbeitstag besser und kann zu Hause mehr entspannen, vielleicht deshalb, weil es nun doch wieder eine klare räumliche Trennung zwischen Arbeit und Freizeit gibt – also genau das, was die digitale Boheme eigentlich nicht mehr wollte.
Trotz der in Form des Coworking zelebrierten »Community« bleiben die Teilnehmer jedoch immer voneinander getrennt, denn was sie eint, ist ja gerade ihr Hang zur Unabhängigkeit und Unverbindlichkeit. Ihr Dilemma ist, dass sie nicht mehr allein und auf sich selbst zurückgeworfen arbeiten wollen, aber auch die Anwesenheit anderer mit all ihren Konsequenzen kaum ertragen können. Manche Coworker drehen ihre Tische lieber zur Wand, weil sie es dann doch komisch finden, die anderen die ganze Zeit anschauen zu müssen. Zudem scheint die erwünschte Kontaktaufnahme untereinander nicht immer reibungslos zu verlaufen – schließlich arbeiten ja alle, und da wäre es unhöflich, sich gegenseitig zu stören.
Für die übergeordnete Kontaktpflege und Vernetzung finden regelmäßig Coworking Days statt, ein »fest etablierter Termin der deutschen Coworking-Szene«, wie das »Betahaus« wirbt. Zumindest zwischen den Betreibern der Coworking Spaces soll das Zusammenarbeiten klappen.