Über die Debatte in Frankreich nach der Verhaftung von Dominique Strauss-Kahn

Das Ende eines Alphatiers

An ein »internationales Komplott« glaubt im Fall Dominique Strauss-Kahn inzwischen kaum jemand mehr. Die französische Debatte um die Verhaftung des ehemaligen Generaldirektors des IWF wird mit einem sexistischen Grundton geführt, der kaum skandalisiert wird. Bei den innenpolitischen Verschwörungstheorien geht es unter anderem um die jüdische Herkunft des Angeklagten.

»Was für ein schöner Arsch!« sollen die letzten Worte von Dominique Strauss-Kahn in Freiheit gewesen sein. Dies kolportiert jedenfalls das konservativ-liberale Wochenmagazin Le Point. Sofern die Darstellung zutrifft, richteten sie sich an eine Stewardess von Air France – und bestätigen den Ruf von »DSK«, wie der ehemalige Generaldirektor des Internationalen Währungsfonds (IWF) und bis vor kurzem als Favorit in den Umfragen für die französische Präsidentschaftswahl 2012 gehandelte Mann auch genannt wird. Macht Macht wirklich sexy? Strauss-Kahn schien dies schon immer zu glauben und sich selbst folglich für unwiderstehlich zu halten.
Ob der 62jährige allerdings nicht nur ein sexbesessener und aufdringlicher Anbaggerer, sondern darüber hinaus auch ein Vergewaltiger ist, wie die Hotelangestellte Nafissatou Diallo ihm vorwirft, wird nun in den kommenden Monaten ein US-Gericht klären müssen.
Seit vergangenem Freitag steht Strauss-Kahn am Broadway in New York unter Hausarrest. Er darf das Gebäude, das keinen Luxusstandards entspricht, nur verlassen, um sich in ärztliche Behandlung, zum Gericht, zu seinem Anwalt oder eventuell – so sehen es die Regeln in den USA vor – zu einem Gottesdienst zu begeben.

Unterdessen kommen in Frankreich seit Tagen immer neue Details über die Person Strauss-Kahns an die Öffentlichkeit. Diese sind zahlreichen Journalisten bereits seit Jahren bekannt, wurden aber bislang nie aufgeschrieben. So erfuhr das breite Publikum erstmals, dass auch eine heute 30jährige Schriftstellerin namens Tristane Banon Strauss-Kahn eine versuchte Vergewaltigung vorwirft. »Wie ein brünstiger Schimpanse hat er sich auf mich gestürzt«, sagte sie 2007 in einer Fernsehsendung, wobei der von ihr explizit ausgesprochene Name des Politikers für das Publikum unverständlich gemacht worden war. Vergewaltigungsvorwürfe tauchten also nicht erst im Zusammenhang mit dem New Yorker Skandal auf. Banon ist die Tochter von Anne Mansouret, einer Regionalparlamentsabgeordneten der französischen Sozialdemokraten. Diese wirft ihrer Partei inzwischen öffentlich vor, von den Vorwürfen gegen Strauss-Kahn gewusst, in der Öffentlichkeit aber dazu geschwiegen zu haben. Doch nicht alle Frauen in der Partei sehen das so. Michèle Sabban etwa, eine fanatische Anhängerin Strauss-Kahns, fordert wegen dieser Aussagen inzwischen den Ausschluss Mansourets aus der Partei. Sabban, die auch Vizepräsidentin des Pariser Regionalparlaments ist, sprach als erste von einem »internationalen Komplott« gegen Strauss-Kahn.
Zahllose Verschwörungstheorien ranken sich um die Inhaftierung Strauss-Kahns und seinen dramatischen politischen Absturz. Von »Sexfalle«, »Venusfalle« und einem »Komplott« ist vielfach die Rede. Es fehlt auch nicht an Leuten, die meinen, einer gigantischen Verschwörung auf die Schliche gekommen zu sein. Das ist wohl unvermeidlich, denn Strauss-Kahn war nicht nur in Frankreich, sondern auch international eine wichtige politische Figur und sein bisheriger Arbeitgeber, der IWF, ist mächtig. Tatsächlich stehen wichtige Interessen auf dem Spiel, wenn in den kommenden vier Wochen dort die Nachfolge von Strauss-Kahn geregelt wird.
Befeuert wurden die Verschwörungstheorien unter anderem dadurch, dass ein junges Mitglied der Regierungspartei UMP, Jonathan Pinet, bereits am 14. Mai auf Twitter meldete, Strauss-Kahn habe in New York Probleme mit der Polizei. Zu diesem Zeitpunkt war Strauss-Kahn noch nicht festgenommen worden. 60 Minuten später war die Meldung auch auf dem Blog »Atlantico« zu lesen, das vom früheren Wahlkampfleiter Nicolas Sarkozys, Arnaud Dassier, mitbetrieben wird. Viel mehr war nicht nötig, um den angeblichen Beweis für ein Komplott zu liefern. Dabei liegt es auf der Hand, dass die UMP-Politiker strohdumm gewesen wären, hätten sie wirklich ihre Mitwisserschaft auf Twitter ausgeplaudert. Die Wahrheit dürfte banaler sein: Die Eigentümer und das Management des Sofitel in New York sind Franzosen. Die Hotelleitung wusste bereits Stunden vor der Festnahme Strauss-Kahns von dem Vorfall und befreundete Landsleute teilten Jonathan Pinet die »Sensation« mit.
In der ersten Woche nach der Festnahme glaubten viele Französinnen und Franzosen, Umfragen zufolge etwa 57 Prozent, an ein »internationales Komplott«. Bei sozialdemokratischen Wählerinnen und Wählern betrug der Anteil derer, die an eine Verschwörung glaubten, rund 70 Prozent. Das sei kein verwunderliches Phänomen, befand etwa der Mediensoziologe Denis Muzet in der Pariser Zeitung Le Monde. Er erklärte die Verblüffung und das Unverständnis vieler Französinnen und Franzosen mit der »extremen Dissonanz« zwischen dem privaten Verhalten Strauss-Kahns und seiner öffentlichen Rolle als Präsidentschaftskandidat.
Inzwischen stehen die Verschwörungstheorien nicht mehr im Mittelpunkt der öffentlichen Diskussion, man wartet auf den Gerichtsprozess. Es ist zu erwarten, dass Strauss-Kahns Anwälte alles daran setzen werden, Nafissaatou Diallo zu diskreditieren und ihre Glaubwürdigkeit in Zweifel zu ziehen. Auch dies spricht gegen die Theorie von der »Venusfalle«, die Diallo als eine Art moderne Mata Hari darstellt. Ihr gesamtes Leben wird nunmehr bis ins letzte Detail durchleuchtet. Privatdetektive, die von Strauss-Kahns teuren Anwälten in New York losgeschickt wurden, sollen sich bereits in Guinea befinden, dem Herkunftsland der Hotelangestellten, um in den Spuren ihrer Vergangenheit nach verwertbaren Hinweisen zu suchen.
Zu befürchten ist daher weniger, dass der Öffentlichkeit eine Einzelheit aus ihrem Leben entgeht, sondern eher, dass die Anklägerin systematisch mit Schmutz beworfen wird. Damit angefangen haben bereits einige französische Prominente, indem sie Diallos Aussage in Zweifel ziehen oder die Vorwürfe gegen Strauss-Kahn auf skandalöse Weise herunterspielen. Der ehemalige Kulturminister Jack Lang sagte etwa, es sei ja »niemand gestorben«, der Chefredakteur des sich gern rebellisch gebenden Wochenmagazins Marianne, Jean-François Kahn, sprach vom »Betatschen einer Domestikin«, das irgendwie »Tradition« habe. Französische Feministinnen reagierten auf solche Aussagen empört und veröffentlichten in Le Monde eine Petition, die von über 1 500 Frauen, darunter viele Prominente, unterschrieben wurde.

Einige Verschwörungstheorien konzentrieren sich auf Aspekte wie die ethnische Abstammung und die Religionszugehörigkeit der Protagonisten der Geschichte. So kommentierte der frühere Maoist und heutige neokonservative Philosoph Alain Finkielkraut, die Öffentlichkeit lasse sich täuschen, weil das angebliche Opfer arm, schwarz und muslimisch sei. Aufgrund der »ideologischen Voreingenommenheit« der breiten Massen flögen ihr deswegen die Sympathien zu. Strauss-Kahn werde von vornherein verdächtigt, weil er reich und mächtig sei. Dass er auch aufgrund seiner jüdischen Herkunft verfolgt werde, wird von Finkielkraut angedeutet, bleibt aber bislang unausgesprochen. Explizit thematisiert wird das hingegen im rechten deutschen Blog »Politically Incorrect«. Dort wurden die Vorwürfe gegen Strauss-Kahn in Zusammenhang mit einer angeblichen »Hetzjagd auf konservative und jüdische Geschäftsleute« gebracht, die seit dem Amtsantritt von »Hussein O.« in den USA stattfinde.
Auf Radio Monte Carlo sprach der Journalist Eric Brunet schon einmal von Strauss-Kahn als einem »neuen Dreyfus«. Umgekehrt schwadronierte der französische Antisemit Dieudonné M’bala M’bala in einem Video, das im Internet verbreitet wird, von Strauss-Kahn als »Angehörigem des auserwählten Volkes«. Deswegen, fügte der Theatermacher sarkastisch hinzu, sei er notwendig Opfer, und sprach diesbezüglich hämisch von einer »Shoah durch Oralverkehr«.

Diejenigen, die in der Verhaftung von Strauss-Kahn eine »neue Dreyfus-Affäre« sehen, fügen bisweilen hinzu, von seinem Sturz profitiere in der französischen Innenpolitik der rechtsextreme Front National (FN). Aber das ist sehr ungewiss. Zwar bereitete sich bis vor kurzem die Präsidentschaftskandidatin Marine Le Pen tatsächlich auf eine Stichwahl gegen Strauss-Kahn vor. Dieser nicht unwahrscheinliche Ausgang der nächsten Präsidentschaftswahl wäre eine Traumvorstellung für die extremen Rechten gewesen. Es sei »schade«, dass Strauss-Kahn nicht mehr als Gegenkandidat für Marine Le Pen zur Verfügung stehe, sagte ihr Vater Jean-Marie am vergangenen Wochenende. Denn die rechte Kampagne gegen Strauss-Kahn war eigentlich schon vorgezeichnet. Bei keinem anderen Kandidaten hätte Le Pen es so leicht gehabt, die vermeintliche Verbindung der von Strauss-Kahn verkörperten Linken mit den globalisierten Eliten und dem »internationalen Finanzkapital« aufzuzeigen.
Auch im rechtskonservativen Lager von Präsident Sarkozy ist man nicht unbedingt erbaut darüber, Strauss-Kahn als Gegenkandidat zu verlieren. Zwar fürchtete die wirtschaftsliberale Rechte sich einerseits vor diesem Bewerber, der wesentlich stärker als die jetzt zu erwartenden sozialdemokratischen Präsidentschaftsbewerber – François Hollande oder Martine Aubry – auch bürgerliche Wählerinnen und Wähler angesprochen hätte. Auf der anderen Seite hatten die Leute Sarkozys längst, wie sie nun in den Medien durchsickern lassen, belastende Dossiers über Strauss-Kahn vorbereitet. Dessen sexuelle Umtriebe hatten sich auch bis zur Regierungspartei herumgesprochen. »Ganz umsonst« habe man dort die »Anti-Strauss-Kahn-Kampagne« seit längerem vorbereitet, resümiert der Journalist Arnaud Leparmentier auf seinem Blog.