»Die Linke« kann ihr Antisemitismus-Problem in den Griff kriegen

Die Diskussion findet statt

Die Partei »Die Linke« führt aktiv die Debatte über Antisemitismus und Antizionismus, deshalb wird sie auch ihr Verhältnis zu Israel klären können.
Von

Zunächst: Antisemitismus ist ein Problem der gesamten Gesellschaft. Dies muss klar benannt werden, um das Problem schließlich bekämpfen zu können. Und: Der Vorwurf des Antisemitismus beendet in der Regel auf beiden Seiten die weitere Diskussion und sollte deshalb sehr bedächtig genutzt werden. Außerdem gibt es äußerst unterschiedliche Auffassungen darüber, wo antisemitisches Denken beginnt. Daher geht der Begriff oft an der Sache vorbei.
»Die Linke« ist eine antifaschistische Partei, das beweist sie jeden Tag im Kampf gegen Faschisten und gegen Geschichtsrelativismus. Alle führenden Politiker der »Linken«, alle maßgeblichen Dokumente beziehen klar Stellung – auch und gerade gegen Antisemitismus. Da gibt es nichts zu deuteln.
Im Verhältnis zu Israel gibt es aber Diskussionsbedarf in der Partei, da einige geradezu obsessiv eine einseitige Kritik an Israel verfolgen, während andere Probleme auf der Welt bei ihnen kaum Beachtung finden. In seiner Rede zum 60. Jahrestag der Gründung des Staates Israel hat der Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, Gregor Gysi, festgestellt: »Ich meine, gemessen an der marxistischen Tradition, die man sicher auch kritisch sehen muss, offenbart das Verhalten einiger Mitglieder der ›Linken‹ zu Israel und seinen Konflikten eine theoretische Regression.« Das ist richtig.

Wer Israel als koloniales Gebilde und Vorposten des US-Imperialismus ansieht und daher meint, jeden Gegner Israels – egal, wie antiemanzipatorisch dessen Positionen sind – irgendwie akzeptieren zu können, der ist in linken Denkweisen der siebziger und achtziger Jahre hängengeblieben und hat zu wenig aus der Geschichte gelernt. Das Entscheidende für Linke in Deutschland ist aber: Durch Auschwitz wurde Israel zur Notwendigkeit, und daher muss eine geschichtsbewusste und progressive Linke eine besondere Solidarität mit Israel üben, die kritisch ist – was sonst?! Ohne die Shoah mitzudenken, kann man schwerlich eine emanzipatorische Position in Deutschland zum Israel-Palästina-Konflikt einnehmen. Dieses Bewusstsein bedeutet gerade nicht, die aktuelle Politik Israels kritiklos zu akzeptieren: Schon die Behauptung, man könne Israel nicht kritisieren, ist eine Lüge und ein von Ressentiments getragenes Vorurteil.
Zur fortschrittlichen Überwindung überholter Debatten gehört auch, den Geist des nationalen Befreiungskampfes in Frage zu stellen und das Denken, dass der Feind meines Feindes mein Freund sei, endlich vollständig zu überwinden. Ich kann manchmal kaum verstehen, mit welcher Intensität einige nur auf Menschenrechtsverletzungen durch Israel verweisen und anderes ausblenden. Man sollte das eine tun, ohne das andere zu lassen. Israel ist ein moderner, demokratischer Klassenstaat – im Gegensatz zu vielen archaischen Klassenstaaten in der Region. Mehr Engagement etwa gegen die Mullah-Diktatur im Iran wäre auch dringend nötig, was nicht heißt, auf Kritik an Militarismus und Gewalt durch Israel in den besetzten Gebieten zu verzichten.

Deutlicher als bisher muss klar gemacht werden, dass Linkssein mit der Politik z.B. der Hamas grundsätzlich unvereinbar ist und daher Solidarität den (wenigen) fortschrittlichen Bewegungen gelten muss. Konsens muss sein, sich nicht mit Leuten gemein zu machen oder Kritik an ihnen abzumildern, die alle grundlegenden Werte linker Politik verneinen. Gregor Gysi hat dazu festgestellt: »Der Antizionismus kann (…) für die Linke insgesamt, für die Partei ›Die Linke‹ im Besonderen, keine vertretbare Position sein, zumindest nicht mehr.«
All diese Punkte werden in der »Linken« diskutiert. Auch in der Bundestagsfraktion wird darüber debattiert. Es gibt gute Papiere, etwa von Katja Kipping oder das Positionspapier der Bundestagsfraktion zum Nahostkonflikt, mit einem klaren Bekenntnis zur Zwei-Staaten-Lösung, wo vernünftige Kompromisse gefunden wurden. Als vor kurzem zu einer Aktion gegen israelische Produkte aufgerufen wurde, gab es eine von Katharina König, Mitglied des Thüringer Landtags, initiierte Erklärung von Mitgliedern, Abgeordneten und Sympathisanten gegen diese geschichtsvergessene, unerträgliche Aktion. Das zeigt, dass in der »Linken« diskutiert wird und Mitglieder selber die Diskussion organisieren. Das stimmt mich in der Tat sehr optimistisch. Das Ziel dabei: weniger Schwarz-Weiß, mehr Grautöne!

Der Autor ist Mitglied des Bundestags für die Partei »Die Linke« und stellvertretender Vorsitzender der Deutsch-Israelischen Parlamentariergruppe.