Über die Bundeswehrreform

Heute Strand, morgen Front

Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière stellte in der vorigen Woche die Pläne zur Bundeswehrreform vor. Nicht nur die Struktur der Truppe soll sich ändern, sondern auch ihre Aufgaben sollen sich wandeln.

»Wir. Dienen. Deutschland« – mit diesem Slogan möchte Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) neuen Nachwuchs für die Bundeswehr rekrutieren. Künftig soll die Bundeswehr aus Berufssoldaten und freiwilligen Wehrdienstleistenden bestehen. Als de Maizières Vorgänger Karl-Theodor zu Guttenberg die Aussetzung der Wehrpflicht zum 1. Juli durchsetzte, ging er davon aus, mit bis zu 15 000 Freiwilligen den Wegfall der Wehrpflichtigen ausgleichen zu können. Mittlerweile ist diesbezüglich Ernüchterung eingetreten. Im März und April wurden in einer PR-Offensive 498 000 potentielle Freiwillige angeschrieben, nach Angaben des Verteidigungsministeriums sind gerade einmal 1 800 Rückmeldungen eingetroffen. In den aktuellen Plänen zur Reform der Bundeswehr ist nur noch von einem jährlichen Bedarf von 5 000 Freiwilligen die Rede.

Die Bundeswehr startet derzeit eine groß angelegte Kampagne, um sich als attraktiven Arbeitgeber darzustellen. Allein fünf Millionen Euro investierte sie in eine Anzeigenserie in der Bild-Zeitung und für die Ausstrahlung von Werbespots auf Pro Sieben. Zudem sieht ein 37 Seiten umfassendes »Maßnahmenpaket zur Steigerung der Attraktivität des Dienstes in der Bundeswehr« vor, »künftig verstärkt auch junge Menschen mit unterdurchschnittlicher Bildung beziehungsweise ohne Schulabschluss« anzuwerben. Das böse Wort der »Prekariatstruppe« macht bereits die Runde. Schon jetzt kommen nach Informationen der Bundestagsabgeordneten Christine Buchholz von der Linkspartei überproportional viele der im Ausland eingesetzten Soldaten aus strukturschwachen Regionen. Bei den Mannschaftsdienstgraden liege diese Quote sogar bei 62 Prozent.
Dass die Verlierer der ökonomischen Entwicklungen als Kanonenfutter für deutsche Auslands­einsätze dienen, dürfte öffentlich natürlich kein politisch Verantwortlicher zugeben. Statt­dessen sind sich zumindest die SPD, die Grünen und die FDP einig, man müsse den Freiwilligendienst zum Beispiel durch materielle Anreize wie Bonuspunkte bei der Studienplatzvergabe und den Erlass von Bafög-Schulden attraktiv machen. Das setzt allerdings voraus, einen Auslandseinsatz auch zu überleben. Zielgruppengerechter bemüht sich die Bundeswehr um Nachwuchs. Sie organisiert das »Bw-Beachen 2011«, bei dem sich Jugendgruppen mit Namen wie »Elb-Bomber« oder »Die Granaten« beim Beachvolleyball miteinander messen sollen. Anscheinend hofft man, dass diese Jugendlichen deswegen später auch die Bundeswehr gut finden.

Eine »Schönwetterveranstaltung« werde die angestrebte Reform der Bundeswehr jedoch nicht, das stellte de Maizière klar, als er in der vorigen Woche deren »Eckpunkte« vor 350 geladenen Vertretern der Bundeswehr und der Politik im Tagungssaal der Julius-Leber-Kaserne in Berlin präsentierte. Für die »Neuausrichtung der Bundeswehr« soll die Truppe von 220000 auf 185000 Soldaten reduziert werden, statt der bisher 76000 soll es künftig 55000 zivile Mitarbeiter geben. Im Verteidigungsministerium soll die Zahl der Beschäftigten um mehr als ein Drittel auf 2000 verringert werden. Entsprechend ist auch geplant, die Gliederungen im Heer, bei der Marine und der Luftwaffe zu verkleinern. Damit bestätigte der Verteidigungsminister zunächst die politische Gewissheit, dass dort, wo euphemistisch von »Reformen« die Rede ist, tatsächlich Einsparungen gemeint sind. Doch die Umstrukturierung der Bundeswehr dürfte im Wortsinn erkämpft werden müssen. Denn dort, wo staatliche Sparmaßnahmen auf staatliche Institutionen treffen, gehören strukturelle Widerstände und Boykotte zu den probaten bürokratischen Gegenstrategien der Betroffenen.
»Wer sich einbringen und mitgestalten kann, wird schnell seinen Platz finden und seinen Auftrag leben. Wer dies nicht kann, der hat keinen Platz.« Diese Worte richtete der Bundesverteidigungsminister an die Offiziere, die anlässlich der Präsentation in den Reihen der Zuhörer saßen. De Maizières Rhetorik erinnerte an den Sprachgebrauch, der im Management börsenorientierter Unternehmen üblich ist, wenn den Beschäftigten verkündet wird, dass ihre Arbeitsplätze wegrationalisiert werden sollen. Tatsächlich spiegelte sein harscher Tonfall die aus strategischen Erwägungen folgenden realpolitischen Zwänge wider. Strukturell und organisatorisch ist die Bundeswehr der veralteten Doktrin des Kalten Kriegs, kämpfen zu können, um nicht kämpfen zu müssen, verhaftet. Faktisch ist die Bundeswehr aber spätestens seit dem Kriegseinsatz in Afghanistan ein Instrument der politisch gewollten militärischen Absicherung deutscher Machtinteressen geworden. Mag dieses Engagement in der Vergangenheit als humanitäres Engagement mit Brunnenbau beschönigt worden sein, haben die neuen verteidigungspolitischen Richtlinien eine klare Aussage. Dort heißt es, »freie Handelswege und eine gesicherte Rohstoffversorgung sind für die Zukunft Deutschlands und Europas von vitaler Bedeutung«. Deutsche Sicherheitsinteressen ergäben sich aus der »Ressourcenabhängigkeit als Hochtechnologiestandort und rohstoffarme Export­nation«. Ganz ähnlich klingende Feststellungen kosteten vor fast genau einem Jahr Horst Köhler (CDU) noch das Amt des Bundespräsidenten.

Künftig sollen statt bisher 7 000 Soldaten bis zu 10 000 für weltweite Kriegseinsätze zur Verfügung stehen. Der Neudefinition der außenpolitischen Rolle der Bundeswehr fügte der Verteidigungsminister in seiner Grundsatzrede gleich noch eine Aufgabenerweiterung hinsichtlich des Einsatzes der Bundeswehr im Inneren an. Die Feststellung, »die traditionelle Unterscheidung zwischen äußerer und öffentlicher Sicherheit im Inneren verliert angesichts der aktuellen Risiken und Bedrohungen mehr und mehr an Trennschärfe«, verknüpfte er mit dem Hinweis, die Streitkräfte seien ein unentbehrliches Instrument der Außen- und Sicherheitspolitik. In dieser neuen Lesart ist mit der »Sicherheitspolitik« der »Schutz der Bürgerinnen und Bürger Deutschlands« gemeint. Es geht also um mehr als die klassische Landesverteidigung, und es dürfte kein Zufall sein, dass damit polizeiliche Aufgaben einhergehen. Dieser Teil von de Maizières Rede in der Julius-Leber-Kaserne wurde bisher kaum kommentiert. Dabei könnte er Aufschluss darüber geben, dass der prompt darauf folgende Vorschlag seines Kabinettskollegen und Nachfolgers im Amt des Innenministers, Hans-Peter Friedrich (CSU), der in der vorigen Woche die Möglichkeit eines Einsatzes der Bundeswehr im Inneren forderte, keineswegs so unmotiviert war, wie es schien. Zumindest steht jetzt schon fest, dass sowohl die neue Rolle der Bundeswehr in der Außenpolitik wie auch ein möglicher Einsatz im Inneren kein Heer aus Hunderttausenden von Wehrpflichtigen benötigt, das Milliardenbeträge verschlingt. Stattdessen sollen Berufssoldaten und eine Freiwilligenarmee die neuen Doktrinen so effizient wie möglich umsetzen.