Über die Debatte um die Kastrationspflicht für Katzen

Kastrieren und kassieren

Tierschützer fordern eine Kastrationspflicht für Katzen. Die Tierärzte freut’s, denn sie verdienen daran. Doch wie groß das Problem mit verwilderten Hauskatzen überhaupt ist, ist völlig unbekannt.
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Frage: Was haben Dominique Strauss-Kahn und ein Straßenkater gemeinsam? Antwort: Die Tierrechtsorganisation Peta möchte beiden an die Eier. Als der Vergewaltigungsskandal um den ehemaligen IWF-Präsidenten publik wurde, zögerte Peta nicht lange, und wie schon damals bei den Sex-Geschichten um den Golf-Star Tiger Woods schaltete Peta Anzeigen mit dem Porträt des Prominenten und dem Spruch: »Too much sex can be a bad thing.« Der Organisation, die keine Skrupel hat, mit abstrusen Holocaust-Vergleichen gegen Massentierhaltung und Fleischverzehr zu protestieren, war es auch gleichgültig, dass es bei Strauss-Kahn um eine Vergewaltigung und bei Tiger Woods nur um bekanntgewordene Affären ging – Hauptsache, sie kann Aufmerksamkeit für ihre Kampagne herstellen, bei der es um Zwangskastration geht. Allerdings fordert Peta bislang nur die Kastration von Hunden und Katzen.
Die unkontrollierte Vermehrung der Haustiere hat dazu geführt, dass in vielen Städten und Gemeinden die Zahl erkrankter und hungernder Straßenkatzen zunimmt und die Tierheime überfüllt sind. Auch in Deutschland fordern Tierschutzvereine daher seit Jahren eine gesetzliche Kastrationspflicht für alle Katzen mit Auslauf. In Österreich gibt es eine solche Kastrationspflicht bereits, in Deutschland wurde sie in einigen Städten und Kommunen eingeführt, in Paderborn bereits vor fast drei Jahren. Nun ist erstmals eine landesweite Regelung geplant, und zwar im Stadtstaat Bremen, wo die Bürgerschaft Anfang Mai einem entsprechenden Gesetzentwurf zugestimmt hat.

In Deutschland sind die Tierschutzvereine sehr engagiert in dieser Angelegenheit, immer wieder verbreiten sie Bilder abgemagerter Streunerkatzen und reden von »Massenelend« und einer »Katzenschwemme«. Dabei ist das Ausmaß des Problems völlig unklar. Weil Katzen eben nicht registrierungspflichtig sind, kennt niemand konkrete Zahlen, erst recht nicht die der freilebenden Tiere. Die Zahl der in deutschen Haushalten lebenden Katzen wird seit Jahren immer wieder auf 8,2 Millionen geschätzt, ohne dass es dafür eine seriöse Grundlage gäbe.
Hinweise auf die Zahl der in menschlicher Obhut lebenden Katzen gibt vor allem die Ökonomie. Denn Katzen sind ein messbarer Wirtschaftsfaktor. Allein für Katzenfutter gaben die Deutschen im Jahr 2009 etwa 1,4 Milliarden Euro aus – doppelt so viel wie für Babynahrung. Das vielfältige Zubehör vom Tragekorb bis zum Kratzbaum kommt natürlich noch hinzu. Und nicht nur die Nahrungsaufnahme der Tiere ist ein riesiges Geschäft. Auch wenn das Futter die Katze wieder verlässt, wird verdient. In der Europäischen Union werden im Jahr rund 900 000 Tonnen Streu für Katzenklos verbraucht, das entspricht einem Umsatz von über zehn Milliarden Euro – mit sehr lukrativen Gewinnmargen.

Katzen wären nicht ein solch bedeutsamer Wirtschaftsfaktor, wenn sie nicht auf den Menschen schon seit Jahrtausenden eine enorme, dabei sehr ambivalente Faszination ausübten. Sie gelten als anschmiegsam und kuschelig, gleichzeitig aber auch als autark und hinterlistig. Einst wurden sie im alten Ägypten und Libyen als Gottheiten verehrt, im europäischen Mittelalter dann verdammt. Es kam der Aberglaube auf, Hexen könnten die Gestalt von Katzen annehmen. Unzählige Tiere wurden daher auf Scheiterhaufen verbrannt. Doch ist die Katze aus dem Haus, tanzen bekanntlich die Mäuse auf dem Tisch. Die Bahn war frei für Mäuse und Ratten und mit ihnen kam die Pest in die Städte. Das hatte zur Folge, dass Katzen dann doch wieder an Sympathie gewannen. König Ludwig XV. verehrte sie und verbot schließlich ihre Verfolgung.
Während sich Mystik und Projektion bezüglich Katzen mit der gesellschaftlichen Entwicklung, also mit dem Menschen, verändern, dürfte das Verhalten der Tiere weitgehend dasselbe geblieben sein. Beides lässt sich wunderbar aus dem Buch »Katzen und Menschen« des US-amerikanischen Autoren-Ehepaars Frances und Richard Lockridge aus dem Jahr 1953 nachlesen: »Man kennt eine Katze überhaupt nicht, solange man nicht die acht bis zehn Tage miterlebt hat, in denen sie einen Kater sucht. Sie enthüllt sich dann, und für den Prüden ist das geradezu peinlich. Dass alte Jungfern sich so häufig mit Katzen umgeben, wie es der Fall ist, beweist, dass sie großherziger sind, als man von ihnen im Allgemeinen annimmt. Wer jemals mit einer nicht steril gemachten Katze gelebt hat, kann unmöglich unaufgeklärt bleiben.«
Nicht nur prüde Menschen bedürfen einer enormen Portion Großherzigkeit und Nervenstärke, um mit einer rolligen Katze in einem Haus zu leben. Der penetrante Paarungstrieb ist für viele Katzenbesitzer der ausschlaggebende Grund, eine Kastration ihres Haustieres vornehmen zu lassen. Mit der Zeugungsfähigkeit geht auch die Rolligkeit dahin. Dass der Paarungstrieb von der Zeugungsfähigkeit und nicht etwa von Wollust geleitet wird, ist im Übrigen leicht nachvollziehbar, wenn man einmal den Geschlechtsakt zweier Katzen beobachtet hat. Der ist nämlich wenig romantisch und für beide Seiten schmerzhaft, weil der Kater an seinem Penis kleine Widerhaken hat, sogenannte Penisstacheln. Bei einem anderen katzenartigen Tier, dem Fossa aus Madagaskar, dienen solche Penisstacheln dazu, den ein- bis dreistündigen Akt aufrechterhalten zu können, während das kopulierende Paar durch die Bäume klettert. Das ist bei dem unambitionierten Sekundensex der hiesigen Hauskatze definitv nicht notwendig. Biologen gehen daher davon aus, dass die Stacheln gebraucht werden, um durch den beim Herausziehen des Penis entstehenden Schmerz den Eisprung der Kätzin auszulösen.

Es ist nicht die indiskrete Rolligkeit der Zimmerkatze, wegen der die Tierschutzvereine nach Kastration rufen, sondern die Fortpflanzungsfreudigkeit – vor allem jener Tiere, die Ausgang haben und diesen zum ungezähmten Rumficken in der Nachbarschaft nutzen. Gerade sie tragen zur Vermehrung der Straßenkatzenpopulationen bei. Wenn man bedenkt, dass Kätzinnen zwei Mal im Jahr bis zu sechs Junge werfen, so können rein rechnerisch aus zwei Katzen in sieben Jahren 420 000 und in acht Jahren bereits 2,5 Millionen werden. Doch diese Rechnung, wie sie auch Peta regelmäßig vorbringt, dient wohl eher der Panikmache als der Beschreibung der Realität. Denn über die Zahlen streunender Katzen ist kaum etwas bekannt. Spaziert man etwa durch Berlin, ist es sehr viel wahrscheinlicher, eine Ratte zu treffen als eine verwilderte Katze. Marcel Gäding vom Berliner Tierschutzverein schätzt die Zahl streunender Katzen in Berlin auf »irgendetwas zwischen 40 000 und 100 000«, die Senatsverwaltung geht von rund 10 000 Tieren aus und betont, diese seien »nicht unser vordringlichstes Problem«. Eine Kastrationspflicht in Berlin sei sowieso »nicht durchführbar«, weil sie weder kon­trollierbar noch finanzierbar sei.
Als sich in Bonn im vorigen Herbst der Stadtrat mit einem Bürgerantrag zur Kastrationspflicht beschäftigte, wurde ebenfalls deutlich, wie unterschiedlich die Lage zuweilen eingeschätzt wird. Zwar wurden im Oktober in der ehemaligen Hauptstadt Aktionswochen zur Aufklärung über Katzenkastration durchgeführt, aber nicht etwa, weil die Stadtverwaltung ein besonders großes Katzenproblem festgestellt hatte, sondern genau im Gegenteil. Man wollte, gab das Veterinär­amt freimütig zu, die tierliebe, aber wenig rationale Stimmung in der Bevölkerung beruhigen und mit der Kampagne für freiwillige Kastrationen verhindern, dass eine gesetzliche Verordnung kommt, wie es nun in Bremen der Fall ist. Eine Zwangskastration lehnte das Veterinäramt nämlich vehement ab. Zum einen gebe es nur 500 bis 2 000 streunende Katzen in Bonn, zum anderen sei eine Verpflichtung kontraproduktiv. Schließlich kostet eine Kastration zwischen 50 und 150 Euro, und Menschen, die wenig Geld haben, würden ungewollten Katzennachwuchs eher aussetzen, als den ganzen Wurf für gegebenenfalls z.B. 700 Euro kastrieren zu lassen. So würde das Problem mit den Straßenkatzen unter Umständen eher noch vergrößert.

Kastrieren und Kassieren gehen nämlich Hand in Hand. Das Geld verdienen Tierärzte, die in Bonn wie zufällig auch zu den Unterstützern der »Aktionswoche Katzenkastration« gehörten und die natürlich am liebsten alle 8,2 Millionen Katzen des Landes als Kunden in ihrer Praxis sehen wollen. Viele Tierschutzvereine kümmern sich ehrenamtlich um die Kastration freilaufender Tiere. Sie sammeln sie ein und bringen sie zum Arzt. So fließen etwa in Berlin jährlich zwischen 50 000 und 80 000 Euro allein vom Berliner Tierschutzverein an die Veterinärmediziner. Das Geld stammt ausschließlich aus Spenden, die zu einem nicht geringen Teil auch von der florierenden Katzenfutter- und Zubehörindustrie kommen.
Dass sich kaum eine Stadtverwaltung um freilebende Katzen kümmert, auch nicht um deren Kastration, bringt die Tierschutzvereine, die das dann übernehmen, in eine widersprüchliche Lage. Einerseits beklagen sie die Zahl der streunenden Katzen und deren Verelendung, andererseits richten sie für sie Futterstellen ein und haben somit selbst eine gewisse Mitverantwortung an der Beständigkeit der Population. Der Tierschutzverein »Aktion Tier« beispielsweise betreut in Berlin 350 feste Futterstellen, an denen 240 Freiwillige, meist ältere Damen, rund 3000 wilde Katzen versorgen. Und wer einmal eine engagierte Katzenomi kennengelernt hat, kann sich vorstellen, dass diese guten Seelen ihre kleinen Schnurrer nicht darben lassen. Zumindest die Kastration der Populationen an den Futterstellen muss von den Tierschutzvereinen also garantiert werden.
Dass eine Kastrationspflicht nicht alle Probleme mit den Straßenkatzen löst, zeigt ein aktueller Fall aus dem niedersächsischen Verden, wo seit dem 1. Februar 5 000 Euro Strafe darauf stehen, unkastrierten Katzen Freilauf zu gewähren. Dort hat vor zwei Wochen ein umherspazierendes Kätzchen einen bemerkenswerten Autounfall ausgelöst: Als ein 20jähriger Autofahrer für das die Fahrbahn kreuzende Tierchen eine Vollbremsung machte, rammte er zunächst eine Mülltonne, dann zwei Findlinge, bevor sein Wagen an einem Baum zum Stehen kam. Aus der Mülltonne aber flog im hohen Bogen eine Bratpfanne direkt in die Windschutzscheibe einer 68jährigen Autofahrerin. Beide Autos waren Schrott, die Katze ergriff die Flucht. Ihr wurde selbstverständlich nicht das kleinste Härchen gekrümmt. Das nur nebenbei.