Wer braucht Frauenfußball?

Pro und Contra Frauenfußball

Plötzlich reden alle von Fußball und meinen Frauenfußball. Nach der Männer-WM 2006 richtet der Deutsche Fußballbund in diesem Jahr die Frauen-WM aus, die offiziell FIFA Women’s World Cup oder FIFA-Frauen-Weltmeisterschaft heißt und im vierjährigen Turnus stattfindet, immer ein Jahr nach dem Turnier der Männer. Amtierende Weltmeisterinnen sind die deutschen Fußballfrauen, die das Eröffnungsspiel am 26. Juni in Berlin gegen die Kanadierinnen bestreiten. Soweit die Fakten. Und jetzt die Meinung. Jürgen Kiontke hält Frauenfußball für eine gesellschaftspolitische Notwendigkeit, Elke Wittich misstraut der demonstrativen Begeisterung für das Gekicke der Damen.

Sie treffen sich, um über Schuhe zu reden. Sie treffen sich, um über Krankheiten zu reden: Männern, die Fußball spielen, geht es um ganz existenzielle Dinge. Das Sammeln von Fußbekleidung scheint dazuzugehören, nackt unter der Dusche Zigaretten zu rauchen auch oder stundenlang zusammen in gekachelten Räumen herumzuhängen und die Zeit mit dem Quatschen über Leistung, Leistung, Leistung (»Mann, bist du fett geworden«) und individuelle Defizite (»Geht ja seit der Prostata-OP nicht mehr«) und Gesundheit (»Für mich eine Cola Light«) zu verbringen.
Männer haben viele schlimme Dinge in den Sport eingeschleppt: das Schauspielern, die Schlägerei auf dem Platz, dem Gegner die Hose runterziehen, in die Weichteile treten. Männer fluchen beim Spielen, kratzen sich an unanständigen Stellen und den Gegner auch, rotzen durch die Nase.
Lauter Sachen, die dazu geführt haben, dass das Publikum in großen Mengen ins Stadion geht.
Aber kann das alles sein? Ich finde nicht. Damit der Fußball nicht komplett umkippt, braucht es also dringend ein Gegengewicht! Und das ist der Frauenfußball.
»Nach einem Sieg gibt’s Bier«, schreibt das Frauen-Team des Kreuzberger Fußballvereins Hansa 07 auf der Internetseite der Brigitte, wo sich dieser Tage, im Vorfeld der Frauen-WM, Fußballerinnen mit ihren Teams vorstellen können.
Im Profil der Hanseatinnen ist nochmal das Wesentliche zusammengefasst: »Darüber sprechen wir in der Umkleidekabine: über Deo-Sorten, Tipptabellen, die Schwächen des Gegners, Trikothosengrößen und natürlich über Kuchenrezepte.«
Hört sich kaum anders als beim Herrenteam an. Auch Zukunftsvisionen gehören zwingend dazu: »Unser Traum: die obere Tabellenhälfte, wobei – Quatsch: der Aufstieg!« Und die Antwort auf die Frage, warum »wir das leidenschaftlichste Team sind: Weil wir’s Kicken einfach nicht lassen können und wirklich überall spielen müssen.«
Abgesehen davon war Fußball durchaus schon mal fast eine weibliche Domäne. Bereits im Mittelalter lassen sich Belege für den Frauenfußball finden: »Im Frankreich des 12. Jahrhunderts spielten Bäuerinnen mit einem mit Schleifchen besetzten Lederball. Fußballähnliche Spiele sollen auch bei Eskimofrauen populär gewesen sein« (Jungle World 27/2001).
Dabei wird Fußball von Frauen keineswegs weniger engagiert gespielt als von Männern. Man denke an die Weltmeisterschaft 2007, bei der das deutsche Nationalteam keine Gegentore kassierte und den Turniersieg mit einem geschätzten Ballbesitz von 0,2 Prozent und einem 2:0 im Finale gegen Brasilien klarmachte.
Meine Betrachtungen über die Notwendigkeit von Frauen im Fußball will ich durch zwei persönliche Beobachtungen abrunden. Die eine machte ich vor einigen Jahren auf einem Berlin-Zehlendorfer Sportplatz, wo die Jungs der E-Jugend gegeneinander spielten. Die Partie musste fast abgebrochen werden, aus demselben Grund, aus dem fünf Prozent der Spiele im Berliner Jugendbereich beendet werden, wie der Berliner Fußballverband einmal errechnet hat: weil die Väter der Spieler den Schiedsrichter verprügeln. Laut kreischend, als habe man ihn aufgespießt, brüllte der Trainer seinen besten Spieler an: »Dit is keen Ballett hier!« Dieser war im Dribbling gerade am vierten Gegenspieler hängengeblieben.
Den anderen Kommentar gab L. in der Halbzeitpause ab, Spielmacherin bei den B-Jugend-Mädchen eines Clubs im Bergischen: »Trainer, wieso muss ich denn immer spielen? Die anderen wollen doch auch auf den Platz.« Als Spielmacherin und Kapitänin!
Erstens: Berliner Trainer, merk’ dir mal: Fußball ist Ballett! Und zweitens: Wer hat es jemals besser als jene 14jährige Spielführerin zusammengefasst, dass dies ein Spiel für alle ist?
Und so habe ich den Fußball auch kennengelernt: als eine Tätigkeit, bei der sich Junge und Alte, Männer und Frauen auf einer Wiese treffen, wo sie irgendwie an den Ball wollen.
Fußball ist Leben und damit unteilbar. Er überwindet im besten Fall Grenzen und vermittelt gleiche Erfahrungen – wie schön, dass auch beim Mädchenfußball immer mehr schreiende Väter auftauchen.
Völlig klar: Eine so wichtige Angelegenheit wie Fußball kann nie und nimmer nur einer Menschheitshälfte überlassen werden.
Jürgen Kiontke

Eigentlich stört mich Frauenfußball nicht besonders, auch wenn man als Freundin echten Zweitliga-Kloppergekickes vom eher körperlosen Spiel der Frauen nicht restlos begeistert sein kann. Und für das störende Drumherum beim Frauenfußball können die Spielerinnen natürlich nichts.
Wer sich nun fragt, was zur Hölle das Drumherum denn sein soll, hat möglicherweise schon jede Menge Matches der Frauen-Nationalmannschaft gesehen, dabei aber wahrscheinlich den Ton abgeschaltet. Denn sonst wären die Probleme sofort präsent: der herablassend-kindgerechte Tonfall, in dem manche Reporter die Spiele kommentieren und der bei besonders gelungenen Aktionen in leutselige Begeisterung umschlägt, ähnlich wie man sie von Eltern kennt, die staunend die ersten Schritte des Nachwuchses kommentieren. Und natürlich die Hutschiwutschi-Anfälle diverser Interviewer, die den Fußballerinnen zwar leidlich fachliche Fragen stellen, aber so, wie in Reportagen gehandicapte Menschen ausgefragt werden, nämlich mit dem ganz großen Gestus von: »Guckt mal alle her, wie toll normal ich euch finde.« Es spricht übrigens nicht sehr für die Spielerinnen, die normalerweise von diesen engagierten Reportern wahlweise als Mädels oder als Damen bezeichnet werden, dass bislang noch keine einem Interviewer unter Verweis darauf, dass sie eine erwachsene Frau sei, die sich einen solchen Scheißdreck nicht länger gefallen zu lassen gedenke, eine geknallt hat.
Aber kommen wir zum Eigentlichen, der äußerst störenden Bereitschaft selbst ausgewiesener Hasser der Nationalmannschaft, plötzlich die Siege einer Schland-Elf zu bejubeln, bloß weil die in den schwarz-rot-golden verzierten Trikots steckenden Menschen Brüste statt Penisse haben.
Wer nur deswegen Fußball guckt, weil ihn plötzlich Frauen spielen, ist doof, Punkt. Denn wer normalerweise beim Fußball mit Bemerkungen wie »Ach ne, ich weiß nicht, mir ist das alles viel zu kommerziell/wettbewerbsbetont/unsolidarisch/unwichtig/wasweißich« glänzt (oder am Ende gar den verbotensten Spruch von allen aufsagt, nämlich den mit den elf Leuten, die alle hinter einem Ball herrennen, anstatt dass mal jemand hergeht und jedem einen gibt), sollte eben auch beim Frauenfußball konsequent sein und weiternörgeln. Oder irgendwas anderes anschauen, gibt ja so viele schöne Sendungen, mit niedlichen Tieren zum Beispiel oder mit beruhigender Musik.
Und nein, es ist schon gar kein Zeichen dafür, dass die Republik ein Ort von Gleichheit, Freiheit, Brüderlichkeit oder von mir aus auch Schwesterlichkeit geworden ist, wenn sich nun plötzlich selbst Bild-Leser auf die bevorstehende Weltmeisterschaft im Frauenfußball freuen und es gar nicht abwarten können, bis es endlich losgeht. Denen ist nämlich in Wirklichkeit einfach nur langweilig, weil doch sonst in diesem Jahr sportlich nichts weiter los ist (also keine Männer-Fußball-WM oder -EM und natürlich auch keine Olympischen Spiele). Außerdem freuen sie sich in erster Linie darauf, endlich wieder zumindest theoretisch mit Fahnen wedeln zu können. Es ist mittlerweile vollkommen egal, zu welchem Anlass. Zur Not geht das auch, wenn Frauen Fußball spielen, Hauptsache, man kann »Deutschland!« rufen und schwarzrotgoldene Tücher schwenken. Ist so, ehrlich.
Aber spielen die Frauen nicht ganz tollen Fußball auf hohem technischen Niveau? Kann schon sein, ja. Und das ist sicher auch super anzusehen, allerdings nur dann, wenn man nicht zufällig auf robuste Kampfkicks steht, solche mit Blutgrätschen und viel Körpereinsatz und ständiger großer Aufregung bei allen Beteiligten. Aber auch in punkto Frauenfußball gilt: Soll jeder machen, wie er will. Solange nicht mit Fahnen herumgewedelt, gehupt, »Deutschland!« oder »Wir sind Weltmeister« geschrieen und sich anderweitig schändlich-blödsinnig benommen wird. Capisce?
Elke Wittich