Angela Merkel und die »faulen Südländer«

Provinz global

Im Namen Europas empfiehlt Angela Merkel den Südländern, nicht mehr so viel zu faulenzen und stattdessen deutsche Stammesgebräuche anzunehmen.

Deutsche Politiker sollten öfter Urlaub machen. Eigentlich sollten überhaupt alle Deutschen öfter Urlaub machen, denn je seltener sie sich in ihrem Land aufhalten, desto angenehmer ist es dort. Aber leider arbeiten die Deutschen nicht, um sich das Geld für ihre geplante Auswanderung zusammenzusparen, sondern um jedes Mal erholt und arbeitseifrig wieder zurückzukehren. Oft suchen sie Südeuropa heim, bevorzugt jene Landstriche, in denen ohnehin kaum noch Einheimische und fast nur noch Deutsche anzutreffen sind. Denn fremde Länder finden die Deutschen immer dann besonders schön, wenn dort alles genauso ist wie bei ihnen zu Hause.
Es war also kaum ein Zufall, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel ihre Kritik an der Urlaubsfreudigkeit der südeuropäischen Nachbarn ausgerechnet im sauerländischen Meschede vorgetragen hat, wo die verlockende Fremde bereits in der übernächsten Ortschaft beginnt. Erst in solchem Ambiente brachte sie den Mut auf, den frühen Renteneintritt und die hohe Zahl an Urlaubstagen in Südeuropa anzuprangern und zu mahnen, wer deutsche Finanzhilfe in Anspruch nehme, der müsse sich künftig mehr »anstrengen«. Wie sie den politischen Charakter der Europäischen Union interpretiert, ließ sie bei dieser Gelegenheit auch gleich wissen: »Wir können nicht eine Währung haben, und der eine kriegt ganz viel Urlaub und der andere ganz wenig.«
Ganz Südeuropa ist also deutsches Hinterland, der Euro ist im Grunde eine deutsche Währung, die großzügigerweise auch für andere europäische Länder gelten darf, und zur europäischen Einigung geben die Deutschen nur dann ihre Zustimmung, wenn die Provinzialisierung des Kontinents auch wirklich garantiert wird. Jeden Mittag Siesta zu halten, trotz des schönen Wetters am Mittelmeer mehr Urlaubstage in Anspruch zu nehmen, als bayerische oder ostfriesische Eingeborene sich das je erlauben würden, und die temporäre Freiheit vom Erwerbsalltag sogar für ein verbrieftes Recht zu halten – derlei zivilisatorische Errungenschaften können Europa in den Augen der Deutschen nur zurückwerfen. Auch Grüne und Sozialdemokraten stimmen dieser Einschätzung zu, nur halten sie die Spanier und Griechen schon jetzt für deutsch genug, um Vertrauen zu verdienen. »Natürlich«, sagt Daniel Cohn-Bendit, Fraktionsvorsitzender der Grünen im Europa-Parlament, »arbeiten die Menschen in Südeuropa viel.« Merkels Äußerungen, so Cem Özdemir, Bundesvorsitzender der Grünen, spiegelten nicht »die Wirklichkeit wider«.
Es steht zu befürchten, dass er gar nicht Unrecht hat. Vielleicht sollte man also den Südeuropäern empfehlen, sich zumindest in ihrem Freizeitverhalten etwas stärker an die über sie kursierenden Vorurteile anzupassen. Denn Freizeit, Urlaub und Erholung, das wollen wir angesichts des bevorstehenden Sommers mit Nachdruck festhalten, sind wie aller Luxus Errungenschaften der Zivilisation, nicht deren Bedrohung. Bedroht wird sie durch allzu viel Arbeitstüchtigkeit, durch bornierten Fleiß und kleinkariertes Pflichtgefühl, und die haben innerhalb Europas vor allem in der deutschen Provinz ihren Ort. Sie nicht allzu wichtig zu nehmen, zeugt von Stil und Taktgefühl und sollte für jeden guten Europäer selbstverständlich sein.