Die Landeier sind hübsch geworden

Berlin Beatet Bestes. Folge 98. Bronski Beat: Smalltown Boy (1984).

Am vergangenen Wochenende war ich auf einem Treffen meines Abiturjahrgangs 1986. Eigentlich wollte ich gar nicht hingehen. Ich hatte Angst, meinen alten Schulkollegen zu begegnen, Angst, mir selbst als jungem Mann zu begegnen, und Angst vor der Frage: Bin ich erfolgreich genug, verdiene ich genug Geld? Aber dann habe ich doch zu einer Schulfreundin Kontakt aufgenommen, die auch in Berlin wohnt, und wir sind zusammen mit der Bahn nach Buxtehude, in eine Kleinstadt, nein, den Inbegriff der Kleinstadt, gefahren. Nachdem wir angenehm und harmonisch die Zeit verquatscht hatten, waren alle meine Ängste verflogen. Ich fühlte mich super. Leichtfüßig betrat ich das Veranstaltungsgebäude und genau so leichtfüßig verließ ich es sechs Stunden später wieder.
Wie ich vermutet hatte, sahen alle Frauen toll aus. Kein Vergleich zu den Ökomädchen, die sie in der Schulzeit gewesen waren. Wir haben ja stylemäßig im schlimmsten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts gelebt. In keiner Zeit war es so egal, wie man rumlief, wie in den Achtzigern: viel zu enge schwarz-weiß gestreifte Jeans, lange Schlabberpullis, ­keimige Tücher und die viel zu großen, weißen Nike-Turnschuhe, die sofort schmutzig aussahen. Es war eine erotische Nullzeit. An neunzig Prozent meiner Mitschüler konnte ich mich nicht erinnern, aber die waren damals eben auch schon Statisten. Den ganzen Abend angeregt unterhalten habe ich mich mit einem kleinen Kreis von Leuten, mit denen ich mich vor 25 Jahren schon gut verstanden habe. Erst als eine Gruppe geschlossen ankam, meine Schulfreundin nannte sie früher immer die »Rich Kids«, erinnerte ich mich, mit wem ich da zusammen zur Schule gegangen war. Sie bildeten eine Art Gegenpol zu unserem kleinen Kreis. Jetzt waren sie Banker, Architekten und Juristen. Der eine betrank sich demonstrativ und krakeelte wild gestikulierend. Ein anderer faselte, genauso demonstrativ, akademisch daher und betonte ständig, wie aufgeregt er immer noch sei. Wie damals rollte meine kleine Gruppe wortlos die Augen über diese Entgleisungen. Es war den Elitemenschen ganz offensichtlich unerträglich zu sehen, mit was für langweiligen Landeiern sie ihre Jugend verbracht hatten. Ich dagegen freute mich.
Ohne dieses uninspirierende Provinzmilieu hätte ich nie angefangen zu zeichnen. Es war reine Langeweile, die mich dazu trieb. Ich war sicher ein arroganter Teenager, schließlich war ich in der Hamburger Innenstadt aufgewachsen und erst mit dreizehn in die Provinz gezogen. Aber ganz so unsensibel, wie ich dachte, war ich wohl doch nicht. »Weißt du noch, was für einen Comic du damals für mich gezeichnet hast?« fragte mich eine meiner plötzlich attraktiven Mitschülerinnen. »Du hast mich ganz süß gezeichnet und einen kleinen niedlichen Käfer. Und wie ich nicht auf den Käfer trete.« Die Platte zu dieser Zeit ist bekannt. Ich mochte dieses Lied von Bronski Beat immer sehr gern. Tanzen wollte ich zur Musik der achtziger Jahre auf dem Abitreffen allerdings um keinen Preis.