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In diesen Tagen dreht sich alles um den Ausstieg, und damit ist jetzt nicht der Wischi-Waschi-Ausstieg aus der Atomenergie gemeint, sondern beinhartes Aussteigertum, wie es die Straight-Edge-Szene seit 30 Jahren praktiziert (s. Themaseiten). Es gibt keine Drogen, keinen Schweinebraten und keinen Alkohol, und weil man es richtig ernst nimmt mit dem Verzicht, wird dann auch kein Kasten Bier als Notreserve in den Keller gestellt oder ein Gramm als Sicherheitspuffer im Nachttisch gebunkert. Grade Kante, Leute!
Auch im engsten Kollegenkreis wird der Ausstieg praktiziert. Allen voran in der Innenpolitik, wo krasse Konversionen hingelegt wurden. So stand unser Kollege als Messdiener vor irgendwelchen Altären herum, erkannte dann, wie sinnlos das war, und ging zur Antifa, wo ein Plenum das andere jagte. Ausstieg: Anfang 20 (Antifa). Kirchenausstritt mit Mitte 20. In dieser Reihenfolge!
Als eine Art Zentrale der Ex-Marburger entpuppt sich unsere dreiköpfige Geschäftsführung. Alle haben in Marburg studiert, dann aber eingesehen, dass die Zukunft nicht in Mittelhessen liegt. Die Personalchefin ist zudem bekennende Ex-Vegetarierin, Ex-Basketballerin und Ex-Junge-Welt-Leserin (seit 1997!). Ex-Wursthaar-Fan ist unsere Marketingspezialistin, die sich nach zehn Jahren Zöpfchen-Tragen eine Glatze schneiden ließ und schließlich zum fluffigen Bob fand.
Ernsthafte Probleme mit dem Ausstieg hat unser Vertriebsleiter: Er kommt nicht aus der Kirche raus. Sie wollen ihn einfach nicht ziehen lassen, dabei ist er doch schon Anfang der Neunziger ausgetreten. »Ein Fall fürs Bundesverfassungsgericht«, meint er.
Auch die Feuilleton-Redakteurin hatte sich ihren Ausstieg einfacher vorgestellt: Ein paar Monate lang ließ sie sich von Facebook Zeit und Daten rauben, dann reichte es. Facebook-Fasten mit Klasse-Resultaten. Mehr Freizeit, gesündere Gesichtsfarbe! Also schaltete sie ab. Der Account bleibt aber irgendwo in den Tiefen der digitalen Welt bestehen.
Erst gar nicht irgendwo eingestiegen ist der Korrektor. Keine Mitgliedschaft in subkulturellen Szenen oder politischen Vereinigungen. Sagt er. Und korrigiert sich dann sofort. Also, ja, es gäbe da eine Sache, in die er als junger Student hineingeraten sei. Drei Semester lang. Und zwar: den Poststrukturalismus. Ausstieg dann aber noch vor Abschluss des Grundstudiums. Es erfolgte der endgültige Bruch mit Foucault und die Hinwendung zu Adorno.
Keine Hinwendung mehr zu irgendwelchen Typen, darum ging es der Auslandsredakteurin, die sich kurz­entschlossen »aus der heterosexuellen Welt verabschiedet und neu orientiert« hat. O-Ton: »Das Gute ist, dass man auch immer wieder einsteigen kann.«