Ian Mackaye im Gespräch über Hardcore und Straight Edge als Lebensstil

»Ich konnte mich nicht damit identifizieren«

Ian MacKaye gehört zu den bekanntesten Musikern des US-amerikanischen Hardcore-Punk. Nach der Auflösung seiner ersten Band Teen Idles wurde er 1980 Sänger von Minor Threat. 1981 veröffent­lichte die Band ihre erste EP, auf der der Song »Straight Edge« zu finden ist. Nach seiner Zeit bei Minor Threat war MacKaye Gitarrist und Sänger von Fugazi, deren Post-Hardcore großen Einfluss nicht nur auf amerikanische Alternative-Bands ausübte. Seit 1980 betreibt MacKaye auch das Plattenlabel Dischord. Er und seine Lebensgefährtin, die Schlagzeugerin Amy Farina, machen derzeit gemeinsam unter dem Namen The Evens Musik.

Vor 30 Jahren haben du und deine Band Minor Threat mit dem Song »Straight Edge« einem Lebensstil beziehungsweise einer Subkultur einen Namen gegeben. Kannst du dich immer noch damit identifizieren?
Selbstverständlich war Straight Edge als Label wichtig zu dieser Zeit, aber für mich persönlich spielte das nie eine Rolle. Ich konnte mich nicht damit identifizieren. Ich habe mich nie als Teil von Straight Edge gesehen und auch nie für Minor Threat das Label Straight Edge benutzt. Ende der achtziger Jahre beanspruchten Gruppen wie die Gorilla Biscuits oder Bands aus Washington, Boston und New York den Begriff wie selbstverständlich für sich und sagten: »Wir sind Straight Edge.« Sie sahen sich als Teil einer Bewegung. Aber für uns kam das nie in Frage.
Welche Rolle spielten die Radikalisierung der Szene und die Gewaltausbrüche für deinen Blick auf Straight Edge?
Das waren für mich weitere Punkte, wegen denen ich nichts mit der Straight-Edge-Bewegung zu tun haben wollte. Bereits vor der wachsenden Homophobie und dem Fundamentalismus in der Szene habe ich so um 1983 immer wieder gesagt, dass all das nicht zu meiner eigenen Einstellung passt. Die negativen Aspekte haben für mich einfach überwogen, selbst wenn 95 Prozent der Leute, die Straight Edge lebten und leben, das aus einer richtigen Absicht tun.
Bedauerst du es, den Song geschrieben zu haben, oder magst du ihn noch?
Ich stehe auch 30 Jahre später, mit 49 Jahren, immer noch voll zum Text von »Straight Edge« – aber das war es dann auch.
Und auch nach 30 Jahren gibt es noch eine Szene, die sich offenbar mit dem Song identifizieren kann. Was hältst du von ihr und der Hardcore-Szene allgemein?
Die existiert und lebt. Solange es den Mainstream gibt, existiert eine Gegenkultur, denn beide bedingen sich und so ist das auch heute noch. In Washington gibt es eine kleine, aber sehr lebhafte und vor allem wachsende Szene.
Kann man dich dort auf Konzerten antreffen?
Für mich ist es manchmal etwas blöd, weil die Leute mich kennen, ich sie aber nicht kenne. Dann entstehen komische Situationen. Aber ich gehe auf Konzerte in kleinen Locations, habe nach wie vor Spaß daran und finde es spannend, neue, junge Bands kennenzulernen.
Was unterscheidet die Szene heutzutage von der zur Zeit von Minor Threat?
Musikalisch gesehen haben sich die Produktionsvoraussetzungen durch technische Innovationen verändert. Aber ich hoffe, dass nicht mehr so viel über Technik geredet wird, sondern Technik wieder stärker als Mittel benutzt wird, das nicht selbst im Fokus steht.