Der IWF und die europäische Krisenpolitik

Too big to fail

Die Europäer beanspruchen die Führung des IWF. Ihre Kandidatin Christine Lagarde soll garantieren, dass die realitätsferne EU-Krisenpolitik weiter akzeptiert wird.

»Natürlich haben wir darüber geredet«, gab der französische Präsident Nicolas Sarkozy zu. Welchen Beschluss man Ende vergangener Woche beim G8-Gipfel über die Nachfolge Dominique Strauss-Kahns gefasst hatte, wollte er nicht ver­raten, doch man braucht Wikileaks nicht, um zu wissen, dass die französische Finanzministerin Christine Lagarde (siehe Seite 17) die Kandidatin der EU für die Leitung des Internationalen Währungsfonds (IWF) sein wird.
Die Europäer stellen den Direktor des IWF, die Amerikaner den Präsidenten der Weltbank – diese »Tradition« wird seit langem kritisiert. Doch dieses eine Mal noch soll es wieder ein europäischer IWF-Direktor sein, meint auch Jürgen Trittin. Denn mit dem vorzeitigen Rücktritt Strauss-Kahns sei eine Situation entstanden, »wo die Europäer zu Recht sagen, wir haben zurzeit das Hauptbeschäftigungsfeld des Internationalen Währungsfonds und es ist gut, wenn an dieser Stelle jemand sitzt, der sozusagen aus der direkten Bekämpfung der Euro-Krise kommt«. Folgt man der Logik des Fraktionsvorsitzenden der Grünen, hätte der Direktor des IWF in den vergangenen Jahrzehnten ein Afrikaner sein müssen. Das aber war nicht der Fall, und auch in Zukunft haben die Kandidaten armer Staaten keine Chance.
Der IWF gehört zum UN-System, funktioniert aber ähnlich wie eine Aktiengesellschaft. Der Stimmenanteil der Staaten wird nach dem Kapitalanteil berechnet. Dieser Kapitalanteil wird ausgehandelt, er steigt nicht automatisch mit der Wirtschaftsleistung. Im vorigen Jahr wurde beschlossen, den Stimmenanteil der »Schwellenländer« um sechs Prozent zu erhöhen. Dennoch hat China, seit Februar die zweitgrößte Nationalökonomie der Welt und im Besitz von Währungsreserven in Höhe von 2,8 Billionen Dollar, nur einen Stimmenanteil von 3,65 Prozent, während die USA allein und die Europäer bei einem Zusammenschluss der wichtigsten Staaten jeweils eine Sperrminorität von 15 Prozent erreichen, mit der Beschlüsse blockiert werden können.
Aus linker Sicht ist es eigentlich egal, auf wen man die Torte wirft. Unter der Leitung des »Sozialisten« Strauss-Kahn wurde der IWF nicht zu einer linken Institution, und von einem chinesischen Direktor könnte man sicherlich kein größeres Engagement für soziale Rechte und Gewerkschaftsfreiheit erwarten. Legt man Wert auf ökonomische Effizienz, spricht allerdings vieles für einen Kandidaten aus Asien. Denn die meisten asiatischen Staaten, ob autokratisch oder demokratisch regiert, regulieren ihren Finanzmarkt relativ streng und litten deshalb in der Finanzkrise zwar unter dem Ausbleiben westlicher Aufträge für ihre Exportindustrie, hatten es aber nicht nötig, mit »Rettungspaketen« ihre Banken vor der Pleite zu bewahren.

Mittlerweile haben europäische Staaten die höchsten Schulden beim IWF. Man kann nicht behaupten, dass die Europäer freundlicher behandelt werden als die Afrikaner. Die Verarmung beginnt in Ländern wie Griechenland auf einem höheren ökonomischen Niveau, doch die Maßnahmen – vor allem die Senkung der Staatsausgaben und die Privatisierung – entsprechen den gängigen Dogmen. Der IWF ist nicht dazu da, den Armen ein besseres Leben zu bescheren, sein wichtigstes Ziel besteht in der Stabilisierung des globalen Finanzsystems. Deshalb muss die Kreditver­gabe zu makroökonomischen Erfolgen führen, also das Staatsdefizit reduzieren und die Schuldenzahlung sicherstellen.

Eben hier haben die Europäer ein Problem. Denn außer den EU-Politikern glaubt kaum noch jemand, dass die diversen »Rettungspakete« eine Stabilisierung herbeiführen werden. Eine Umschuldung, die mit einem Verzicht der Gläubiger auf einen Teil ihrer Forderungen verbunden ist, würde viele europäische Banken in Schwierigkeiten bringen und soll daher vermieden werden. Das dürfte Lagardes Hauptaufgabe beim IWF sein.
Es mutet bizarr an, dass die Unfähigkeit der Europäer, ihre finanziellen Verhältnisse in Ordnung zu bringen, nun einen Führungsanspruch legitimieren soll. Die Bric-Staaten (Brasilien, Russland, Indien und China) haben in einem offenen Brief die »ungeschriebene Konvention« kritisiert, der zufolge der IWF-Direktor ein Europäer sein müsse. Dennoch gilt Lagardes Wahl als sicher. Denn asiatische Finanzexperten mögen sich über die realitätsferne EU-Politik wundern, sie wissen jedoch, dass eine weitere Finanzkrise auch die Wirtschaft ihrer Staaten schädigt. In dieser Hinsicht werden die Europäer anders behandelt als afrikanische Schuldner. Die EU ist »too big to fail«.