Über die geplante Einführung einer Visa-Warndatei

Vorauseilende Datensammler

Die Bundesregierung will eine Visa-Warndatei einführen, um illegalen und kriminellen Immigranten die Einreise zu erschweren. Die Erstfassung des Gesetzes scheiterte am Widerstand der FDP. Abgewendet werden konnte es dadurch aber nicht.

Schon Manfred Kanther (CDU) hatte seinerzeit akuten Handlungsbedarf ausgemacht. Angesichts von »illegaler Zuwanderung, missbräuchlichem Asylbegehren und der Erschleichung von Sozialleistungen« legte er 1997 als Bundesinnenminister unter Helmut Kohl einen Gesetzentwurf vor, der den Inhalt und den Nutzerkreis des Ausländerzentralregisters erweitern sollte. Zu diesem Zweck sollte eine sogenannte Visa-Warndatei eingerichtet werden. Darin sollten die Daten von Menschen erfasst werden, die bei der Beantragung eines Visums in einer deutschen Auslandsvertretung gefälschte Dokumente vorgelegt hatten und verdächtigt oder überführt worden waren, sich als »Schleuser« betätigt zu haben. Sollte es bei dem Aufenthalt des ausländischen Antragstellers zu »Unregelmäßigkeiten« kommen, würden zudem Informationen über Personen in die Warndatei aufgenommen werden, die für die Unterkunft ihres Gastes in Deutschland bürgen.
Das Vorhaben scheiterte damals unter anderem am Protest von Datenschützern. Einige Jahre später mussten die große Koalition und ihr Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) die Visa-Warndatei zu den Akten legen, weil FDP, Grüne und »Linke« im Bundesrat gegen deren Einführung gestimmt hatten.

Die schwarz-gelbe Bundesregierung wird nun Ende dieses Monats ein Gesetz beschließen, das die Ideen von Manfred Kanther zu einer verspäteten Vollendung führen soll. In der neuen Visa-Warndatei werden Informationen über Personen, die etwa wegen Menschenhandels, Prostitution oder Schwarzarbeit verurteilt wurden, zwischen fünf und zehn Jahre lang gespeichert. Auch wer gegen Aufenthaltsbestimmungen verstoßen oder bei der Beantragung des Visums falsche Angaben gemacht hat, wird in die Datei aufgenommen. Gleiches gilt für die Personalien jener Einladenden, die selbst mit relevanten Straftaten aufgefallen sind. Deutsche Auslandsvertretungen, Ausländerbehörden, Staatsanwaltschaften und die für die Grenzüberwachung zuständigen Polizeistellen werden in diesen Fällen dazu verpflichtet, bedeutende Daten wie Name, Geschlecht, Geburtsdatum und Staatsangehörigkeit über das Bundeskriminalamt dem Bundesverwaltungsamt in Köln mitzuteilen. Dort sollen die gesammelten Informationen automatisch mit den Daten aus der Anti-Terror-Datei abgeglichen werden, um den Behörden zu ermöglichen, bekannte Terroristen und »Gefährder« noch vor der Einreise nach Deutschland zu identifizieren. Bislang wurden derartige Anti-Terror-Abfragen nur dann vorgenommen, wenn die Antragsteller aus bestimmten »Risikostaaten« stammen, künftig sollen sie für alle Staaten mit Visapflicht gelten.
Trotz der Einführung der Visa-Warndatei dürfte die FDP, die bis zum Schluss dagegen war, sich legitimiert fühlen, dank ihrer jüngsten Erfolge bei den Verhandlungen mit Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) ihr Image als Bürgerrechtspartei aufzupolieren. Das bisher nicht angewandte Gesetz zur Sperrung von Internetseiten mit kriminellen Inhalten wurde auf Drängen der Liberalen durch eine Regelung ersetzt, durch die entsprechende Angebote gelöscht werden, statt sie mit einem Sichtschutz zu versehen. »Jetzt ist endlich Vernunft eingekehrt«, jubilierte Jimmy Schulz, Internetexperte der FDP-Bundestagsfraktion, nachdem die Änderung im April verkündet worden war.

Aus Sicht der sicherheitspolitischen Hardliner in der Union ist die FDP endlich zur Vernunft gekommen. Diese hatte das Nachgeben der Konservativen bei der Frage der Netzsperren zur Bedingung dafür gemacht, der Visa-Warndatei ihre Zustimmung zu erteilen. Tatsächlich konnte die Partei einige gravierende Maßnahmen, die im ursprünglichen Entwurf des Gesetzes vorgesehen waren, streichen lassen. Anders als von Innenminister Friedrich geplant, wird im Visumsverfahren nicht geprüft, ob sich der Antragsteller in der Vergangenheit um Asyl in Deutschland beworben hat. Ebenso werden nicht alle Personen und Organisationen zentral erfasst, die einen Antragsteller nach Deutschland einladen. Durch diese Maßnahme sollte ursprünglich ermittelt werden können, ob sich Familienangehörige, Sportvereine, Kirchengemeinden oder Unternehmen möglicherweise als »Vieleinlader« verdächtig machen. Zum Ärger vieler Innenpolitiker der Unionsparteien sollen die Daten der Warndatei mit der Anti-Terror-Datei auch nur einmal abgeglichen werden. Wenn sich dabei keine belastenden Hinweise ergeben, werden die Informationen gelöscht.
Obwohl die Visa-Warndatei nur in einer leicht entschärften Variante beschlossen worden ist, kann sie den Behörden Informationen liefern, die mit Hilfe der bereits vorhandenen Instrumente zur Migrationskontrolle nicht zugänglich gemacht werden konnten. So waren die deutschen Botschaften seit 2007 in Einzelfällen berechtigt, in ihren dezentralen Warndateien enthaltene Informationen über verdächtige Personen untereinander auszutauschen.
Noch umfassender ist das auf europäischer Ebene existierende Visa-Informationssystem (VIS). Es wurde bereits 2002 vom Europäischen Rat in Sevilla ins Leben gerufen und befindet sich derzeit im Aufbau. Das VIS soll fünf Jahre lang die vorhandenen Daten von sämtlichen Visa-Anträgen speichern, die in den Konsulaten von EU-Mitgliedsstaaten gestellt wurden, egal ob der Antrag erfolgreich war oder nicht. Der EU-Datenschutzbeauftragte Peter Hustinx bezeichnet das VIS deshalb als »die größte grenzüberschreitende Datenbank Europas«. Zu den Daten, die von dem System erfasst werden, gehören unter anderem digitalisierte Fotos und Fingerabdrücke. Ursprünglich sollten damit nur Visum-Mehrfachanträge bei verschiedenen EU-Staaten und »Identitätstäuschungen« verhindert werden. 2008 verständigte sich der Europäische Rat aber darauf, dass die nationale Behörden »zum Zwecke der Prävention, Aufdeckung und Untersuchung terroristischer und sonstiger schwerwiegender Straftaten« auf die gespeicherten Informationen zugreifen können. Ein Jahr später beschloss die große Koalition, dass auch deutsche Sicherheitsbehörden die VIS-Daten dafür nutzen werden.

Die Vorzeichen für die Einführung der Visa-Warndatei scheinen sich also nur auf den ersten Blick geändert zu haben. Während für Manfred Kanther einst die Abwehr von »Asylbetrügern« im Vordergrund seiner Überlegungen stand, liefert heute die Bedrohung durch den internationalen Terrorismus den entscheidenden Anlass für die Einrichtung der Datenbank. Doch die deutsche Visa-Warndatei richtet sich auch ausdrücklich gegen illegale Einwanderung. Selbst ohne das Gesetz der Bundesregierung hätten die Sicherheits- und Grenzbehörden in naher Zukunft auf die Daten des VIS aus ganz Europa zugreifen können, um unliebsame Immigranten fernzuhalten. Deutschland konnte diesen Zeitpunkt nicht länger erwarten.