Über den Prozess um den Tod eines Irakers in Leipzig

Rechts, aber nicht rechts genug

Beim Prozess um den gewaltsamen Tod des Irakers Kamal K. vermag die Leipziger Staatsanwaltschaft keine rassistischen Motive zu erkennen.

Von Fotografen umringt, betreten die beiden Angeklagten den Gerichtssaal. Marcus E. schreitet mit aufrechtem Gang und versteinerter Miene voran. Glatzköpfig, voller Tätowierungen und Piercings sowie in Handschellen, scheint er das Klischee eines gewalttätigen Nazis zu verkörpern, was ihn zur Hauptfigur diverser Fotostrecken in der Lokalpresse prädestiniert. Ihm wird vorgeworfen, im Herbst vergangenen Jahres am Leipziger Hauptbahnhof »grundlos Streit« mit dem Iraker Kamal K. angefangen und ihm in dessen Verlauf »mit Tötungsvorsatz« ein Messer in den Rumpf gestoßen zu haben. Hinter Marcus E. betritt Daniel K. mit Basecap, Sonnenbrille, Kapuzenpullover und gesenktem Kopf den Gerichtssaal. Er soll Kamal K. mit Schlägen und Pfefferspray traktiert haben, das Messer seines Begleiters will er aber nicht bemerkt und die tödliche Attacke nicht gebilligt haben. Kamal K. starb in Folge des Angriffs. Der Anwalt von Daniel K. kündigte für den zweiten Prozesstag am Freitag dieser Woche ein Geständnis seines Mandanten an.

Die Staatsanwaltschaft geht indessen nicht davon aus, dass es sich bei der Tat um einen rassistischen Mord handelt, und klagt die beiden Männer nur wegen gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung und Marcus E. zusätzlich wegen Totschlags an. Die Nebenklage, die die Familie des ermordeten Kamal K. vertritt, sieht das anders. Ihr Rechtsanwalt Sebastian Scharmer forderte das Landgericht zum Prozessauftakt am Freitag voriger Woche auf, zu überprüfen, ob im Fall von Marcus E. eine Verurteilung wegen Mordes und bei Daniel K. eine Verurteilung wegen Körperverletzung mit Todesfolge in Betracht gezogen werden kann. Die Unterscheidung zwischen Mord und Totschlag ist sowohl für das Strafmaß wie für die Bewertung der Tat von erheblicher Bedeutung.
Eine Verurteilung wegen Mordes setzt »niedrige Beweggründe« voraus, dazu zählen auch rassistische Motive, wie Scharmer unter Verweis auf die übliche Rechtsprechung betonte. Aufgrund der Vorgeschichte und der Persönlichkeit der beiden Angeklagten seien gar keine anderen als niedrige Beweggründe erkennbar, heißt es im Antrag der Nebenklage. Auch das übrige Verhalten der Angeklagten deute in diese Richtung. Marcus E. war schon 2002 wegen Vergewaltigung und Körperverletzung verurteilt worden und hatte Daniel K. im Gefängnis Waldheim kennengelernt. Aus den bisherigen Ermittlungen gehe, so Scharmer, hervor, dass Marcus E. eine »Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene« schriftlich bat, ihn dabei zu überstützen, seine Kontakte zu inhaftierten »Kameraden« auszubauen. Er sei seit acht Jahren »in der Bewegung« und höre viel »patriotische Musik«. Daniel K. gab während seiner Vernehmung an, nach wie vor schriftlichen Kontakt zu ehemaligen »Kameraden« in Aachen zu haben, wo er jahrelang der nazistischen »Kameradschaft Aachener Land« angehörte. Obwohl er behauptet, mit der rechten Szene gebrochen zu haben, trug er bei seiner Festnahme in der Tatnacht einen Kapuzenpullover mit der Aufschrift »Kick off Antifascism«. Bei der folgenden Durchsuchung seiner Wohnung stieß die Polizei unter anderem auf Symbole des Ku-Klux-Klans.

Bei Marcus E. wurden Nazi-Devotionalien entdeckt. Im Rahmen der Ermittlungen bekannte er unverblümt, im Oktober 2010 nach Leipzig gekommen zu sein, um »national gesinnte Kameraden« zu besuchen. Auch bei den Tätowierungen der Angeklagten handelt es sich um eindeutige politische Symbole: Marcus E. hat unter anderem Kelten- und Hakenkreuztätowierungen, Daniel K. hat sich die SS-Parole »Meine Ehre heißt Treue« in die Haut schreiben lassen.
Das alles reicht der Staatsanwaltschaft aber nicht aus. Ihr Pressesprecher Ricardo Schulz hält die rechte Gesinnung der Täter für unstrittig, diese Tatsache allein lasse jedoch nicht automatisch auf das Motiv der Tat schließen und rechtfertige auch noch keine Anklage wegen Mordes. Was dieser Argumentation zufolge überhaupt als triftiger Beweis für einen fremdenfeindlich motivierten Mord gelten dürfte, ist fraglich. Der Oberstaatsanwalt verwies auf vergleichbare Fälle, bei denen die Täter im unmittelbaren Tatzusammenhang ausländerfeindliche Parolen skandiert hätten. Im Fall Kamal K. hätten Angeklagten- und Zeugenvernehmungen indessen keine »Beweise« in dieser Richtung ergeben. Dabei hatte der Ermittlungsrichter selbst seinerzeit Haftbefehl wegen Mordes erlassen.

So wiederholt sich bei dem Prozess ein altbekanntes Problem. In den mehr als 20 Jahren nach der Wiedervereinigung haben Polizei und Justiz viele rechte Tötungsdelikte als unpolitisch bewertet. Unabhängige Organisationen zählen dagegen für diesen Zeitraum etwa dreimal so viele Morde mit rechtsextremem Hintergrund wie die staatlichen Stellen. Wenn rechte Motive juristisch schwer zu ermitteln sind, liegt das nicht nur am Schweigen der Täter, sondern auch am vorherrschenden Bild von rechter Gewalt. Von den ausländerfeindlichen Taten, die die Zeit und der Tagesspiegel gezählt haben, fehlen »nur« etwa 50 Prozent in den offiziellen Statistiken, während mehr als 70 Prozent der Opfer aus sozialen Randgruppen, Obdachlose oder Behinderte nicht statistisch erfasst werden.
Beispielsweise hat jüngst ein Übergriff auf einen Obdachlosen in der sächsischen Kleinstadt Oschatz nahezu keine öffentliche Resonanz hervorgerufen. André K. wurde nach Information der Opferberatung RAA Sachsen am 27. Mai auf dem örtlichen Bahnhof von drei Männern so brutal zusammengeschlagen, dass er wenige Tage später seinen Kopfverletzungen erlag. Mindestens einer der Täter war nach Angaben der Linksfraktion im Sächsischen Landtag Mitglied der NPD-Nachwuchsorganisation Junge Nationaldemokraten.
Mittlerweile sitzen drei Tatverdächtige in Untersuchungshaft, zu den möglichen Motiven wollte sich die Staatsanwaltschaft Leipzig bisher nicht äußern. Die Opferberatung RAA Sachsen weist darauf hin, dass in Sachsen seit dem Jahr 2000 bereits drei Menschen getötet worden seien, »weil sie nicht in das sozialdarwinistisch geprägte Weltbild der Angreifer passten«. Nach Informationen der Zeit und des Tagesspiegel wird keiner dieser Fälle offiziell als politisch motivierte Tat gewertet. Im Fall von Kamal K. kann wegen der Vorstrafen der Angeklagten zumindest angenommen werden, dass die beiden wieder ins Gefängnis müssen. Der Vorsitzende Richter kündigte an, dass für Marcus E. auch eine Sicherheitsverwahrung nach Verbüßung der Haft in Betracht käme.