Über den Dokumentarfilm »Plug & Pray«

Alte Liebe rostet

Der Dokumentarfilm »Plug & Pray« gibt einen Einblick in die Gedankenwelt der Robotik-Forschung.

Man könnte ihn den Silver Surfer nennen, den alten, sehr alten Mann mit weißem Haar und Schnauzer, so wie er in seinem Wohnzimmer einen Laptop auf den Tisch stellt und beim Klicken langsam, mit einer Mischung aus Gelassenheit und Belustigung, über Computertechnologie und damit verbundene Versprechungen spottet. Mit »silver« wäre aber eher die Haarfarbe jener Menschen gemeint, die im hohen Alter das Internet nutzen. Von daher mag die Anfangssequenz des gerade auf DVD erschienenen Dokumentarfilms »Plug & Pray« für Nicht-Eingeweihte bemerkenswert unspannend erscheinen. Warum soll die Skepsis eines anscheinend nicht computeraffinen Vertreters einer vergangenen Epoche interessant sein?
Viel wichtiger scheint sowieso die Person zu sein, die anschließend als Gegenspieler des Alten inszeniert wird: Raymond Kurzweil. Bei diesem ist der Name Programm. Der Autor weltweit erfolgreicher Bücher vermag es, mit seinem Technikoptimismus (»Nur Technologie ist den drängenden Problemen unserer Zeit gewachsen«) auch in den notwendigerweise kurzen Film-Aussagen zu faszinieren. Er habe Computer bereits mit zwölf Jahren entdeckt, so der 1948 Geborene, als es in ganz New York nur ein paar davon gegeben habe. Längst ist er nicht nur ein führender Computerwissenschaftler, sondern auch ein Visionär geworden. Er spricht Computern eine ethische und emotionale Intelligenz zu, erklärt sie zu »spirituellen Maschinen« und behauptet, im Jahr 2029 würden sie so schlau wie Menschen sein.
Die Frage ist nur: Wollen wir das? Welche Gründe gibt es überhaupt, uns mit menschenähnlichen Robotern zu umgeben? Um diese Sinnfrage kreist der Film von Jens Schanze. Er gibt einen Einblick in das Forschungsfeld der Künstlichen Intelligenz (KI).
Dass dabei verschiedene Entwürfe vom Menschen zur Sprache kommen, liegt nahe. Und hier wird Kurzweil vollends zum Provokateur, zur Speerspitze des Robotik-Optimismus. Er hat nämlich die Vision von roboterähnlichen Menschen. Die von ihm erhoffte »Verschmelzung« von Mensch und Roboter soll beispielsweise die Existenz Tausender, Nanometer-kleiner Roboter in unserer Blutbahn umfassen, die Krankheiten und dem Verfall des Organismus vorbeugen. Kurzweil will »die Biochemie neu programmieren«, denn: »Die Biologie ist suboptimal, verglichen mit der Nanotechnologie.« Er will den Alterungsprozess der menschlichen Zellen aufhalten, »für immer jung und vital sein«, und vertreibt bereits jetzt Nahrungsergänzungsmittel.
Für ihn ist das alles überaus klar. Lächelnd erklärt er, an seinem Schreibtisch sitzend, dass wir doch unsere Computersoftware alle paar Monate aktualisieren würden – wir selbst hätten aber seit Jahrtausenden kein Update erhalten. Kurzweil will konsequenterweise auch Sicherheitskopien des Denkapparats. Er betrachtet das Gehirn als eine Festplatte, die bedauerlicherweise ständig Informationen verliere, was nicht sein müsse.
Spätestens da kann eine etwa rein ethisch motivierte Ablehnung in eine historisch fundierte Kritik an Kurzweils Machbarkeitsphantasien übergehen. So weisen die Berliner Kulturwissenschaftlerinnen Christina von Braun und Inge Stephan in der Einleitung zu dem 2005 von ihnen herausgegebenen Buch »Gender@Wissen« darauf hin, dass das Denken über den Menschen auch von den »medialen Techniken« abhänge, über die eine Epoche verfügt: »Als der elektrische Strom aufkam, wurde die Tätigkeit des Gehirns mit dem elektrischen Netz und Stromstößen verglichen; dieses Erklärungsmuster wurde abgelöst vom Bild des Telegrafennetzes, auf dieses folgte das Modell des Rechners, und heute beruft sich die moderne Hirnforschung gerne auf die Analogie zum Internet.«
Dass sich Robotik-Wissenschaftler – Wissenschaftlerinnen kommen zumindest in dem Film gar nicht vor – zu wenig Gedanken über ihr Menschenbild machen, ist auch eine der Haupt­thesen des Alten mit dem Silberhaar aus der Anfangssequenz des Films. Der ist nämlich alles andere als ein Laie. Im Geburtsjahr von Kurzweil baute Joseph Weizenbaum als studentische Hilfskraft in Detroit an einem der ersten Computer. Das sei eine der Sternstunden seines Lebens gewesen, sagt Weizenbaum im Film. Er war 1936 aus Berlin ausgewandert und später im Ruhestand wieder dorthin zurückgekehrt, ist aber mittlerweile verstorben. Weizenbaum war einer der Pioniere sowohl der Entwicklung von KI als auch der Kritik an genau dieser Entwicklung.
Weizenbaums Gegnerschaft zur gesamten »Szene« der »sogenannten Künstlichen Intelligenz«, die schon immer vor Größenwahn gestrotzt habe, steht im Zentrum des Films, der ursprünglich ein Porträt werden sollte. Schon in den Sechzigern störte Weizenbaum die Verbundenheit seines Instituts, des weltberühmten MIT in Boston, mit dem Militär, das bis heute einen Großteil der KI-Forschung finanziere. Auch aus ethischen Gründen wurde Weizenbaum bald zum Antipoden einer ganzen Forschungsrichtung und machte sich durch das ständige Stellen der Sinnfrage sogar an seinem eigenen Institut dauerhaft unbeliebt.
Seine Position wird im Film nicht nur durch die Schilderung eigener Erfahrungen bekräftigt, sondern ebenso durch Aussagen der Wissenschaftler und Roboter-Entwickler, die Filmemacher Jens Schanze in mehreren Ländern aufsuchte und kommentarlos zu Wort kommen lässt. Es ist das größte Verdienst dieses im Herbst 2010 erschienenen und mittlerweile mit mehreren Wissenschaftsfilm-Preisen sowie dem Bayerischen Filmpreis als bester Dokumentarfilm ausgezeichneten Films, die Gedankenwelt dieser Leute darzustellen.
Alle im Film vorkommenden aktiven Wissenschaftler hätten auf ihn den Eindruck gemacht, nie Zeit zu haben, »voll von ihrer Arbeit absorbiert« zu sein, erklärt Schanze im Zusatzmaterial der DVD. Damit unterstreicht er die Tatsache, dass sie in seinem Film mit ihrer technokratischen Unbedarftheit und ihren Allmachtsphantasien etwas unreflektiert erscheinen. Diese Darstellung wurde ihm im grundsätzlich technik-affinen Online-Magazin Telepolis auch vorgeworfen. Schanze als modischen Technik-Skeptiker anzusehen, greift jedoch zu kurz. Ihm geht es vielmehr darum, generell dazu zu animieren, sich bei wichtigen Fragen des Lebens nicht nur auf irgendwelche Eliten zu verlassen.
Im Film vermischt er aber solche grundsätzlichen Fragen mit anderen Themen. Der Vorwurf der pauschalen Technikkritik trifft insofern zu, als Schanze in seinem von einer deutlichen Negativität getragenen Film nicht zwischen mehreren Aspekten unterscheidet: Da wäre zum einen die unkritische Forschung für das Militär, die es schon immer gab, und zwar in verschiedenen Fachrichtungen. Neu, und ein eigens zu diskutierender Aspekt, ist dabei, dass mittlerweile auch Kampfroboter entwickelt werden, die eigenständig über Leben und Tod entscheiden können sollen.
Ein anderer Aspekt ist der der Hilfstechnologien. Ein Roboter kann ja auch ein sehr nützliches Ding sein. Hier gibt es weitaus weniger zu kritisieren.
Dann erst wäre über die grundsätzlichen Fragen nach dem Menschen, nach seinem Verhältnis zu intelligenten und lernenden Robotern sowie nach einer Verschmelzung der beiden »Spezies« (so der Forscher Minoru Asada) zu debattieren.
Durch seine pauschale Herangehensweise gibt Schanze den von ihm teilweise negativ dargestellten Forschern die Gelegenheit, mit punktuell begründeten Rechtfertigungen gut auszusehen. So hält etwa Kurzweil zu Recht fest, Menschen hätten schon immer natürliche Grenzen überschritten. Der Forscher Hiroshi Ishiguro erklärt auf die Frage nach Charakter und möglicher gesellschaftlicher Position von Robotern, in der japanischen Kultur würde selbst Steinen eine Seele zugesprochen, und fragt, auf die Menschen bezogen: »Wer hat schon einen Willen?«

»Plug & Pray« (D 2010), Regie: Jens Schanze, 91 Minuten, DVD, 18,50 Euro, unter www.plugandpray-film.de