Generalstreik und Platzbesetzung in Athen

Besetzung gegen die Besatzung

Der Syntagma-Platz in Athen ist besetzt, bei Protesten während des Generalstreiks kam es zu Auseinandersetzungen mit der Polizei. Doch auch die Zahl faschistischer Gewalttaten nimmt zu, sie werden von der Polizei meist geduldet.

»No Pasaran« und »Kein Haus in die Hände der Banker« steht auf den Transparenten, die vor dem Parlament am Syntagma-Platz in Athen gespannt sind. Sie wurden über den Metallabsperrungen der Polizei festgezurrt, als nach dem 25. Mai zahlreiche Griechen aus allen sozialen Schichten dem Internet-Aufruf zur dauerhaften Besetzung des Platzes folgten. Wie in Kairo und kurz zuvor in Madrid brachten die »Empörten« Zelte und Schlafsäcke zur Besetzung mit. Zehntausende Menschen demonstrieren seither täglich vor dem Parlamentsgebäude in Vorbereitung auf einen weiteren Generalstreik.
Protestiert wird gegen die von der »Troika« – der Europäischen Kommission, der Europäischen Zentralbank und dem Internationalen Währungsfonds – diktierten Sparmaßnahmen, die vor allem die Privatisierung der staatlichen Betriebe und Unternehmen vorsehen. Besonders unbeliebt bei den Demonstranten ist die deutsche Regierung, der angekündigt wird: »First we take the banks – then we take Berlin«. Die deutsche Arroganz und Kompromisslosigkeit wird als eine »Besatzung mit ökonomischen Mitteln« bezeichnet, ein Transparent fordert: »Deutsche Arbeiter aufwecken«.
Am Mittwoch vergangener Woche traten die Beschäftigten unter anderem von Bahnen, Fähren, Ämtern, Ministerien, Banken und staatlichen Firmen für 24 Stunden in den Ausstand. Am Tag des Generalstreiks blieb es in Athen nicht lange friedlich. Bereits um acht Uhr versammeln sich die ersten Demonstrierenden auf dem Syntagma-Platz vor dem Parlamentsgebäude, das die Polizei mit hohen Plexiglasscheiben abgeriegelt hat. Die Protestierenden wollten die Abgeordneten am Betreten des Parlaments hindern. Zwei Stunden später zogen sich die Polizisten hinter die Absperrung zurück und posierten in loser Formation neben Lastwagen mit Absperrgittern und Räumfahrzeugen. Die anwachsende Menge rief Slogans wie »Brot, Bildung, Freiheit – Die Junta endete nicht 1973«.

Kurz darauf waren auch faschistische Parolen zu hören. Bewaffnet mit langen Holzstöcken drängten sich plötzlich Faschisten zwischen die Plexiglaswand und die Demonstranten, die zunächst zurückwichen. Nach einem kurzen Schlagabtausch zogen sich die Faschisten zurück, die Polizei begann, mit Trängengas und Blendgranaten in die Menge zu schießen.
Überrascht vom Erscheinen der Faschisten war unter den linken Demonstrierenden niemand. Seit dem Beginn der Unruhen im Jahr 2008 verstärkte die Polizei ihre Zusammenarbeit mit neofaschistischen Schlägern aus dem Umkreis der Partei Chrysi Avgi (Goldene Morgendämmerung). Immer wieder greifen die Mobs, oft begleitet und geschützt von Polizisten, in Athen gezielt Linke und Migranten an und werden im Gegenzug von antifaschistischen Gruppen attackiert.
Die Gewalttaten der Faschisten in Athen werden seit dem 10. Mai, dem Tag des vorherigen Generalstreiks, häufiger. Während sich auf dem Syntagma-Platz die Protestierenden zu einer Großdemonstration versammelten, jagten Neofaschisten Immigranten durch die Straßen. Ein junger Mann aus Bangladesh wurde getötet, mehrere Läden von Migranten wurden angezündet.

Etwa 500 000 Illegalisierte leben in Griechenland, die meisten quartierten sich in heruntergekommenen Stadtvierteln ein. Sie können weder eine reguläre Arbeit annehmen noch Sozialleistungen beziehen und müssen auf sich allein gestellt für ihren Lebensunterhalt sorgen. In Athen stieg die Zahl registrierter Raubüberfalle, und als am Vorabend des Streiktags ein Familienvater von Illegalisierten ermordet wurde, schloss sich ein rassistischer Mob zusammen, der seinem Hass in Pogromen freien Lauf ließ. Viele Linke glauben, dass die rassistische Gewalt der Regierung gelegen komme. Die Neofaschisten sind bereits seit langem in den Stadtgebieten aktiv, die von den Immigranten bewohnt werden. Die Schlägertrupps patrouillieren durch die Straßen und geben vor, Geschäftsinhaber und Anwohner vor migrantischen Kriminellen zu schützen. Tatsächlich erpressen sie von den Illegalisierten, aber auch von den griechischen Bewohnern Schutzgeld.
Polizei und Regierung haben dies bislang geduldet, bei rassistischen Übergriffen bleiben anwesende Polizisten meist passiv. Der Zulauf, den rechtsextreme Gruppen seit dem Beginn der Krise verzeichnen, und die häufigen Angriffe der Faschisten auf Linke, Anarchisten und Migranten führen zu fast täglichen Auseinandersetzungen mit den Antifaschisten. In den Abendstunden werden immer wieder Straßen verbarrikadiert, Blockaden brennen und die Zahl der anarchistischen Anschläge auf Polizeistationen und Büros der Rechtsextremisten nimmt zu. Doch auch unter Linken gibt es einen kruden Rassismus, das Problem wird von manchen in der »Flüchtlingsschwemme« und nicht in der Verweigerung von Asyl und Sozialleistungen gesehen.

Die zunehmende Gewalt schafft Verunsicherung, der Regierung dient sie als Rechtfertigung der Repression auch gegen linke Demonstrierende. Die Polizei setzt außerdem spezielle Motorradeinheiten ein, die zu jeder Tages- und Nachtzeit Jagd auf anarchistische »Terroristen« machen. Am 18. Mai schossen sie einen jungen Motorradfahrer an, der nach Angaben der Polizei Mitglied einer anarchistischen Terrorgruppe ist. Zahlreiche Linke wurden in den vergangenen Jahren unter Terrorverdacht verhaftet und verurteilt.
Ende Mai berichtete die Wochenzeitung Proto Thema unter Berufung auf Berater des Ministerpräsidenten Giorgos Papandreou, dass der Einsatz des Militärs gegen »kriminelle Illegale« und anarchistische Militante erwogen werde. Tatsächlich waren bereits zwischen dem 10. und dem 18. Mai an verschiedenen Orten Autokorsos mit höherrangigen Offizieren zu sehen, die sich hinter die faschistischen Blockaden schoben oder von Polizisten herausgewunken wurden. Das weckt Erinnerungen an den Bürgerkrieg der vierziger Jahre und die bis 1974 herrschende Militärdiktatur. Manche fürchten sogar einen erneuten Bürgerkrieg. Giorgos Kaminis, der Bürgermeister von Athen, sagte Ende Mai, die Stadte beginne, dem Beirut der siebziger Jahre zu ähneln.
Der Streik und die Auseinandersetzungen in Athen und anderen Städten Griechenlands am 15. Juni zeigen deutlich, dass immer mehr Griechen gewillt sind, Widerstand zu leisten. Viele hatten die Sparmaßnahmen zunächst akzeptiert, doch nach einem Jahr ist die Verarmung für die meisten Griechen spürbar, während sich die Finanzlage des Staats weiter verschlechtert hat. Am Freitag voriger Woche gab Papandreou eine Kabinettsumbildung bekannt, die jedoch vor allem dazu dient, zögerliche Abgeordnete seiner sozialdemokratischen Partei Pasok zur Verabschiedung weiterer Sparmaßnahmen zu bewegen. Innerhalb der EU wird bei den Verhandlungen über das nächste »Rettungspaket« über vieles gestritten, nicht aber über die Sparvorgaben für Griechenland. Eine weitere Eskalation der Konflikte scheint daher unausweichlich.