Die Festnahme eines angeblichen israelischen Spions in Kairo

Der Spion, der aus der Kneipe kam

Die Festnahme eines angeblichen israelischen Spions dient der ägyptischen Militärregierung dazu, die anhaltenden Proteste als Werk ausländischer Verschwörer zu denunzieren.

»Israelischer Spion festgenommen« und »Harter Schlag für den Mossad« riefen die Zeitungsverkäufer am Montag nach der Festnahme Ilan Grapels. Auch eine Woche später füllen Berichte über »den Spion« täglich mehrere Zeitungsseiten, unzählige Blogs und eigens gegründete Facebook-Seiten, ungeachtet der Tatsache, dass die israelische Regierung Kontakte zu dem Festgenommenen dementiert hat und außerhalb Ägyptens kaum jemand die Geschichte glaubt, die das herrschende Militär über die inzwischen wieder stark kontrollierten Medien verbreiten lässt.
Am 11. Juni wurde der 27jährige Ilan Grapel inhaftiert. Der größten ägyptischen Zeitung al-Ahram zufolge wurde er in einem »einschlägigen« Hotel in der Kairoer Innenstadt festgenommen, bei ihm seien ein Laptop, Speicherkarten und drei Telefone gefunden worden, die »streng geheime Informationen« enthielten, deren Veröffentlichung für Ägypten gefährlich sein könnte. Ein Auftrag Grapels sei gewesen, »die Spannung zwischen Protestierenden und Armee zu schüren«, er habe versucht, »die Stimmung unter den Demonstranten anzuheizen und sie dazu zu bringen, das Militär anzugreifen und Chaos zu stiften«.
Andere Zeitungen und Fernsehsender berichteten gar, Grapel habe im Auftrag Israels Ägypter dafür bezahlt, auch nach der Revolution weiter zu demonstrieren. Veröffentlicht wurden Bilder, die Grapel auf dem Tahrir-Platz mit einem Plakat sowie mit einem Bier und Freunden in der bekannten Bar »Horreya« zeigen. Auf alten Fotos aus dem Libanon-Krieg trägt er eine israelische Militäruniform.
Bereits im Januar ließ Präsident Hosni Mubarak verbreiten, die Demonstranten würden von Israel oder Europa bezahlt, erhielten 200 Euro am Tag sowie freies Essen bei Kentucky Fried Chicken – noch heute eine beliebte Quelle für Witze über das alte Regime. Doch die ägyptische Presse ist bereits wieder derart stark kontrolliert, dass kritische Ansichten über den »Spionagefall« kaum Platz finden, obgleich einige Ungereimtheiten so offensichtlich sind, dass sie selbst in den Staatsmedien erwähnt werden. Etwa, dass Grapel unter seinem echten Namen reiste und einen öffentlichen Facebook-Account führte, auf den er die Bilder aus Kairo stellte, die die Anklage nun gegen ihn verwendet.
Die Los Angeles Times, die mit Grapels Freunden und Eltern gesprochen hat, berichtet, der 27jährige US-Bürger sei nur für wenige Jahre nach Israel gegangen, wo seine Großeltern lebten, habe dort Militärdienst geleistet und sei zum Jura-Studium in die USA zurückgekehrt. Er spreche Arabisch und sei sehr an der arabischen Welt interessiert gewesen, sagte seine Mutter, deshalb habe er sein Studienpraktikum bei einer Hilfsorganisation in Kairo absolviert. Den meisten Quellen zufolge kam er erst im Mai nach Kairo, war aber zuvor schon einmal in der Stadt.
Der israelische Außenminister Avigdor Liebermann sprach von einem »etwas komischen und sorglosen Studenten«, der jedoch »keine Verbindung zu irgendwelchen Geheimdiensten habe, weder in Israel, noch den USA noch auf dem Mars«. Ägypten solle ihn freilassen. Zwei Vertreter der israelischen Botschaft trafen sich mit Grapel, auch die eigentlich zuständige US-Botschaft verhandelt mit den ägyptischen Behörden.

Stutzig macht auch der Zeitpunkt der Festnahme, die dem seit Mubaraks Rücktritt herrschenden Militärrat (SCAF) gelegen kommt. Seit die Protestbewegung der Jugend ebenso wie die Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung das Militär und dessen Politik scharf kritisieren, greift der SCAF auf die bewährte Taktik zurück, jeden Protest durch den Rückgriff auf Ausländerfeindlichkeit und Antisemitismus zu diskreditieren. Schon in einer Erklärung vor der letzten großen Demonstration am 27. Mai warnte der SCAF, die Ägypter sollten wachsam sein, da feindliche ausländische Elemente versuchten, Armee und Volk zu spalten und das Land zu schwächen.
Wenige Tage vor der Festnahme Grapels änderte die Militärregierung die Visabestimmungen. Konnten Ausländer aus den meisten Ländern bisher recht problemlos halb- bis ganzjährige Touristenvisa bekommen, soll dies künfig nach Aussage einiger Betroffener nur noch für einen Monat und nach genauerer Überprüfung möglich sein. Zahlreiche Kommentatoren vermuten, der SCAF wolle die Pressefreiheit einschränken. Fast alle ausländischen Journalisten nutzen die Touristenvisa, denn ein offizielles Visum für Journalisten ist extrem schwer zu bekommen. Auch Grapel hat ab und zu für Zeitungen geschrieben. Der relativ unabhängigen Zeitung al-Masry al-Youm zufolge sollen in Suez und Alexandria vier weitere angebliche Spione verhaftetet worden sein. Genaueres ist nicht bekannt, es soll sich jedoch ebenfalls um Ausländer handeln, die als Journalisten tätig sind.

Wie erfolgreich die Strategie des Militärs ist, sieht man nicht nur daran, dass die Medien die Geschichte des »Spions« überwiegend kritiklos verbreiten, sondern auch daran, dass ein Teil der Protestbewegung erschrocken aufschrie. »Wir müssen besser aufpassen«, forderte etwa die bekannte Bloggerin Zeinobia und warnte, die Protestbewegung müsse sich davor schützen, von feindlichen Kräften aus dem Ausland benutzt oder unterwandert zu werden.
Im Internet sind rund um den »Spionagefall« rasch zahlreiche Websites entstanden, die sich mit der Thematik befassen. Witze über den angeblichen Spion sind nun zahlreicher als Witze über Mubaraks Regierung. Doch die Ansichten sind geteilt, manche machen sich über den »Spion« und den Mossad lustig, andere über die eigene Regierung. Einige Facebook-Nutzer machen das Mossad-Logo zu ihrem Profilbild, andere sammeln Bilder über die unzähligen »Spione«, Ausländer oder Ägypter, die für ein Erinnerungsbild grinsend vor den Panzern der Armee posieren.

Harte Worte findet hingegen etwa der seit langem aktive und bekannte Blogger 3arabawy. Er listet auf, wie die Regierungen seit 1968 immer wieder Israel oder »das Ausland« für Proteste verantwortlich gemacht haben, und schließt: »Lieber Geheimdienst, hör auf, uns wie Kinder zu behandeln. Wer verdammt ist dieser israelische Superagent, der allein herumzieht, überall Proteste auslöst, das Volk in den Straßen und Moscheen gegen die Armee aufbringt? Wacht auf, für wie bescheuert haltet ihr uns eigentlich?« Im Fall Grapels sind die Parallelen zur Propaganda des alten Regimes offensichtlich, es bleibt die Hoffnung, dass sich auch außerhalb der Demokratiebewegung Misstrauen gegenüber der offiziellen Darstellung verbreitet.