Deutsch, links und trotzdem lustig

Berlin Beatet Bestes. Folge 101. Wolfgang Neuss und Wolfgang Müller: Wir Wunderkinder (1958).

Wolfgang Neuss war der letzte linke Kabarettist, den Deutschland hatte. Abgesehen von staatstragendem SPD-Kabarett gibt es heute kein spezifisch linkes Kabarett und auch keinen linken Humor mehr. Wolfgang Neuss war auf seine sehr eigenwillige und widerständige Art ein linker Humorist im vielleicht einzig möglichen Sinne. Er war zuerst einmal eine Type, ein echter Outsider. Diese Figur verkörperte er bereits in einer Vielzahl von Filmrollen. Sehr erfolgreich arbeitete Neuss Ende der fünfziger bis Mitte der sechziger Jahre als Darsteller kleiner Ganoven, Räuber und Vagabunden. Neuss war so eine Art Anti-Kinski, der trotz aller Verschlagenheit nie giftig oder gefährlich wirkte.
Als Kabarettist allerdings war er scharfsinniger, schneller und frecher als alle anderen. Und lustiger! Vielleicht, weil er das, was er im Spaß sagte, buchstäblich verkörperte. Als heitererer Querulant in den Fünfzigern und als psychedelischer Freak in seiner Spätphase war er identisch mit den Typen, die er spielte. Dennoch war sein Humor, darin ähnelte er dem Moralisten Erich Kästner, immer zutiefst menschlich. Bereits 1945, zu Beginn seiner Laufbahn, begrüßte er sein Publikum immer mit den Worten »Meine lieben goldigen Mitmenschen!« Das klingt jetzt alles harmlos, Neuss galt aber in den sechziger Jahren als totaler Troublemaker. Sein antifaschistischer Film »Wir Kellerkinder«, in dem junge Leute an die Wohnungstüren alter Nazis Hakenkreuze malen, wurde 1960 vom deutschen Filmverleih boykottiert. 1962 verriet er in einer Zeitungsanzeige dem Publikum eines Krimi-Mehrteilers den Mörder. Bild nannte ihn »Vaterlandsverräter«.
Ab 1949 trat Neuss zusammen mit Wolfgang Müller als das Kabarett-Duo »Die zwei Wolfgangs« auf, das vor allem über die CDU-Politik der fünfziger Jahre spottete. Genauso gern spielten die beiden Freunden gemeinsam in Filmklamotten wie »Das Wirtshaus im Spessart« und »Wir Wunderkinder«.
»Wir Wunderkinder«, 1958 gedreht von Kurt Hoffmann, dem besten Regisseur, den Deutschland je hatte, ist einer der wenigen Filme der fünfziger Jahre, der sich mit der Nazizeit und der Rolle der alten Nazis in der neuen Bundesrepublik kritisch auseinandersetzt. Bemerkenswert für einen deutschen Film, weil extrem schwierig: Dieser kritische Film ist auch noch sehr lustig. Im Stil einer nostalgischen Filmvorführung führen Neuss und Müller durch den Film und singen die Songs, die auch auf der gleichnamigen EP enthalten sind: »Sammelbüchsen-Song«, »Adolf-Tango«, »Zusammenbruch-Song« und »Lied vom Wirtschaftswunder«. Wolfgang Müller kam während der Dreharbeiten an dem Film »Das Spukschloss im Spessart« bei einem Flugzeugabsturz 1960 ums Leben. Als Wolfgang Neuss, fast 30 Jahre später, starb, wurde er auf seinen Wunsch hin neben Müller begraben.