Über christliche Gewerkschaften und Zeitarbeitsfirmen

Gelb und günstig

Die christlichen »Gewerkschaften« lassen sich von Zeitarbeitsfirmen Mitglieder zuführen. Nun erklärte nach dem Bundesarbeitsgericht auch das Berliner Arbeitsgericht einige ihrer Tarifverträge für nichtig.

Als sieben Berufsgewerkschaften außerhalb des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) im Mai einen offenen Brief publizierten, in dem sie gegen die inzwischen am innergewerkschaftlichen Widerstand gescheiterte Initiative des DGB und der Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände (BDA) zur »Tarifeinheit« Stellung bezogen, war der nach DGB und Beamtenbund formell drittgrößte Gewerkschaftsdachverband nicht unter den Unterzeichnern. Das könnte damit zu tun haben, dass der Christliche Gewerkschaftsbund (CGB) mit seinen angeblich 280 000 Mitgliedern mit Arbeitnehmerrechten und Gewerkschaftsfreiheit wenig anfangen kann. Außerdem hätten sich die Unterzeichner des offenen Briefes durch eine gemeinsame Erklärung mit dem CGB eher kompromittiert. Denn die christlichen »Gewerkschaften« haben unter Gewerkschaftern einen schlechten Ruf, den sie sich mit Dumping-Tarifverträgen und Gefälligkeiten gegenüber Unternehmen hart erarbeitet haben.

Die christlichen Gewerkschaftsverbände, die schon in der Weimarer Republik eine dem Klassenkampf der Lohnabhängigen feindliche Minderheit in der Arbeiterbewegung vertraten und vor allem in katholischen Milieus Einfluss hatten, profilierten sich auch seit ihrer Neugründung in den fünfziger Jahren dort, wo die DGB-Gewerkschaften schwach waren. Zwar nennt sich die CGB-Organisation DHV heute nicht mehr wie vor 1933 »Deutschnationaler Handlungsgehilfen-Verband«, sondern »Deutscher Handels- und Industrieangestellten-Verband«. Aber ihre antigewerkschaftliche Ausrichtung können die christlichen Gewerkschaften nicht verleugnen. So hat die Christliche Gewerkschaft Metall (CGM) ihre Schwerpunkte in den mittelständischen Zulieferbetrieben der Metall- und Elektroindustrie in Bayern und Baden-Württemberg. Vor allem der Boom des Niedriglohnsektors, etwa in den neuen Dienstleistungsbranchen und der Leiharbeit, hat dem CGB in den vergangenen Jahren neue Geschäftsfelder eröffnet, auch die zunehmende Schwäche des DGB trug dazu bei. Alleinstellungsmerkmal des CGB ist der Abschluss arbeitgeberfreundlicher Tarifverträge, weshalb er bei den Arbeitgeberverbänden ein gern gesehener Gesprächspartner ist.
Ob die Mitgliedsorganisationen des CGB überhaupt als Gewerkschaften zu betrachten sind, ist umstritten. Im Mittelpunkt der Diskussion steht dabei rechtlich die mangelnde Streikfähigkeit der CGB-Organisationen. Zumindest die Tarifverträge der Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personal-Serviceagenturen (CGZP), einem Zusammenschluss dreier CGB-Organisationen, sind seit dem Urteil des Berliner Arbeitsgerichts vom 30. Mai wohl endgültig annulliert. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hatte der CGZP bereits im Dezember grundsätzlich die Tariffähigkeit abgesprochen und damit die von dieser im Zeitarbeitsbereich abgeschlossenen Tarifverträge von 2009/10 für ungültig erklärt. Dieser Linie folgte nun auch das Berliner Arbeitsgericht, indem es die CGZP auch für die Jahre davor für nicht tariffähig erklärte.
Die zwischen 2004 und 2008 mit dem Arbeitgeberverband Mittelständischer Personaldienstleister (AMP) und anderen Arbeitgeberverbänden im Leiharbeitsgewerbe abgeschlossenen Tarifverträge sind damit nichtig. Nach vorsichtigen Schätzungen hat die CGZP in den vergangenen Jahren Tarifverträge für mehr als 200 000 Leiharbeiter abgeschlossen. Diese können nun rückwirkend höhere Löhne einklagen. Denn wenn es in einem Betrieb keinen gültigen Tarifvertrag gibt, steht ihnen der gleiche Lohn zu wie den Festangestellten. Das Recht auf rückwirkend angepasste Löhne haben Schätzungen des Spiegel zufolge 250 000 bis 280 000 Beschäftigte, also knapp ein Viertel aller Leiharbeiter in Deutschland. Von den Nachzahlungen betroffen sind bundesweit rund 1 400 Unternehmen. In der Praxis dürfte allerdings nur eine Minderheit der Beschäftigten Lohnnachforderungen stellen. Zu groß ist die Angst vor dem Jobverlust, zu prekär die Lage der Betroffenen, die oft wenig über ihre Rechte im Betrieb wissen. Aber auch wenn nur ein geringer Teil von ihnen den Rechtsweg beschreiten wird, könnten auf die Leiharbeitsfirmen hohe Nachforderungen von Beschäftigten und Sozialversicherungen zukommen. Allein die der letztgenannten werden auf zwei bis drei Miliarden Euro geschätzt.

Allem Anschein nach verbindet die Leiharbeitsfirmen und die CGB-Organisationen ein wechselseitiges Interesse, das über die Arbeitgeberfreundlichkeit gelber Gewerkschaften hinausgeht. So fand im März das ZDF-Magazin »Frontal 21« heraus, dass die Artos-Unternehmensgruppe, die an mehreren großen Leiharbeitsfirmen beteiligt ist, den christlichen Gewerkschaften jahrelang in großem Stil Mitglieder zugeführt hat, indem die Beitrittserklärung zu einer CGB-Gewerkschaft schlicht Teil der Einstellungsunterlagen war, die Mitgliedsbeiträge von der Leiharbeitsfirma direkt vom Lohn abgezogen und an die »Gewerkschaft« überwiesen wurden. Die Autoren des Beitrags berichteten: »Nach Aussage mehrerer ehemaliger Mitarbeiter der Artos-Unternehmensgruppe mussten alle Bewerber und Mitarbeiter die Beitrittserklärung zu den Christlichen Gewerkschaften unterschreiben. Die Leiharbeiter hätten bei Einstellung zwölf bis 15 Unterschriften leisten müssen – da sei die Unterschrift unter der Beitrittserklärung oftmals gar nicht aufgefallen.« Viele der Betroffenen wussten nicht einmal von ihrer Mitgliedschaft in einer christlichen »Gewerkschaft«. Der im Jahr 2004 von Artos mit der CGZP abgeschlossene Haustarifvertrag sieht Stundenlöhne von durchschnittlich 4,81 Euro vor. Der Abschluss von Tarifverträgen mit einem so offensichtlich »gegnerfinanzierten« Tarifpartner ist sogar nach dem deutschen Tarif- und Gewerkschaftsrecht ein Wirtschaftsdelikt.
Unbestreitbar dürfte sein, dass die CGB-Organisationen die Funktion haben, Tarifverträge und Mindestlöhne zu unterlaufen und im Interesse der Unternehmen Niedriglöhne festzuschreiben. Peter Schüren, Arbeitsrechtler an der Universität Münster, urteilte bereits vor drei Jahren: »Die Haustarifverträge der CGZP dienen ausschließlich der Optimierung der Arbeitsbedingungen unter dem Gesichtspunkt der Kostensenkung. Das erklärt sich schlicht aus den Umständen ihres Entstehens: Die CGZP ist außerstande, auch nur einem einzigen Unternehmen der Branche einen Haustarif aufzuzwingen – dazu hat sie keine Durchsetzungskraft.« Und auch nicht den Willen. Denn dem gewerkschaftlichen Gedanken des Interessensgegensatzes von Kapital und Arbeit stehen die christlichen »Gewerkschaften« von jeher verständnislos gegenüber. Ob nun gewollt oder aus Ahnungslosigkeit – nie waren sie etwas anderes als ein Instrument des Kapitals gegen die Lohnabhängigen.

So vereinbarte Verdi 2008 mit dem Bundesverband Zeitarbeit einen Mindestlohn von nur 7,38 Euro. Die CGZP einigte sich mit der Bundesvereinigung Deutscher Dienstleistungsunternehmen auf einen Lohn von 6,21 Euro. Im gleichen Jahr schloss der Bundesverband Deutscher Wach- und Sicherheitsunternehmen mit der christlichen »Gewerkschaft Öffentlicher Dienst und Dienstleistungen« (GÖDD) einen Branchentarifvertrag mit Stundenlöhnen zwischen sechs und 8,32 Euro ab. Ermöglicht und befördert wurde dies durch die längst vollzogene Schaffung eines breiten Niedriglohnsektors, dem gegenüber sich auch die DGB-Gewerkschaften defensiv verhalten. Oft brauchen die Arbeitgeber gar keine gelbe Gewerkschaft, um einen Niedriglohn-Tarifvertrag abzuschließen. Wenn der DGB etwa 670 Branchen- und Haustarifverträge mit Einstiegslöhnen unter sechs Euro zu verantworten hat, agieren er und die christlichen Gewerkschaften letztlich auf derselben Ebene.