Über den Blog »A Gay Girl in Damascus«

A Guy’s Doll from Damascus

Sie ist keine lesbische Frau aus Syrien, sondern ein US-amerikanischer Student: Die Identität der Bloggerin Amina ist geklärt. Die arabische LGBT-Szene befürchtet Repressionen.

Es war eine Erklärung, die zeigt, dass der Mann die Tragweite seines Handelns nicht begriffen hatte. Man sei im Urlaub und wolle sich keinesfalls mit den Verrücktheiten dieser Welt beschäftigen, erklärten Tom MacMaster und seine Frau Britta Froehlich, nachdem feststand, dass der 40jährige, derzeit in Schottland lebende US-Amerikaner der Autor des Blogs »A Gay Girl in Damascus« ist.
Vielleicht hatte MacMaster da noch geglaubt, dass die Konsequenzen für ihn überschaubar bleiben würden. Er hatte sich geirrt. Während manche westliche Kommentatoren zunächst noch meinten, es sei ja eigentlich vollkommen egal, wer bestimmte Inhalte transportiere, sofern die Fakten stimmten, zeigte sich insbesondere die arabische LGBT-Bewegung entsetzt darüber, dass ein Mann mittleren Alters sich im Internet als junge, syrische Lesbe präsentiert hatte. Vor allem kritisierten sie die Darstellung »Aminas«, wonach eine Frau in den arabischen Ländern offen lesbisch leben könne, als vollkommen realitätsfern.
Weitgehend unbeachtet blieben zunächst MacMasters politische Motive. In einer ersten Erklärung sprach er davon, dass er den Blog als Fingerübung in kreativem Schreiben betrachtet habe. Nachdem des öfteren Manuskripte von ihm abgelehnt worden seien, habe er versuchen wollen, glaubhafte Charakterdarstellungen zu verfassen. Das ist wohl nur ein Viertel der Wahrheit. In dem Interview, das MacMaster dem britischen Guardian gewährte, gibt es einen ausgesprochen ekelhaften Moment. Auf die Frage, ob er auch ein sexuelles Motiv gehabt habe, antwortete er ausweichend und bat dann darum, das Thema zu wechseln. Wohl aus gutem Grund. »Das ist kein kreatives Schreiben, das ist Softporno. Oder Online-Masturbation«, beschreibt das Onlinemagazin Slate die Sexszenen, in denen »Amina Abdallah ­Arraf« ihr Coming-out geschildert hatte. Dabei ging es nicht nur um mäßig gelungene Schilderungen eregierter Brustwarzen, sondern auch wie im gesamten Gay-Girl-Blog um knallharte politische Propaganda: »Amina« erlebte ihr Coming-out bzw. ihr erstes sexuelles Erlebnis mit einer Frau ausgerechnet am 11. September 2001. Und sie dankte im Blog Ussama bin Laden ernsthaft dafür, an diesem chaotischen Tag endlich ihre sexuelle Orientierung gefunden zu haben. Keinesfalls betrachtete sie den Terroristen als ihren Feind, eher war die US-amerikanische Gesellschaft für sie ein Problem.
In der Geschichte der lahmen Entschuldigungen dürfte MacMasters Erklärung zu einer der lahmsten gehören, denn eine Identität zu erfinden, um kreatives Schreiben zu üben, ist das eine, reale Menschen zu täuschen, das andere. Natürlich hat es in der Vergangenheit auch Autoren gegeben, die als Ich-Erzähler über Dinge berichteten, die sie nie erlebten. MacMaster jedoch bloggte nicht nur, sondern flirtete auch mit lesbischen Frauen und führte eine intensive Mail-Korrespondenz mit einer kanadischen Frau, die sich bald als Freundin »Aminas« verstand. Die Ängste, die sie ausgestanden haben dürfte, nachdem MacMaster seine Lügenstory über »Aminas« Verhaftung in die Welt gesetzt hatte, kann sich jeder ausmalen, der schon einmal verliebt war. Wobei nicht ausgeschlossen werden kann, dass MacMaster seine Sockenpuppe virtuell verhaften ließ, weil die kanadische Frau plante, sich im Juli in Italien mit der Bloggerin zu treffen.
Das wahre Motiv hinter MacMasters Aktivitäten ist jedoch ein ganz anderes: Der Amerikaner hat ein Problem mit Israel.
In einem ersten Interview mit BBC Online erklärte er, dass er sich aus politischen Gründen dazu entschlossen habe, die Identität einer lesbischen Araberin anzunehmen: »Seit einigen Jahren hatte ich schon das Gefühl, dass ich als in den USA lebender Mann in Diskussionen über den Nahen Osten immer die gleichen Reaktionen erhielt, wenn ich meine Fakten und Meinungen präsentierte: Warum bist du so antiamerikanisch, warum bist du so antijüdisch?«
Als arabische Frau getarnt, habe er Dinge sagen könne, die ihm als weißem Mann den Vorwurf des Antisemitismus und der USA-Feindlichkeit eingebracht hätte, sagte er. Welche Dinge das sind, wird in einem Blog-Eintrag des Gay Girl deutlich, der als Antwort auf einen CNN-Artikel (»Werden die Schwulen die Opferlämmer des arabischen Frühlings?«) gedacht war, in welchem es um die Unterdrückung von Lesben und Schwulen in arabischen Ländern geht. »Wir«, erklärte der 40jährige als »Amina«, und er meinte mit »wir« die arabische LGBT-Bewegung, »sind es schon gewohnt, dass die Propagandisten des Krieges, der Besatzung, Enteignung und Apartheit uns missbrauchen, um zu rechtfertigen, dass die primitiven Wüstenbewohner nichts anderes verdient haben, als von den erleuchteten Kindern des Westens umgebracht zu werden. Wir haben erlebt, wie unsere Geschichte dazu benutzt wurde, Morde an afghanischen Dorfbewohnern, palästinensischen Flüchtlingen, Irakern usw. zu propagieren.«
Als jemand, der in beiden Welten zu Hause sei – in der arabischen wie in der westlichen – könne sie »ganz ehrlich« feststellen, dass sie in Syrien niemals auch nur das geringste Problem wegen ihrer sexuellen Orientierung gehabt habe, lässt MacMaster seine Sockenpuppe ­schreiben. »Ich bin in den arabischen Ländern noch nie angegriffen, geschlagen oder auch nur beleidigt worden, weil ich eine Lesbe bin.« Ganz anders dagegen sei die Situation in den USA: »In Amerika wurde ich dagegen schon mit Dreck beworfen, weil ich den Hijab trug, und wurde von Fremden attackiert, weil ich Araberin bin.«
Zurücknehmen will der bloggende Lesbendarsteller seine Äußerungen nicht. Wenn auch die Identität fiktiv sei, so seien die im Blog präsentierten Fakten doch wahr, erklärte MacMaster. »Ich glaube, dass ich eine Stimme geschaffen habe, um die Themen, die mir wichtig sind, zu transportieren.«
Die Protagonisten der LGBT-Bewegung sehen das anders. Die Betreiber des Blogs Gay Middle East (http://gaymiddleeast.com), die u.a. staatliche Übergriffe und Verfolgung von Lesben und Schwulen in arabischen Ländern dokumentieren, müssen sich seit der »Amina«-Enthüllung mit massiven Vorwürfen auseinandersetzen, die vor allem von US-amerikanischen Antisemiten vorgebracht wurden. Seit Gay Middle East den Verdacht geäußert hatte, dass der »Gay Girl«-Blog ein Fake sei, werde man mit einer regelrechten Kampagne überzogen, die in der Behauptung gipfeltee, dass man von Israel bezahlt werde. So hatte etwa der bekannte US-amerikanische Schwulenaktivist Scott Long betont, dass einer der Macher von Gay Middle East »in Tel Aviv geboren sei« und einen israelischen Pass besitze. Long hatte behauptet, Gay Middle East porträtiere »das schwule Leben in arabischen Staaten als puren Horror, während Israel als Paradies der Gleichberechtigung von Schwulen und Lesben gezeigt« werde.
In einigen arabischen Ländern könne der Vorwurf der Kollaboration mit dem Zionismus Gefängnis, Folter und sogar die Todesstrafe bedeuten, schreiben die Herausgeber von Gay Middle East in einem Statement. »Solche Behauptungen bringen unsere Aktivisten in ernsthafte Gefahr, verhaftet oder gar umgebracht zu werden. Und außerdem können sie zu einer Welle der Homophobie in der arabischen Welt führen.«
Zuvor hatte ein syrischer Blogger von den Auswirkungen der »Amina«-Affäre auf sein Alltagsleben berichtet. Für ihn hieße es nun: »back to the closet«. Freunde und Verwandte hätten Angst um ihn und würden deshalb darauf drängen, dass er in Deckung bleibe. Die Entschuldigung von MacMaster sei lächerlich, schließlich habe dessen Fake Menschenleben gefährdet. Auf der Website Queerty hieß es außerdem, MacMaster werde wohl genau von denjenigen, die er durch seinen Blog in Gefahr gebracht habe, nichts zu seiner Entlastung hören, denn »die syrischen Schwulen, Dissidenten und Journalisten haben keine Zeit, seine dämliche Entschuldigung anzuhören, weil sie im Moment in den Gefängnissen brutal vergewaltigt und gefoltert werden«.