Über die Pride-Parade in Budapest

Stolz und Vorurteil

Im Vergleich zu den vergangenen Jahren feierte Budapest dieses Jahr ein erfolgreiches Pride-Festival. Die Veranstalter kritisieren die Verfassungsänderung und die homophoben rechtsmilitanten Anfeindungen in Ungarn. Dabei berufen sie sich aber selbst auf Nation und Familie.

Sie sind drin: Luxy, Barbi und Zsuzsi haben die Gesichtskontrolle hinter sich und stehen auf Budapests Prachtstraße mitten in der Menge der Pride-Parade. Wie in den vergangenen Jahren auch laufen die Demonstrierenden in einem von der Polizei geschützten Korridor, an dessen Zugang die Veranstalter Taschen und Outfit der Teilnehmenden kontrollieren.
Am Vorabend konnten Luxy, Barbi und Zsuzsi nicht feiern. Die Türsteher einer Budapester Schwulenbar wiesen die drei Roma ab. Die »Men- Pride-Party« fand ohne sie statt. Darüber sind die drei verstimmt, aber nicht verwundert. Für sie war das eher eine Art déjà vu. Denn auch in ihrem Dorf werden sie von der Mehrheit nicht akzeptiert: Die drei leben in Gyöngyöspata, dem Dorf, das von rechtsextremen Bürgerwehren wochenlang belagert wurde, bis die Roma schließlich evakuiert wurden (Jungle World 14/11). Der Besuch in Budapest ist für Luxy, Barbi und Zsuzsi ein Urlaub davon.

Die Mittagssonne knallt, die drei cremen sich mit Sonnenschutz ein. »Wir freuen uns auf eine tolle Party und all die Leute hier«, sagt Barbi. Von drei LKW kommt Musik. Vier Kilometer wollen die Organisatoren laufen, bis zum ungarischen Parlament. Im vergangenen Jahr mussten sie wegen Protesten nach knapp einem Kilometer umdrehen. »Wir haben Angst, ein bisschen zumindest«, gibt Luxy zu. Die drei Roma haben die Rechts­ex­tre­men vor der eigenen Haustür kennengelernt, aber es ist ihre erste Pride hier in Budapest, genauso wie für András Szeles. Bei den Protesten gegen das Mediengesetz hielt er im März eine Rede vor 30 000 Leuten. Heute sind 1 500 bis 2 000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer anwesend. »Wenn der Fokus auf die LGBT-Community oder die Roma fällt, ist man schnell wieder allein«, sagt Szeles.
Viele Workshops im Rahmen des Pride-Festivals thematisierten das ungarische Mediengesetz und mehr noch die neue Verfassung, die im April verabschiedet wurde. In ihrer Präambel, dem sogenannten nationalen Glaubensbekenntnis, heißt es, dass »die Familie und die Nation den wichtigsten Rahmen des Zusammenlebens« bilden. Die Verfassung schützt die Ehe von Mann und Frau und spricht von der Familie »als Grundlage des Fortbestehens der Nation«. Im Artikel zur Menschenwürde wird der Schutz des menschlichen Lebens »ab seiner Empfängnis« festgeschrieben. Ein expliziter Verweis auf das Verbot von Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung fehlt. Dadurch fühlt sich die LGBT-Community in ihren Bürgerrechten geschwächt.
Das Symbol der diesjährigen Pride-Parade, ein Anstecker ähnlich einer Aids-Schleife, zeigt die Ungarn-Flagge und die Regenbogenfahne. Der Bezug auf die Nation ist in der Community umstritten. Bei einer Diskussionsveranstaltung am Vorabend der Parade äußern vor allem Teilnehmende, die nicht aus Budapest kommen, Kritik daran. »Warum ruft ihr nach der Nation, wenn es euch beim Pride um den Kampf gegen Homophobie geht?« fragt eine Teilnehmerin.

»Drei Kreuzungen weiter stehen die Rechten«, sagt Szeles, der mit seinem schlichten Outfit eher aus der Menge fällt. Der rechtsmilitante László Toroczkai hat Medienberichten zufolge eine Gegendemonstration angemeldet. Umgeben von angeheuerten Security-Leuten und Polizei feiert die Parade der rechtsextremen Kundgebung entgegen. Luxy, Barbi und Zsuzsi laufen im pinken Block, dem lautesten von allen. Als auch die Rechtsextremen zu hören sind, biegt die Parade ab. Durch enge Seitenstraßen läuft sie vorbei an den Hassrufen, die von der nächsten Kreuzung hinüberschallen.
Ein Hooligan steht ganz vorne am Polizeigitter und kann gar nicht oft genug den Hitlergruß machen. An einer anderen Stelle versuchen die rechtsextremen Demonstranten durchzubrechen, werden aber mit Pfefferspray daran gehindert.
Doch es gibt auch andere Szenen. In der Stadt winken vor allem die Touristen, die schon fast alle zentralen Plätze füllen und am Rande der Parade flanieren. Aber auch aus den offenen Geschäften und aus den Fenstern grüßen Zuschauer. Von einem Balkon jubeln zwei Zwillingsschwestern im pinken Kleid. Der Nachbar unter ihnen zeigt mit dem Daumen nach unten.
Immer wieder rennt einer der Organisatoren mit dem Lautsprecher hektisch vor und zurück. Polizisten mit Hunden sind dazugerufen worden. Die linke Straßenspur bleibt zunächst der Polizei vorbehalten, später ist sie wieder frei. Handfeste Übergriffe sind während der Parade nicht zu verzeichnen.
Der Alltag in Ungarn sieht jedoch für viele Schwule, Lesben und Transgender-Personen anders aus. Die Ressentiments in der Gesellschaft sind nach wie vor sehr stark. Laut einer Studie der Loránd-Eötvös-Universität wollen 67 Prozent der Befragten Ungarinnen und Ungarn keinen Schwulen als Verwandten, 65 Prozent keinen als Freund, 46 Prozent keinen als Nachbarn.
Eine aktuelle Umfrage der Budapester NGO Háttér zeigt, dass Gewalt gegen LGBTs in Ungarn verbreitet ist. Jeder sechste lesbisch-schwule Befragte ist in seinem Leben wegen seiner sexuellen Identität angegriffen worden. Für die Transgender-Personen unter den Befragten sieht es noch schlimmer aus: 26,2 Prozent von ihnen gaben an, Opfer von Gewalt gewesen zu sein. Allein im vergangenen Jahr seien mehr als jede und jeder zehnte von ihnen angegriffen worden.
Der Sozialwissenschaftler Tamás Dombos hat diese Zahlen für einen Bericht in Erfahrung gebracht, der von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung in Auftrag gegeben wurde. »Auch in Ungarns schwullesbischer Community haben Transgender-Personen nicht unbedingt eine gute Position«, sagt er. Ähnlich sei es für Roma. Rassistische Einlasskontrollen in Bars und Discos gebe es in der Szene genauso oft wie sonst auch. »Es ist traurig, aber das gehört leider zum Alltag«, sagt Dombos. »Vielleicht ist es so, dass im Kampf gegen den Widerstand in der Gesellschaft die Leute vergessen, sensibel mit anderen Kategorien umzugehen«, versucht er zu erklären. Queere Lokale gebe es jedenfalls bisher kaum.
Viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Workshops kritisieren den allgemeinen Tenor der Parade, nicht nur in Hinblick auf die Betonung der Nation, sondern auch, weil das Image der Veranstaltung »weiß, männlich und middle-class« sei. Auch in den Werbevideos für die Parade werden diese Aspekte deutlich, etwa mit Slogans wie: »Ich bin Ungar und schwul« oder mit Bildern von einem glücklichen, erfolgreichen Kleinfamilienleben.

Trotz aller Widersprüche: Die Parade, die zunächst im Februar von der Polizei mit der Begründung untersagt worden war, sie behindere den Verkehr, ist erfolgreich. Sie erfuhr vor allem wieder große internationale Unterstützung. Eine Delegation von Amnesty International und mehrere EU-Abgeordnete sind anwesend, ebenso Aktivistinnen und Aktivisten aus Wien und Berlin.
Auch die Regierung war eingeladen worden.Auf Anfrage der Jungle World sagte eine Regierungssprecherin freilich, dass es »wohl bei niemandem auf der Agenda steht, an der Pride-Parade teilzunehmen«.
Die Parade ist nun schon eineinhalb Stunden unterwegs, noch immer scheint die Sonne. »Ich bin ein wenig müde vom Laufen«, sagt Szeles. Ihm gefällt die Stimmung, »ich habe es mir viel trauriger vorgestellt«, sagt er. Dass er zum ersten Mal dabei ist, hat seinen Grund. Als er vor zwei Jahren gegen die rechtsextreme Partei Jobbik demonstrierte, wurde er fotografiert. Neben dem Bild fanden sich auf der rechten Internetseite kuruc.info bald auch allerhand persönliche Informationen über ihn. Wochenlang bekam er Hassbriefe und Drohungen. Damals war Jobbik noch nicht im Parlament vertreten. Auf der gleichen Internetseite findet sich am Tag nach der Parade ein Bild von Luxy, Barbi und Zsuzsi.

Kurz bevor die Parade am Ort der der Abschlusskundgebung ankommt, verschwinden zwei der Trucks in einer Seitenstraße. Die Aktivistinnen und Aktivisten schneiden die Luftballons von den LKW los, wechseln die Kleidung, stecken ihre Plakate weg. Die Party ist für sie vorbei. Direkt hinter der Bühne reihen sich die homophoben Demonstranten an der Polizeiabsperrung auf. Auf der Bühne freuen sich die Veranstalter über »die phantastische Pride-Botschaft, die keine Verfassung und kein Gesetz wegnehmen kann«, während das Brüllen der Rechtsextremen die Reden immer wieder übertönt. Rufe gegen die rechtsextremen Slogans kommen auf, aber die Organisatoren und die Security-Leute halten die Rufenden zurück. Die Kundgebung löst sich schon während der Reden auf.
Die ersten Gitter an den Seitenstraßen werden abgeräumt. Eine große Gruppe von Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Parade trifft an der ersten breiten Kreuzung auf eine Gruppe von Männern im Karohemd. Die spucken, schubsen, schimpfen. Neonazis kommen hinzu, die Polizisten sind in der Unterzahl. Eine Polizeikette trennt beide Gruppen. Auch Luxy, Barbi und Zsuzsi sind dabei.
Wie es ist, wenn sich die Ressentiments mischen, wissen Luxy, Barbi und Zsuzsi nur zu gut. Als sie aus Gyöngyöspata evakuiert werden wollten, wurden sie ausgeschlossen. Sie seien »peinlich« und »unangenehm« für die Leute, wurde ihnen von anderen Roma erklärt, die an der Organisation der Evakuierung beteiligt waren. Auch in ihrem Dorf gebe es noch zu viele Leute, die sie lieber Csaba, Krisztián und Zsolt nennen würden.