Erfassung von Mobilfunkdaten bei einer Demonstration gegen Nazis in Dresden

Dresden calling

Erst kürzlich wurde bekannt, dass bei einer Demonstration gegen Nazis in Dresden mehr als eine Million Mobilfunkverbindungen polizeilich erfasst wurden. Betroffene wollen nun gerichtlich dagegen vorgehen.

Eine »Überwachungsstaatsmentalität« sei das, empörte sich der Jenaer Oberbürgermeister Albrecht Schröter (SPD). Bei der Pressekonferenz, zu der das Bündnis »Dresden nazifrei« am Donnerstag voriger Woche in das Berliner »Haus der Demokratie« eingeladen hatte, ging es um die großangelegte Erfassung von Handydaten durch die Dresdener Polizeibehörden. Bodo Ramelow, Fraktionsvorsitzender der Linkspartei in Thüringen, sprach von einem »Vorgeschmack auf die Vorratsdatenspeicherung«. Selbst in der FAZ nannte Constanze Kurz Dresden in einer Reihe mit »Teheran, Damaskus, Minsk«. Was vor elf Tagen mit einem Artikel in der Taz begann, hat sich seit voriger Woche zu einem politischen Skandal entwickelt. Der sächsische Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) zitierte den Landespolizeipräsidenten Bernd Merbitz von der Innenministerkonferenz im hessischen Frankfurt zum Rapport nach Dresden.

Die Taz hatte aufgedeckt, dass es am Rande einer Demonstration gegen Neonazis am 19. Februar zu einer flächendeckenden sogenannten Funkzellenauswertung gekommen war, bei der nicht nur die Handydaten von Tausenden Demonstranten, sondern auch von Anwohnern, Anwälten, Politikern und Journalisten gespeichert wurden. Im Gebiet der Dresdener Südvorstadt wurden 138 630 Mobilfunkverbindungen gesammelt. Am Freitag voriger Woche räumten der sächsische Innenminister Markus Ulbig (CDU) und der Justizminister Jürgen Martens (FDP) ein, dass es noch eine weitere Funkzellenauswertung gegeben habe, bei der am 18. und 19. Februar 896 072 »Verkehrsdatensätze« von Mobiltelefonen erfasst wurden. Es geht also mittlerweile um über eine Million erfasste Anrufe und SMS. Ein gemeinsamer Bericht des sächsischen Innen- und Justizministeriums kommentiert die flächendeckende Erfassung mit der lapidaren Bemerkung, es liege »in der Natur der Sache, dass viele Unbeteiligte betroffen sein können«. Im Bericht wird das Vorgehen der Polizei damit gerechtfertigt, dass das Ausmaß des Datenaufkommens vorher nicht einschätzbar gewesen sei.

Die Daten aus der Funkzellenabfrage seien grundsätzlich für Ermittlungsverfahren wegen schweren Landfriedensbruchs verwendet worden, in 45 Fällen seien sie jedoch auch in Ermittlungen gegen Personen eingeflossen, denen lediglich die Blockade des Neonazi-Aufmarsches vorgeworfen wird, gaben die Behörden zu. Die Aktion habe sich aber »innerhalb eines Rechtsrahmens« bewegt, teilte ein Sprecher des Ministerpräsidenten vorige Woche mit. Mittlerweile scheint man sich in Sachsen aber nicht mehr ganz so sicher zu sein, ob die Erfassung der Daten rechtmäßig war. Zumindest hat der sächsische Innenminister am Montag den Dresdener Polizeipräsidenten Dieter Hanitsch abberufen, er soll versetzt werden.
Die Funkzellenabfrage wurde bekannt, weil die Dresdener Staatsanwaltschaft im Mai unter anderem einige Teilnehmer der Blockade an der Fritz-Löffler-Straße darüber informiert hatte, dass gegen sie wegen des Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz Ermittlungsverfahren eingeleitet worden waren. Bei der Akteneinsicht stießen Anwälte auf die Funkzellenabfrage. Auf Nachfrage der Taz bestätigte die Staatsanwaltschaft schließlich die Erfassung der Mobilfunkverbindungen. Der richterliche Beschluss für eine rückwirkende Abfrage der Handydaten wurde von der »Soko 19. Februar« erwirkt, die drei Tage nach der Demonstration gegründet worden war. Ihr wurden daraufhin fast 140 000 Mobilfunkverbindungen übermittelt.
Die Soko war in den vergangenen Monaten auch über die Auswertung der Funkzellenabfrage hinaus aktiv. »Die Soko jagt gerade die Polizeibeobachter in Dresden«, sagt ein Polizeibeobachter, der nicht namentlich genannt werden möchte. Zur Gruppe der Polizeibeobachter gehören auch Anwälte und Abgeordnete von Parteien. In ihrem Abschlussbericht zu den Demonstrationen vom 19. Februar hatte die Gruppe angemerkt, dass die Polizei »deutlich überfordert« gewesen sei und dies mit »unverhältnismäßig hartem Vorgehen« gegen die Blockierer des Neonazi-Aufmarsches »kompensiert« habe. In den vergangenen Wochen hat die Soko Briefe an bekannte Polizeibeobachter verschickt, darunter an die grüne Landtagsabgeordnete Eva Jähnigen.
Auch Sanitäter, die in der Dresdener Südvorstadt im Einsatz waren, wurden von der Polizei angeschrieben. Sie hatten 150 verletzte Demons­tranten behandelt. In einem Brief, der der Jungle World vorliegt, äußerte das Dezernat 3 »besonderes Interesse« an »konkreten Angaben« zu den behandelten Demonstranten und Zeugen. »Wir unterliegen der Schweigepflicht«, sagt ein Sanitäter aus Sachsen, deswegen hätten sie keine Angaben gemacht. Busunternehmen, die Demonstranten nach Dresden gefahren haben, erhielten ebenfalls Post von der Polizei. Ihnen wurden Fragen zu den Organisatoren der Reise, zur Fahrtroute, zu den Gesprächen im Bus und zu den Fahrern gestellt. Ein Busfahrer aus Brandenburg sagt der Jungle World: »Die Formulierungen im Brief erwecken den Eindruck, dass man selbst unter Verdacht steht.«
Gegen Abgeordnete der Linkspartei und der Grünen werde offenbar ermittelt, berichtet Kristin Pietrzyk, die Anwältin von »Dresden nazifrei«. Schon nach der Blockade des Naziaufmarsches am 13. Februar im vorigen Jahr waren gegen die Fraktionsvorsitzenden der »Linken« aus Hessen, Sachsen und Thüringen wegen »Rädelsführerschaft« Ermittlungen aufgenommen worden.

»In Sachsen läuft eine Repressionsmaschine, die auf Abschreckung ausgerichtet ist«, sagte Ramelow zur Funkzellenauswertung. Schröter befürchtet, dass die Erfassung der Handydaten nicht die »organisierenden Gruppen« abschrecken wird, sondern jene, »die wir gerade erst gewonnen haben«. Dass es dazu kommt, möchte das Bündnis »Dresden nazifrei« verhindern. Man werde gegen die Maßnahmen der Staatsanwaltschaft und Polizei notfalls bis vor das Bundesverfassungsgericht gehen, sagt Pietrzyk.