Über das Leben in Metropolen hier und anderswo

Woanders wohnen

Was kosten die Wohnungen? Sind auch andauernd alle unzufrieden mit der Nachbarschaft? Gibt es Parks, und wenn ja, darf man da grillen? Wie lebt man in deutschen und internationalen Großstädten?

Das Berlin des Ostens
Aus Peking berichtet Christian Y. Schmidt
Peking ist praktisch genauso wie Berlin, nur eine Idee anders. Auch in Peking steigen die Mieten wegen der Immobilienspekulation, sind aber im Weltvergleich immer noch recht niedrig. Die Leute bleiben deswegen einigermaßen gelassen, schimpfen aber trotzdem auf »die da oben« (sog. Pekinger Schnauze). Ansonsten geht auch der Pekinger dauernd aus, allerdings eher zum gemeinsamen Essen als zum kollektiven Trinken – wobei dann beim Essen doch wieder ordentlich getrunken wird. Nur die westlich angehauchten Pekinger (Chinesen und Ausländer) gehen gleich in die vielen Clubs, Bars und Giganto-Diskotheken.
Am Wochenende dackelt mancher in einen der quadratkilometergroßen Kunstdistrikte (798, Cao Changdi, Songzhuang etc.) und guckt sich hier regierungskritische Kunst, schlichtes Kunsthandwerk, plumpen Quatsch und puren Kitsch an. Da gleicht dann Peking eher Kassel zur Zeit der Documenta. Oder man vergnügt sich in ­einem der neuen Riesenparks (Olympic Forest Park, Chaoyang Park, Sanhaizi Park). Peking hat sich nämlich in den vergangenen zehn Jahren von einer grauen Wüstenstadt in eine Gartenstadt verwandelt; 45 Prozent des eigentlichen Stadtgebiets sind laut Xinhua bereits begrünt, und die Grünflächen wachsen weiter. Gegrillt wird in den Parks nicht. Das passiert dafür abends auf den Straßen.
Die Touristen marschieren auch noch in die Nan Luguo Xiang, so etwas wie eine extrem verdichtete Bergmannstraße in der Altstadt. Oder sie hängen am innerstädtischen Houhai-See ab, an dem es nachts so ähnlich zugeht wie auf der Kreuzberger Admiralbrücke. Natürlich werden sie dafür von den Pekingern verachtet. Man hasst die Touristen aber nicht, weil sie schönes Geld im Gepäck haben. Die Touristen wundern sich auch darüber, dass es so wenige Fahrräder auf den Straßen gibt, nämlich etwa so viele wie in Berlin bei schönem Wetter, und dass stattdessen auf Pekings Straßen die Autos dominieren.
Eins dieser anachronistischen Fahrgeräte selbst zu benutzen, empfiehlt sich allerdings nicht, denn mit einem Auto steht man nur im Stau. Dagegen ist die Nutzung der Pekinger U-Bahn inzwischen das reinste Vergnügen, wenn man von den Stoßzeiten einmal absieht. Das U-Bahn-Netz wurde in den vergangenen Jahren gewaltig erweitert. Allein Ende vorigen Jahres kamen fünf neue Linien von insgesamt mehr als 100 Kilometern Länge dazu. Das heißt: Wie in Berlin kann man jetzt die eigentliche Stadt mit der U-Bahn verlassen und in die eingemeindeten Vororte fahren oder direktemang aufs Land.
Natürlich gibt es bei den U-Bahn-Exkursionen auch ein paar Unterschiede: Um Peking herum liegen weniger Seen als vor den Toren Berlins, und eine Fahrt mit der Pekinger U-Bahn kostet umgerechnet nur 22 Eurocent – egal, wie lange man fährt und wie weit das Ziel entfernt ist. Dieser Preis gilt übrigens erst seit 2007; vorher betrug er 33 bis 76 Cent. In Peking wurde nämlich dank massiver staatlicher Subventionen der Fahrpreis gesenkt, während man in Berlin für den öffentlichen Nahverkehr laufend mehr bezahlen muss.
In Chinas Hauptstadt ist also alles nur etwas größer, schneller und billiger. Ansonsten aber lebt man hier praktisch genauso wie in Berlin.

Im Verbrecher Verlag ist gerade Christian Y. Schmidts ­Peking-Tagebuch »Im Jahr des Tigerochsen« erschienen.
Hier wird nicht geschlafen
Aus New York berichtet Zoé Sona
New York ist laut, bunt und schnell, und genau so sind auch die New Yorker: Sie reden laut, lachen gern und haben immer viel zu tun. Sie sind ständig unterwegs, haben einen Termin nach dem anderen, arbeiten, engagieren sich ehrenamtlich und treiben Sport. Wer Musik macht, spielt nicht nur in einer, sondern gleich in vier Bands, jätet außerdem Unkraut im Community Garden und organisiert Wohlfahrtsveranstaltungen für Unterklassekinder.
Selbst wenn die New Yorker sich in einem der wenigen öffentlichen Parks erholen wollen, dürfen sie sich dort nicht den kleinen Sünden des Alltags hingeben: Zigaretten und Alkohol sind streng verboten, und mit Einbruch der Dunkelheit werden die grünen Oasen gnadenlos von der Polizei geräumt. Also ab in die nächste Bar. Doch dort sind die Preise für Drinks so hoch, dass man sich innerhalb kürzester Zeit finanziell ruiniert. Wer dem Bankrott entgehen will, muss am nächsten Tag wieder arbeiten gehen, um in der kapitalistischen Tretmühle der Hoffnung auf ein besseres Leben weiter zu machen. Doch das bessere Leben versuchen die New Yorker schon im Hier und Jetzt zu verwirklichen. Gesundes Essen ist ganz groß wichtig. Ob fettreduzierte Ziegenmilch oder ökologisch, regional und nachhaltig produziertes Fleisch von frei weidenden Rindern – die New Yorker ernähren sich politisch korrekt. Auch die Zahl der Fahrradfahrer nimmt zu, und Fahrradwege sind gar nicht so selten. Doch gegenüber Autofahrern ist man komplett rechtlos und schnell tot. Also steigen die sportlichen und umweltbewussten New Yorker lieber in die Metro.
Und hier zeigt sich die andere Seite New Yorks: Stickig, heiß und schmutzig ist es unterhalb der glänzenden Oberfläche. Die Züge haben ständig Verspätung oder fallen sogar aus. Sind die New Yorker endlich zu Hause angekommen, erwartet sie eine winzige Bude zu gewaltigen Mietpreisen.
Aber was soll’s. Nach Hause gehen die New Yorker sowieso nur zum Schlafen. Und selbst da haben sie keine Ruhe, denn nachts beißen die Bettwanzen zu. Ganz im Gegensatz zu den New Yorkern sind sie leise, unscheinbar und sesshaft. Sie stellen wahrscheinlich die größte Bevölkerungsgruppe im Melting Pot und sind der einzige verlässliche Fixpunkt im metropolitanen Alltagstrubel.

Swimmingpool und Stockschläge
Aus Singapur berichtet Ivo Bozic
Singapur ist nicht nur eine Stadt, sondern auch ein Staat. Aber doch mehr das Erste als das Zweite. Doch nichts erinnert an die alte Piratenhochburg, wie man sie aus manchen Filmen kennt. 100 Prozent aller Singapurer haben einen Migrationshintergrund, wobei drei Viertel Chinesen sind. Die erste Sprache, die man in der Schule lernt, ist Englisch. 80 Prozent wohnen in Plattenbauten bzw. Hochhaussiedlungen. Viele Hochhäuser gehören zu sogenannten Condominiums, einer Art gated communities. Es gibt ärmlichere, bessere und hochklassige.
Das etwas bessere, mittelgroße, in dem ich hier gerade ein paar Wochen wohne, besteht zum Beispiel aus fünf zehnstöckigen Wohnkomplexen, die man nur durch ein Schrankenhäuschen betreten kann. Die Pförtner würdigen allerdings niemanden auch nur eines Blickes, weshalb von »gated« eigentlich nicht die Rede sein kann. Wer die zahlreichen Überwachungskameras überwacht, ist auch unklar. Zwischen den Hochhäusern liegt eine gepflegte Grünanlage mit Rasen, Blumen, Kokospalmen, außerdem ein riesiger Swimmingpool, in dem man tagsüber fast immer alleine ist. Zudem gibt es zwei Tennisplätze, eine Tischtennisplatte, Spiel- und Grillplätze, eine Squash-Halle und ein Fitnessstudio – alles zur allgemeinen, freien Benutzung.
Das Klima hier – Singapur liegt fast am Äquator, auf einer Insel zwischen Malaysia und Indonesien – ist unmenschlich. 24 Stunden am Tag sind es 30 Grad bei mindestens 85 Prozent Luftfeuchtigkeit – wenn es nicht gerade regnet oder gewittert, dann ist’s natürlich noch feuchter. Und es regnet oft. Darum sind die Parks hier auch purer Regenwald mit wild lebenden Affen und wuchernder Dschungelflora. Weil man sich nicht draußen aufhalten kann, halten sich alle, die es irgendwie einrichten können, den ganzen Tag in Räumen mit Aircondition auf, als da sind die Busse und die klinisch saubere, perfekt funktionierende U-Bahn, die Einkaufszentren und riesigen Shopping Malls, die Büros und alle anderen geschlossenen Räumlichkeiten, einschließlich der Wohnung, in der man lebt.
Es gibt allerdings auch Stadtviertel, in denen es etwas weniger kühl zugeht, das sind die ärmeren. Da sitzen die Menschen abends auf der Straße in den Food Courts und essen im Wind der Ventilatoren. Dort liegt dann auch mal etwas Müll auf der Straße, oder jemand macht laut Musik. Selbst ein Rotlichtviertel gibt es, während Kaugummikauen in der U-Bahn, Pornographie und homosexuelle Handlungen verboten sind. Wer auf Zero-Tolerance-Politik steht, auf willkürliche Zensur und den Big-Brother-Staat aus »1984« ist in Singapur genau richtig. Auf jedes noch so kleine Vergehen stehen drastische Strafen. Als vor einem Jahr ein Schweizer bei einem unfassbar dreisten Verbrechen erwischt wurde – er hatte auf einen im Depot stehenden U-Bahn-Waggon Graffiti gesprüht –, wurde er zu drei Stockschlägen und fünf Monaten Haft verurteilt.
Die Wohnungen kosten in Singapur ein Vermögen, denn über fünf Millionen Menschen leben hier auf einer Fläche so groß wie die von Hamburg. Viele leben mit 30 Jahren noch bei ihren Eltern. Für Singles ist das Anmieten einer Wohnung alleine gar nicht erlaubt, darum ist Flatsharing, also Leben in WGs, sehr verbreitet. Oft wohnt auch noch eine Nanny bzw. Hausangestellte in der kleinen Wohnung.
Das Zusammenleben der Chinesen, Malaien, Inder, Tamilen, Indonesier und der zahlreichen weißen »Expats«, die in ihren weißen Hemden und schwarzen Anzughosen vor allem den Central Business District (»CBD«) bevölkern, klappt zumindest oberflächlich ganz gut. Überall in der Stadt stehen buddhistische und hinduistische Tempel, Kirchen, Moscheen und Shopping Malls friedlich nebeneinander. Von Gentrifizierung kann man eigentlich nur in dem Sinne sprechen, als dass die Geschichte Singapurs eine einzige Kolonialgeschichte und die gesamte Stadt ohnehin künstlich angelegt ist. Die Strände hat man samt Palmen aus Indonesien eingeschifft, durch effektive Landgewinnung ist Singapur bereits um 20 Prozent gewachsen. Anders gesagt: Ohne Kolonialismus und ohne Gentrifizierung gäbe es das heutige Singapur überhaupt nicht, und das wäre wirklich schade.

Hinter Sperrmüllbarrikaden
Aus Frankfurt am Main berichtet Daniel Steinmaier
In meinem neuen Viertel funktioniert das mit der Gentrifizierung nicht. Leider. Dabei liegt das Frankfurter Gutleutviertel geradezu ideal. Man könnte von hier aus morgens mit wehender Krawatte auf seinem Fixi-Rennrad zur Europäischen Zentralbank, zur Deutschen Bank oder zum Commerzbank-Tower zur Arbeit flitzen, unterwegs noch einen Latte schlürfen oder auf dem Rückweg der Geliebten im Feinkostladen an der Ecke ein wenig französische Gänseleberpastete kaufen.
Abends ließe sich wenige Meter weiter am Main auf einer der dort anlegenden Dschunken unter bunten Lampions japanisches Sushi essen. Hinterher könnte man eines der vielen netten Cafés auf dem Schönplatz besuchen, in denen Swing, Minimal oder Dubstep aufgelegt wird, um mit befreundeten Kollegen in Ruhe bei einem Cocktail über die am nächsten Tag anstehenden Transaktionen zu plaudern. Es könnte so schön sein hier, wenn es denn all dies gäbe.
Dass es im überaus zentral gelegenen Frankfurter Gutleutviertel realiter anders aussieht, kann ich mir bislang kaum erklären. Haben die gelangweilten Typen aus dem Wettbüro an der Ecke mit ihren fiesen Blicken, die Alkoholiker am Schönplatz-Kiosk mit ihrem Gegröle oder die Hartz-IV-Familien, die dort immense Sperrmüllbarrikaden auftürmen, es etwa mit derlei subversiven Praktiken geschafft, erfolgreich die Invasion der Yuppies abzuwehren – im Gegensatz zu ihren Neuköllner und Kreuzberger Prekariatsgenossen?
Oder ist das Ganze ein Geschmacksproblem der Wohlhabenden? Denn diejenigen, deren Geld hier dafür sorgen könnte, dass endlich Sushi auf Dschunken am Mainufer serviert wird oder es meinetwegen auch nur trinkbaren Filterkaffee im Gutleutviertel gibt, die ziehen, und das ist der Skandal, nach Wiesbaden. Oder gar in andere provinzielle Nester, deren Postanschrift jedem halbwegs urban geprägten Menschen die Schamesröte ins Gesicht treiben dürfte. Manche der Wohlhabenderen hier brettern nach der Arbeit mit ihren Cabrios, laut Rammstein hörend, in Orte wie Oberursel. Wo ist da bitte die Distinktion zum bäuerlichen Proletariat? Der Sinn für feine Unterschiede?
Oder haben alle potentiellen Gentrifizierungspioniere wie Studenten, Künstler und Linke kollektiv beschlossen, das Gutleutviertel zu meiden, um das Prekariat hier alleine versauern zu lassen? Das wäre fatal. Wie auch immer, es wird Zeit, dass sich das ändert. Wenn ihr den letzten leerstehenden Laden auf der Weserstraße in das zweitausenddreihundertvierte Modeatelier Neuköllns verwandelt habt, schwule Jungs in zu engen Hosen die Bewohner Marzahns nach Brandenburg vertrieben haben und die Mieten Treptows endlich so hoch wie in München sind, werdet ihr Berliner Hipster schon noch merken, dass man auch auf dem Schönplatz im Frankfurter Gutleutviertel mal ein Café eröffnen könnte, in dem es sich aushalten lässt. Ich jedenfalls wäre euch dafür sehr dankbar.

Posto Letto
Aus Rom berichtet Federica Matteoni
In einer Stadt zu leben, in der urbane Mobilität überhaupt nicht vorhanden ist, ist eine Herausforderung. Über drei Millionen Einwohner und zwei U-Bahn-Linien, die um 23.30 Uhr ihren Betrieb einstellen, gibt es hier. An Bus- oder Tramhaltestellen wird die meiste Zeit gewartet, bis irgendwann irgendetwas passiert. Ankommen, egal wo und egal wie, ist in Rom immer Glückssache. Unter diesen Bedingungen ist es nicht nur schwer, den eigenen Alltag zu gestalten, auch ein erfülltes Sozialleben wird dadurch unmöglich gemacht. Den meisten Römern fällt es nicht auf, aber wer die Autofahrer im Stadtverkehr beobachtet oder, noch schlimmer, sich unter ihnen befindet, wird feststellen: Auch sie sind nicht glücklich. Das liegt vermutlich nicht nur daran, dass die meisten von ihnen einen langen Arbeitstag vor bzw. hinter sich haben, sondern auch daran, dass am Ende des Monats ungefähr die Hälfte von dem, was sie verdienen, für die Miete draufgeht.
Eine Zweizimmerwohnung unter 1 200 Euro zu finden, ist reine Utopie, wer zentral oder zumindest an einer der beiden U-Bahn-Linien wohnen möchte, muss mit dem Doppelten rechnen.
Aber es gibt Lösungen jenseits des mittlerweile sprichwörtlich gewordenen »Hotel Mamma«. Heiraten, eine Familie gründen und sich von den eigenen Eltern eine Wohnung kaufen lassen, ist weiterhin die beliebteste Option. Das Wort Wohngemeinschaft gibt es auf Italienisch nicht. Der Ausdruck »We Ge« (ja, es wird auf Deutsch abgekürzt) ist ein Import aus Nordeuropa. Vor allem unter Studenten hat sich diese Form des Zusammenlebens seit einigen Jahren etabliert, allerdings in einer etwas radikaleren Form. Sie heißt posto letto (Schlafplatz), und dies bedeutet, nicht nur die Wohnung mit anderen zu teilen, sondern auch das Schlafzimmer und manchmal sogar das Bett. Das ist zwar billiger als ein Einzelzimmer, aber auch ein Schlafplatz ist unter 250 Euro kaum zu finden.
Beliebt sind außerdem fensterlose Untergeschosswohnungen, die auch in den guten, zentralen Lagen billig zu haben sind. Vor allem, wenn man keinen italienischen Pass oder Aufenthaltspapiere hat und in großen Gruppen aus Ländern wie Indien, Bangladesh oder China kommt.
Aber wer braucht schon Fenster? Wenn die verschmutzte Luft bereits im Juni bei 40 Grad unerträglich wird, hat Rom einiges zu bieten. Die größten Parks der ewigen Stadt sind allerdings nicht einfache öffentliche Grünanlagen, sondern regelrechte Sehenswürdigkeiten. Sie waren früher die Gärten der Residenzen von Angehörigen der königlichen Familie und sonstigen Adligen und haben pompöse Namen wie Villa Borghese, Villa Ada oder Villa Doria Pamphili. Touristen können dort Statuen, Fontänen und Katakomben bestaunen, in der Villa Borghese sogar eine der wichtigsten Kunstgalerien der Welt. Dass Grillen, Joggen und Herumhängen in der Nähe der Werke von Tizian oder Caravaggio untersagt sind, versteht sich von selbst.