Aber die Wurst bleibt hier

Wer schon immer wissen wollte, was die »Fleisch- und Wurstspezialitäten Rainer Wagner GmbH« über die Euro-Krise denkt, kann es jetzt erfahren. Wer es nicht wissen will, erfährt es auch. Denn die Arnstädter Wurstfabrikanten haben sich mit anderen Firmen zur »Stiftung Familienunternehmen« zusammengeschlossen, die einen Brief geschrieben hat. Sie lehnt die »Transferunion« ab und fordert: »Die Währungsunion muss auf eine neue Grundlage gestellt werden. Austritt und Ausschluss müssen möglich werden.« Ein Austritt ist bereits jetzt möglich, wenn ein Land seine EU-Mitgliedschaft kündigt, ein Ausschluss hingegen ist ausgeschlossen, denn eine entsprechende Vertragsänderung müsste einstimmig, also mit dem Einverständnis des auszuschließenden Staates, vereinbart werden. Aber man darf sich ja mal was wünschen. Adressiert war der »Brandbrief« (Spiegel) allerdings nicht an den Weihnachtsmann, sondern an Kanzlerin Angela Merkel.
Anders als die Ansichten der Mitglieder des Kaninchenzuchtvereins Salzkotten gelten die Vorschläge von Unternehmern grundsätzlich als diskussionswürdig, mögen sie auch kenntnislos und Lichtjahre von der Realität entfernt sein. Ebenso bizarr ist der »Appell an die Politik«, den mehr als 50 Manager von Großkonzernen vorige Woche als ganzseitige Anzeige in diversen Zeitungen platzierten. Sie meinen, dass der Euro »diesen Einsatz allemal wert« sei, und schließen mit der Selbstverpflichtung: »Hiervon müssen wir unsere Mitbürger überzeugen.« Analytiker nennen das einen »postdemokratischen Politikstil«. Man muss aber kein allzu großes Vertrauen in die Fähigkeit der Deutschen zum selbständigen Denken haben, um daran zu zweifeln, dass irgendjemand nach der Lektüre sagt: »Oh! Clemens Börsig, der Aufsichtsratsvorsitzende der Deutschen Bank, kämpft für den Euro. Dann tue ich das jetzt auch.«
Die Fleisch- und Wurstspezialitäten Rainer Wagner GmbH hat weniger griechische Staatsanleihen im Portfolio als Börsigs Finanzinstitut, und im Gegensatz zu einer Pleite der Deutschen Bank kann Merkel eine Bratwurstkrise in Arnstadt verkraften. Die global players sprechen mit aristokratischem Großmut der Kanzlerin Mut zu, sie weiter zu subventionieren, und lassen dem Pöbel gnädig Rechtleitung zuteil werden. Auch die provinziellen Wutunternehmer glauben, sie seien für die Außenpolitik zuständig, doch klagen sie bürgernah beleidigt, dass »alle Versprechen, die uns die Politik vor Eintritt in die Währungsunion gemacht hatte, gebrochen« wurden. Sie stehen der Bild-Zeitung (»Tretet aus, ihr Griechen!«) näher. Über deren im April 2010 ausgegebene Parole allerdings urteilt der Economist: »Damals klang das wie krasser Populismus. Doch ein Jahr später ist es so ziemlich die Botschaft der europäischen Finanzminister geworden.«