Gendertrouble im Fußball

Das Recht auf den Kick

Frauen mussten sich die Möglichkeit erst erkämpfen, sich sportlich zu betätigen. Das hat auch die Geschichte und den Charakter des Frauenfußballs geprägt.

Heutzutage ist es kaum vorstellbar: Die gesellschaftliche Bedeutung des Fußballs war einmal sehr gering. Als der Sport aufkam, war er zu vernachlässigen im Vergleich zu dem Treiben, dem mit Tennis-, Golf- oder Polobällen nachgegangen wurde. Fußball wurde von höheren Söhnen gespielt. Er war zum einen ein Mittel zur Wehrertüchtigung der Sprösslinge aus dem Adel und dem Großbürgertum; er sollte helfen, der künftigen herrschenden Klasse bestimmte Erziehungsziele einzubläuen. Zudem war er ein Mittel zur Distinktion. Der Sport war ein zweckfreier Zeitvertreib für Herren, die es sich leisten konnten.

Vom Fußball ausgeschlossen waren nicht nur Arbeiter, sondern auch Frauen, proletarische wie bürgerliche. Während männliche Arbeiter sich das soziale Recht, Fußball zu spielen, in England schon recht früh erkämpften und bald die ersten Profiligen entstanden, gelang dies Frauen erst wesentlich später. Das liegt jedoch nicht daran, dass sie später angefangen hätten, für ihr Recht auf den Kick zu kämpfen.
Der erste Frauenfußballverein der Welt wurde schon 1894 gegründet: der British Lady Football Club in London. 1885 gab es das erste Auswahlspiel, Südengland trat gegen Nordengland an. Ohne sich in Vereinen zusammenzutun, hatten Frauen schon weit früher Fußball gespielt. Der britische Historiker David J. Williamson schreibt über ein Spiel im Schottland des frühen 18. Jahrhunderts: »Zwei Bäume sind die Torpfosten, und in der Mitte des Spielfeldes liegt schon die frisch gefüllte Tierblase bereit.« Verheiratete spielten gegen unverheiratete Frauen, die Männer standen am Rand und feuerten die Spielerinnen an.
Das ist ein willkürlich gewähltes Beispiel. Vorformen des Frauenfußballs gab es auch im Frankreich des 12. Jahrhunderts. In den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts waren die Aussichten für den professionellen Frauenfußball vielversprechend. Wie bei den Männern auch, reisten erfolgreiche britische Frauenteams durch die ganze Welt und absolvierten sogenannte exhibition games.
Es gibt den Frauenfußball also ziemlich genauso lange wie den Männerfußball, die Ausgangsbedingungen waren ähnlich, und in beiden Fällen war der Sport stets mit dem Kampf um das Recht auf gesellschaftliche Partizipation verbunden. Dieser wiederum reihte sich immer in andere Kämpfe ein, etwa in den Kampf um das Wahlrecht für Frauen und andere Formen der Teilhabe am politischen Geschehen. »Sport für Frauen war eine Art zu rebellieren«, schreibt der amerikanische Sportjournalist Dave Zirin. Bestimmte Sportarten, etwa das Fahrradfahren oder das Bergsteigen, wurden in einem kulturellen Sinne zu den Feldern, auf denen Frauen für ihre Rechte stritten, sich in der Öffentlichkeit zu präsentieren. »Lassen Sie mich erklären, was ich vom Fahrradfahren halte«, schrieb die frühe amerikanische Frauenrechtlerin Susan B. Anthony. »Ich glaube, dass es mehr für die Emanzipation der Frauen getan hat als irgendetwas anderes auf der Welt.« Das Recht auf körperliche Präsenz in der Öffentlichkeit, auf Teilnahme am Sport, ob als Aktive oder als Zuschauerin auf der Tribüne, ist bis zum heutigen Tag aber längst nicht in jedem Land dieser Erde durchgesetzt. Von den Kämpfen iranischer Frauen, überhaupt Fußball schauen zu dürfen, erzählt beispielsweise der iranische Film »Offside« aus dem Jahr 2006.

Was die Kämpfe im Fußball und den meisten Sportarten von anderen, ähnlich gelagerten Auseinandersetzungen unterscheidet – den Kampf für das Wahlrecht, die freie Berufswahl oder das Recht zu studieren –, drückt der amerikanische Politologe Andrei S. Markovits so aus: »Während ich viele Feministinnen kenne, die fordern, dass mächtige Institutionen wie Harvard oder die University of Michigan von einer Präsidentin geführt werden sollen, wie dies beiderorts in den letzten Jahren auch geschah, und gleichermaßen viele, die sich eine Frau als Präsidentin der Vereinigten Staaten wünschen, was Hillary Clinton 2008 nur um eine Haaresbreite misslungen ist, kenne ich keine Feministin, die fordert, dass die Rolle des Quarterbacks bei den Green Bay Packers, die Position des Point Guards bei den Los Angeles Lakers oder die des Center Fielders der New York Yankees von einer Frau bekleidet werden sollte oder dass Frauen die Viererkette von Bayern München oder die Mittelfeld­achse bei Inter Mailand besetzen sollten.«
Es gibt zwar Sportarten, die von Männern und Frauen gemeinsam betrieben werden, alle Reitdisziplinen gehören dazu, auch der Motorsport und das Segeln. Aber für den Fußball ist eine solche gemeinsame sportliche Betätigung öffentlich noch indiskutabler als im Schach oder im Schießen, den wohl absurdesten Beispielen für die Geschlechtersegregation im Sport. Die Antwort darauf, warum das so ist, gibt Markovits in seinem jüngst erschienenen Buch »Sport: Motor und Impulssystem für Emanzipation und Diskriminierung«. Er verweist auf die Besonderheit des Fußballs beziehungsweise von Mannschaftssportarten. Während Frauen, die sich beispielsweise in der Wissenschaft oder der Politik durchsetzten, dies »guten Noten, bestandenen Prüfungen, guten Vorträgen, guten Arbeiten verdanken, die ihr Metier, ihr Können, ihr Wissen durch außenstehende und höhere Instanzen für alle – und vor allen: auch den frauenfeindlichsten Männern – klar bezeugen und beweisen«, gebe es für den Fußball keine solchen Instanzen. »Da muss die Akzeptanz quasi von den Beteiligten selbst kommen.« Im von Männern dominierten Fußball fehle diese.
Das Recht, Fußball zu spielen, musste also nicht als Partizipation am Männersport erkämpft werden, sondern als Recht der Frauen, selbst Fußball zu spielen. 1930 berichtete die Zeitschrift Die Leibesübung unter der Überschrift »Endlich wieder einmal Frauenfußball!« darüber, dass sich in Frankfurt am Main wieder ein Verein gegründet hatte. »Sie wollen ein fröhliches Kampfspiel pflegen« – im Stillen, ohne Ligabetrieb. »Das Rad einer andersgearteten Entwicklung im Frauensport rollt. Man darf gespannt sein, wie dieser Versuch ausschlägt«, schrieb die Zeitschrift.

Doch auch der Versuch, abseits der öffentlichen Aufmerksamkeit Fußball zu spielen, verhinderte Schmähungen, Beleidigungen und Einschränkungen nicht. Im Nationalsozialismus erfolgte das Verbot des »unweiblichen Sports«. 1955 untersagte der Deutsche Fußballbund (DFB) Frauenfußballspiele unter seiner Verbandshoheit und beabsichtigte so, die nach 1945 einsetzenden Versuche von Frauenmannschaften zu unterbinden, Spiele auszutragen und sich in bestehende Vereine einzugliedern (siehe auch Interview Seite 5). Dennoch wurde gekickt, teils informell auf der Wiese, teils organisiert in eigens dafür gegründeten Vereinen, die eben nicht dem DFB angehörten. Erst 1970 wurde das für den DFB-Bereich geltende Verbot des Frauenfußballs in Deutschland aufgehoben. Es ist angesichts dieser Geschichte – sie verlief in anderen Ländern ähnlich – kein Wunder, dass sich der Frauenfußball zu einer ganz eigenen Sportart entwickelt hat. Sie mit dem Männerfußball zu vergleichen, ist deshalb nicht besonders sinnvoll.
Mittlerweile hat sich der Frauenfußball weltweit professionalisiert, er hat mit der Brasilianerin Marta Vieira da Silva und der US-Spielerin Mia Hamm Weltstars hervorgebracht. Dass die Fußball-WM in Deutschland eine erfolgreiche Veranstaltung mit hohen Zuschauerzahlen wird, bezweifelt niemand ernsthaft. Aber gerade weil der Frauenfußball eine eigenständige Sportart ist, dürfte seine gesellschaftliche Bedeutung auch auf längere Sicht hinter der des Männerfußballs zurückbleiben. Denn wenn in der Öffentlichkeit von Fußball die Rede ist, ist der Männersport gemeint. Es fehlt das Verständnis für eine Sportart, die denselben Namen trägt und in der dasselbe Sportgerät benutzt wird, die aber dennoch anders ist.