Über Rechtspopulismus in Dänemark

Die offene Gesellschaft macht dicht

Fremdenfeindlichkeit und Rassismus stehen in Dänemark auch im Wahljahr ganz oben auf der politischen Tagesordnung.

Wer in diesen Tagen durch den Kopenhagener Stadtteil Nørrebro spaziert, dem werden sie früher oder später auffallen, die Aufkleber, die seit etwa zwei Wochen an den Häuserwänden, Parkbänken und Mülleimern des Viertels kleben. Ihre leuchtend rote Farbe fällt ins Auge, und was auf ihnen steht, wirkt bedrohlich. Von Allah als einzigem Gesetzgeber ist da die Rede und von der Demokratie, die die Hölle sei und Heuchelei. Wer die Aufkleber jedoch länger betrachtet, der wird merken, dass auf ihnen kein einziges arabisches Schriftzeichen zu finden ist. Selbst das Koran-Zitat steht dort nur auf Dänisch. Auch die Farbgebung ist eher untypisch für Islamisten. Grün, die Farbe des Islam, fehlt völlig. Aktivisten der Kopenhagener Antifa vermuten daher, dass es sich um eine Aktion von Rechtsextremisten handeln könnte, die muslimische Migranten diskreditieren wollen. Möglicherweise kommen sie aus dem Umfeld der Ende vergangenen Jahres aufgelösten Dänischen Front oder der Dänischen Nationalsozialistischen Bewegung, die ihren Sitz im Kopenhagener Vorort Greve hat.

Dass sie sich für ihre Aktion ausgerechnet Nørrebro ausgesucht hätten, wäre kein Zufall. Der innenstadtnahe Stadtteil ist so etwas wie das Kreuzberg der dänischen Hauptstadt. Viele Linke und Studenten leben in dem ehemaligen Arbeiterstadtteil, in dem sich das 2007 geräumte und abgerissene Ungdomshuset befand, das zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein Zentrum der Arbeiterbewegung gewesen ist. Doch unter den Einwohnern sind auch viele, die selbst oder deren Eltern aus muslimisch geprägten Ländern hierher kamen. Kopftücher sind hier ebenso ein alltäglicher Anblick wie Poster, die für orientalische Tanzveranstaltungen werben. Auf den Straßen hört man Arabisch und Türkisch, Urdu und Somali. Ein Albtraum für diejenigen, die sich ein ethnisch homogenes Dänemark wünschen.
Im Herbst wird es Wahlen in Dänemark geben. Wie bei jeder Wahl in den vergangenen Jahren spielt die Einwanderungspolitik im Wahlkampf eine wichtige Rolle. So hatte die Regierung von Ministerpräsident Lars Løkke Rasmussen kürzlich angekündigt, entgegen den Bestimmungen des Schengen-Abkommens systematische Grenzkontrollen wieder einzuführen, um das Land vor einer vermeintlich unüberschaubaren Flut von Flüchtlingen zu schützen, die in Folge der arabischen Aufstände nach Europa drängen könnten. Diese Pläne scheiterten zwar vorerst am Widerstand der Opposition gegen die nötigen Mehrausgaben, sie lösten jedoch sogleich EU-weite Diskussionen aus. Dabei kam die Idee streng genommen nicht einmal von der Regierung selbst, sondern von der Dänischen Volkspartei, die Løkke Rasmussens Mitte-Rechts-Regierung wie schon deren Vorgängerregierungen im Parlament toleriert. Ihre Position als Mehrheitsbeschafferin ermöglicht es der Dänischen Volkspartei schon seit längerem, fremdenfeindliche Forderungen regelmäßig auf die Tagesordnung zu setzen. Unter ihrem Einfluss entwickelte sich Dänemark innerhalb weniger Legislaturperioden von einem als weltoffen geltenden Land zu einer Hochburg des Rechtspopulismus mit einem der schärfsten Einwanderungsgesetze der Welt, wo Fremdenfeindlichkeit und Rassismus zum Alltag gehören.

In Nørrebro selbst erscheint all das irgendwie surreal. In dem Viertel nordwestlich des Stadtzen­trums ist die multikulturelle Gesellschaft, die die Rechte in Dänemark zu verhindern sucht, schon lange Realität. Die Mehrzahl der Imbisse und Kioske wird von Menschen mit Migrationshintergrund betrieben. Ihr Bevölkerungsanteil liegt mit fast 30 Prozent rund dreimal so hoch wie im Landesdurchschnitt. Die meisten Bewohner Nørrebros schätzen die kosmopolitische und internationale Atmosphäre des Stadtteils. Im Schaufenster einer Werbeagentur hängt ein leuchtend oranges Schild: »Liebe Ausländer, bitte lasst uns mit den Dänen nicht alleine!« In der dänischen Mittelschicht gilt der Stadtteil eher als Hochburg von Islamisten. Wenn sie an Nørrebro denken, sehen sie vor ihrem geistigen Auge eine Moschee neben der anderen, Männer mit langen Bärten und verschleierte Frauen. Dabei vergessen sie, dass zwei Drittel der Menschen hier weder Migranten noch Muslime sind. Aber vielleicht wollen sie das auch nicht wissen.
Es scheint jedoch so, als hätte der ständige Appell an fremdenfeindliche Ressentiments nicht mehr denselben Erfolg wie in der Vergangenheit. Seit Anfang 2010 liegt die Opposition in fast jeder Umfrage vor dem Regierungslager samt Dänischer Volkspartei. Zwar konnte diese in der Wählergunst geringfügig zulegen, doch die beiden Regierungsparteien, Løkke Rasmussens rechtsliberale Venstre und die Konservative Volkspartei, müssten derzeit zusammengenommen mit einem Stimmenverlust von beinahe zehn Prozent rechnen. Die besten Chancen auf den Wahlsieg haben gegenwärtig die Sozialdemokraten um Helle Thorning-Schmidt. Für die Bildung einer Regierung wären sie jedoch auf mehrere Koalitionspartner angewiesen. Möglich erscheint eine Koalition mit den Sozialisten, den Sozialliberalen und der Einheitsliste Rot-Grün.

Die Regierung aber scheint derzeit nur die Flucht nach vorn kennen. Noch ist die Wiedereinführung von Grenzkontrollen nicht vom Tisch. Anfang Juli soll die Entscheidung fallen. In der vergangenen Woche wurde eine Novelle des Ausländergesetzes vorgelegt, die vorsieht, dass Menschen ohne dänischen Pass in Zukunft noch einfacher abgeschoben werden können. Künftig soll es jeden treffen, der rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden ist. Die Schwere der Straftat ist dabei gleichgültig. Ausnahmen soll es nur geben, wenn den Betroffenen Todesstrafe oder Folter drohen. Integrationsminister Søren Pind (Venstre) forderte in einer öffentlichen Stellungnahme von den Gerichten, bei der Anwendung des Gesetzes so streng wie möglich vorzugehen. Das klingt hart. Doch das wahre Ausmaß der dänischen Misere liegt darin, dass diesem Gesetzesvorschlag neben den Parteien des Regierungsspektrums auch die Sozialdemokraten und die Sozialisten zugestimmt haben. Ob man sich angesichts dessen von einer künftigen Mitte-Links-Regierung eine weniger menschenfeindliche Politik erhoffen kann, erscheint zweifelhaft.