Der Umgang der Hamburger Polizei mit »Gefahrengebieten« in der Stadt

Vorsicht vor dem Eddingstift

Mit der Einrichtung von »Gefahrengebieten« betreibt die Hamburger Polizei die Verdrängung von Prostitution und Drogenhandel aus dem Stadtgebiet.

Normalerweise betrifft die Rede über »verfassungsfeindliche Tendenzen« weder das Agieren von Landesregierungen noch die polizeilichen Strategien der Kriminalitätsbekämpfung. Doch die jüngsten Entwicklungen in Hamburg zeigen, dass das Zusammenwirken von gesetzgeberischen Maßnahmen der Landesregierung und deren polizeiliche Umsetzung durchaus geeignet sind, garantierte Grundrechte dauerhaft außer Kraft zu setzen.
Bereits seit Juni 2005 existiert in der Hamburg die Möglichkeit, sogenannte Gefahrengebiete einzurichten. Versteckt im Paragraphen 4 des »Gesetzes über die Datenverarbeitung der Polizei« heißt es, dass die Polizei Gebiete definieren kann, in denen sie »Personen kurzfristig anhalten, befragen, ihre Identität feststellen und mitgeführte Sachen in Augenschein nehmen« darf. Zudem kann sie auf Grundlage dieser Überprüfungen Platzverweise, Ingewahrsamnahmen und sogar längerfristige Aufenthaltsverbote aussprechen.

Damit ist ein Ausnahmerecht geschaffen worden, das die in der Strafprozessordnung festgelegten Begrenzungen der Eingriffsrechte der Polizei aushebelt. Dort werden die polizeilichen Überprüfungs- und Kontrollbefugnisse an die Existenz eines konkreten Anfangsverdachts für die Beteiligung an einer Straftat bzw. einer unmittelbar bevorstehenden Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung gebunden. Dem liegt das Prinzip zugrunde, dass die in der Verfassung definierten Grundrechte den Schutz des Individuums vor der Staatsgewalt und ihren ausführenden Organen garantieren sollen. Derlei Verfassungstreue war der damals alleinregierenden CDU in Hamburg aber offenbar fremd, als sie das »schärfste Polizeigesetz« Deutschlands verabschiedete und sich als Adeptin des ehemaligen Bundesinnenministers und heutigen Finanzministers Wolfgang Schäuble (CDU) erwies. Der hatte bereits 1996 erklärt: »Die Verfassung ist immer weniger das Gehege, in dem sich demokratisch legitimierte Politik frei entfalten kann, sondern immer stärker die Kette, die den Bewegungsspielraum der Politik lahmlegt.«
Von solchen Ketten befreit ist nun jedenfalls seit 2005 die Hamburger Polizei. Es sind nicht richterliche Anordnungen oder parlamentarische Mehrheitsbeschlüsse, die die polizeilichen Sonderrechtszonen legitimieren. Die Polizei selbst kann sich das Instrumentarium der verdachtsunabhängigen Kontrollen genehmigen. Dazu muss sie allein entsprechende hausgemachte Lageerkenntnisse zusammenstellen. In mehr als 40 Fällen sind in den vergangenen sechs Jahren im gesamten Hamburger Stadtgebiet »Gefahrengebiete« ausgerufen, teilweise auch ganze Stadtteile über Monate hinweg zur Ausnahmezone erklärt worden. Auf Anfrage der Bürgerschaftsfraktion der »Linken« erläuterte die Polizei ihre Kriterien für die Benennung der vermeintlichen Gefahrenträger. Im Zusammenhang mit Fußballspielen werden in festgelegten Gebieten unter anderem alle »16- bis 35jährigen in Gruppen ab drei Personen« kontrolliert. Im beschaulich-gutbürgerlichen Hamburg-Volksdorf wurden in der Nähe von Partyveranstaltungen im Jahre 2007 »16- bis 25jährige in Gruppen ab drei Personen oder Personen, die alkoholisiert sind und/oder sich auffällig verhalten«, polizeilich überprüft. Dabei ficht es die Verantwortlichen nicht an, dass ein Straftatbestand des Alkoholisiertseins ebenso wenig existiert wie der des auffälligen Verhaltens.

Auch aus Anlass linker Demonstrationen wurden »Gefahrengebiete« geschaffen, mittels derer alle Personen, die »augenscheinlich dem linken Spektrum zuzurechnen sind«, zu Objekten polizeilicher Kontrollmaßnahmen gemacht werden können. Den offensichtlichen Widerspruch zum Verfassungsgrundsatz des ungehinderten und von staatlicher Kontrolle freien Rechts auf Versammlungsfreiheit ignoriert die Polizei. Zum 1. Mai wurden weite Teile St. Paulis für zwei Abende zum Gefahrengebiet erklärt. Man konnte an diesem Tag in St. Pauli also von den dauerhaft eingerichteten Gefahrengebieten »Betäubungskriminalität« und »Gewaltkriminalität« in das temporäre Gefahrengebiet »Straftaten von erheblicher Bedeutung, mögliche Ausschreitungen« spazieren. An den Abenden glichen Teile des Viertels einer Geisterstadt. Neben der Sperrung für den Straßenverkehr wurden insgesamt mehr als 1 200 Personen überprüft und über 400 Aufenthaltsverbote und Platzverweise ausgesprochen. Davon waren auch Anwohner betroffen, die mehr oder weniger Hausarrest erhielten. Als verdächtig galt etwa, wer Eddingstifte mit sich führte, polizeifeindliche Parolen skandierte oder mit gegen die Polizei gerichteten Maßnahmen sympathisierte. Mit nur zwei anderen Menschen im Alter zwischen 16 und 35 Jahren gemeinsam unterwegs zu sein, genügte im Zweifelsfall, um polizeilich überprüft zu werden. Neben diesen von der Polizei benannten Kriterien wurden alle, denen die eingesetzten Beamten einen migrantischen Hintergrund zuschrieben, kontrolliert und mit Aufenthaltsverboten belegt.
Das Bahnhofsquartier St. Georg gehört zu den Stadtteilen, in denen dieses polizeiliche Kontrollregime zum Alltag gehört. Hier arbeiten Polizei, Behörden und Teile der Anwohnerschaft Hand in Hand, um im Rahmen der Aufwertung des Viertels das Rotlichtmilieu und die Drogenszene zu verdrängen. »St. Georg ist traditionell Ort von Frauen und auch Männern, die verschiedenen Formen der Sexarbeit nachgehen. Es existieren Formen der Beschaffungs- und Armutsprostitution, aber es gibt hier auch alljährlich das Phänomen der Weihnachtsprostitution«, erläutert die Hamburger Rechtsanwältin Katrin Kirstein, die sich seit zehn Jahren im Beratungsprojekt »Sperrgebiet« für die Rechte von Sexarbeiterinnen engagiert. »Wir beobachten seit mehreren Jahren den kombinierten Einsatz von Mitteln des Ordnungsrechts wie der Hamburger Sperrgebietsverordnung und dem des Gefahrengebiets ›Betäubungsmittelkriminalität‹ gegen Sexarbeiterinnen«, stellt sie fest.

Dieses Zusammenspiel unterschiedlicher Instrumente verschafft der Polizei die Möglichkeit, Platzverweise und Aufenthaltsverbote auszusprechen oder Bußgelder zu verhängen. Die Polizei erließ allein in den ersten vier Monaten dieses Jahres mehr als 3 200 Aufenthaltsverbote. »Es gibt Frauen, die in einem faktischen Hausarrest leben und sich nur auf wenigen Straßen für ihre alltäglichen Erledigungen wie Einkäufe überhaupt repressionsfrei bewegen können«, beschreibt Kirstein die Situation. Zusätzlich seien viele Frauen durch die mehrfache Verhängung von Bußgeldern inzwischen hochverschuldet. Mittlerweile regt sich aber Widerstand. Ein Bündnis feministischer Gruppen und Initiativen wendet sich gegen die gesellschaftliche Doppelmoral, einerseits sexuelle Dienstleistungen zu nutzen, sie aber anderseits zu stigmatisieren und zu kriminalisieren. Sie fordern ein »Recht auf Straße«. Aus ihrer Sicht ist die angebliche Bekämpfung von Zwangsprostitution und Menschenhandel nur ein vorgeschobener Grund für stärkere Kontrollen, tatsächlich sollten mit dem errichteten »Gefahrengebiet« vor allem die Aufwertungsprozesse im Stadtteil gefördert werden. Nützlich für das Viertel sei aber allein die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen von Sexarbeiterinnen.