Der Konflikt zwischen Saudi-Arabien und dem Iran

Der Prinz jagt den Tiger

Der Konflikt zwischen Saudi-Arabien und dem Iran eskaliert. Das saudische Königshaus will die iranischen Öleinnahmen mindern und kündigt Militärinterventionen in der Region an.

Der iranische Außenminister Ali Akbar Salehi wiegelte freundlich lächelnd ab. Zwischen dem Iran und Saudi-Arabien gebe es keine größeren Probleme, sagte er Ende Juni am Rande einer offiziellen Konferenz, die dem »Globalen Kampf gegen den Terrorismus« gewidmet war. Die beiden Regierungen unterschieden sich nur wenig in ihrem Blick auf regionale Entwicklungen, man müsse sich bloß einmal zusammensetzen, um einige Missverständnisse aus dem Weg zu räumen.
Salehis freundliche Worte verwundern ein wenig. Zwar stellt er mit seinem vergleichsweise moderaten Gebaren und einer etwas diplomatischeren Wortwahl so ziemlich das letzte international überhaupt noch vorzeigbare Mitglied der Regierung Präsident Mahmoud Ahmadinejads dar. Für das Poltern ist er nicht zuständig, aber immerhin hat Saudi-Arabien gerade öffentlich angekündigt, dass man alles tun werde, um die Islamische Republik Iran zu ruinieren und dass man deren wachsendem Einfluss in der Region auch militärisch entgegenzutreten gedenke.

Die kriegerische Botschaft überbrachte der saudische Prinz Turki al-Faisal, lange Jahre Geheimdienstchef, dann Botschafter in Großbritannien und den USA. Er hielt Anfang Juni vor mutmaßlich hochrangigen Aufklärungsoffizieren der Nato auf einem britischen Luftwaffenstützpunkt eine Rede, deren Text vielleicht nicht ganz unabsichtlich an das Wall Street Journal und dann an den Guardian übermittelt wurde. Adressiert war die Warnung allerdings nicht an den Iran, sondern an die USA und in zweiter Linie an Europa.
Denn zwischen Saudi-Arabien und dem Iran sind die Verhältnisse im Grunde schon seit der Machtübernahme Ayatollah Khomeinis im Jahr 1979 klar. Man hasst einander und hat sich Todfeindschaft geschworen. Allerdings droht diese schon Jahrzehnte währende Auseinandersetzung um die Vormachtstellung im Nahen Osten angesichts des »arabischen Frühlings« nun zu eskalieren.
Turki al-Faisal, einer der wenigen im Westen mit prononcierten Stellungnahmen öffentlich in Erscheinung tretenden Angehörigen des inneren Machtzirkels Saudi-Arabiens, wählte jedenfalls eine deutliche Sprache für seine Botschaft. Man werde, falls der Iran die Entwicklung nuklearer Waffen weiter vorantreibe, nachziehen müssen. Saudi-Arabien werde nun seine gesamten ökonomischen, diplomatischen und sicherheitspolitischen Bemühungen darauf konzentrieren, die regionalen Ambitionen des iranischen Regimes abzuwehren. Verletzbar sei der Iran, ein »Papier­tiger mit Stahlklauen«, vor allem im Ölsektor.
In zwei jüngst erschienenen Kommentaren in der Washington Post hatten Turki al-Faisal und ein Mitarbeiter des saudischen Think Tanks, dem der Prinz vorsteht, die neue Strategie des Königsreichs bereits angekündigt. Man verstehe sich als regionales Machtzentrum, ja als »einzige Energie-Supermacht der Welt« und als »Wiege des Islam«, die weltweit die meisten Muslime symbolisch zu vereinen vermöge. Dazu gehören aber nicht, so wird man im Sinne der Saudis ergänzen können, die aus ihrer Sicht häretischen Schiiten, deren ebenso selbstmandatierte Repräsentanten im Iran sitzen. Man plane auch ein »Special Forces Command«, um nach US-Vorbild die saudischen Eliteeinheiten schnell im Ausland einsetzen zu können.
Die Macht über das Öl setzt das saudische Königreich wie angekündigt bereits gegen den Iran ein. Auf der letzten Opec-Konferenz konnte man sich Anfang Juni erwartungsgemäß nicht auf die von den Saudis zur Senkung des Ölpreises geforderte Produktionsausweitung einigen, gegen die sich der Iran, unterstützt etwa von dem aus sau­discher Sicht nun dem »schiitischen Lager« angehörenden Irak, vehement wehrt. Das iranische Regime, unter immensem ökonomischen Druck wegen der Sanktionen und faktisch gelähmt durch den Streit zwischen den Fraktionen des religiösen Führers Ali Khamenei und den Mannen Ahmadinejads, braucht viel Geld.

Allein die permanenten Stützungskäufe, ohne die die iranische Währung kaum noch Wert hätte, verschlingen Unsummen. Während die maroden Förderanlagen des Iran, denen es an Ersatzteilen wie Investitionen mangelt, immer weniger Öl liefern, kündigt Saudi-Arabien an, jeden Produktionsausfall im Iran umgehend ausgleichen zu können. Zu dieser Strategie des Wirtschaftskriegs gehörte die der Opec-Sitzung direkt folgende Freigabe von Notfallreserven durch die USA und die Internationale Energiebehörde, die dazu führte, dass der Ölpreis umgehend sank, aber auch die direkte Abwerbung von Käufern iranischen Öls durch die Saudis zur Folge hatte.
Diese haben Indien angeboten, dessen Lieferverträge mit dem Iran zu ersetzen. Die Angelegenheit ist besonders brisant, da es wegen der Sanktionen gegen das iranische Bankensystem für das Regime immer schwerer wird, Geld für geliefertes Öl zu erhalten. Anfang des Jahres wurde beschlossen, dass die Lieferungen an Indien von der in Hamburg ansässigen, aber dem Iran gehörenden Europäisch-Iranischen Handelsbank (EIH) abgewickelt werden sollten. Das Geschäft wurde offenbar von der Bundesregierung gedeckt, die sich Ende Mai allerdings plötzlich doch noch entschloss, der Anwendung der EU-Sank­tionen auf die Bank zuzustimmen.
Es wird nun offensichtlich ernst für das iranische Regime. Wenn Transaktionswege versperrt und Kunden weggelockt werden, dann fehlt irgendwann das Geld, um den Laden am Laufen zu halten, von hilfsbedürftigen Klienten und Verbündeten wie der Hizbollah, der Hamas oder dem ebenfalls arg bedrängten syrischen Regime ganz zu schweigen.
Den »Kalten Krieg am Golf« führen Saudi-Arabien und die Islamische Republik Iran bereits seit Jahrzehnten. Zuletzt hatten die von Wikileaks veröffentlichten amerikanischen Diplomatendepeschen eindrücklich belegt, dass die Saudis die USA immer wieder zu härteren, auch militärischen Maßnahmen gegen den Iran gedrängt hatten. Das Königshaus hätte wohl auch bei einer israelischen Militäraktion gegen das iranische Atomprogramm wohlwollend zugesehen.

Nun aber will das saudische Regime nicht mehr darauf warten, dass andere etwas tun. Aus der Sicht des Königshauses drängt die Zeit, die Umwälzungen in der Region sind zu tiefgreifend, man sieht sich und die verbündeten Golfmonarchien bedroht. Neu ist somit nicht nur die Unverblümtheit, mit der das Vorgehen gegen den Iran öffentlich angekündigt wird, auch die programmatische Feststellung, dass man militärische Interventionen in der Region künftig als Option saudischer Politik anzusehen habe, bedeutet einen Bruch mit Jahrzehnten der Öldiplomatie.
Diese Änderung der Strategie deutete sich bereits vor anderthalb Jahren an, als noch lange vor dem »arabischen Frühling« zuerst die saudische Luftwaffe, dann aber auch Bodentruppen gegen schiitische Aufständische im Nordjemen zum Einsatz kamen. Die notdürftig als Bruderschaftshilfe des Golfkooperationsrates deklarierte Inva­sion in Bahrain zur Niederschlagung der Demokratiebewegung im März dieses Jahres war ein folgerichtiger Schritt.
Die gleichzeitige Aufnahme der Königreiche Jordanien und Marokko in den Golfkooperationsrat sollte unterstreichen, dass Saudi-Arabien, wenn es auch Diktatoren wie Hosni Mubarak und Ben Ali nicht halten konnte, in den arabischen Monarchien keine grundsätzliche demokratische Änderung dulden will. Die jüngst verkündete schnelle Heirat eines bahrainischen Königssohns mit einer saudischen Prinzessin gibt dem Programm zur Erhaltung des Status quo – oder dessen, was davon übriggeblieben ist – noch etwas archaisches Flair.
Dass sich Saudi-Arabien als Hort der Reaktion geriert und zur Offensive gegen den »arabischen Frühling« wie auch den Iran – und damit gegen die ungeliebten schiitischen Bevölkerungsgruppen, ob im Libanon oder im Irak, die sowohl die panarabische wie die sunnitische Vorherrschaft abgeschüttelt haben – übergeht, ist allerdings kein Zeichen von Stärke. Dass der angeblich so mäch­tige Golfstaat in den vergangenen Wochen von ein paar Dutzend Frauen, die einfach beschlossen hatten, sich ans Steuer eines Autos zu setzen, in Schwierigkeiten gebracht werden konnte, spricht nicht für besondere Souveränität. Ebenso wie ihre iranischen Gegner sind die Herren mit den schmucken Kopftüchern längst eher Getriebene.