Die »Freedom Flotilla II« vor dem Auslaufen nach Gaza

Gaza muss warten

Mit zehn Schiffen bereiteten sich 350 Aktivisten darauf vor, auf Einladung der Hamas-­Regierung Kurs auf den Fischereihafen von Gaza zu nehmen. Doch die Abfahrt der »Freedom Flotilla II« verzögert sich.

Während die Unterstützer den humanitären Charakter der Gaza-Flottille betonen und die Lage im Gaza-Streifen recht drastisch darstellen, gefallen sich die westlichen Regierungen in diplomatischen Ritualen. Sie warnen vor möglichen Risiken, falls Israel die Schiffe, wie die Flottille im vorigen Jahr am 31. Mai, mit einem Militäreinsatz aufbringt. Dass die Gaza-Flottille sich von der Regierung der Hamas einladen lässt, wird dagegen selten kritisiert.
Es ist kaum verwunderlich, dass sich die Organisatoren seit langem als potentielle Opfer eines »Piratenaktes Israels« inszenieren. »Wir wissen, dass es für uns gefährlich werden kann«, sagte etwa Vangelis Pissias von der Gruppe Ship to Gaza Greece bereits im Februar in Madrid. Die Vorbereitung der zweiten Flottille begann schon vor einem Jahr. Die islamistische IHH, die »Stiftung für Menschenrechte, Freiheiten und humanitäre Hilfe« aus der Türkei, wollte mit fünf Schiffen, darunter erneut die aus dem vorigen Jahr bekannte »Mavi Marmara«, und 750 Menschen an der Aktion teilnehmen. Doch ein Nebeneffekt der anhaltenden Rebellion in Syrien ist, dass die türkische Regierung mittlerweile keinen zusätzlichen Konflikt mit Israel gebrauchen kann – und der IHH dies vermutlich mitgeteilt hat. Jedenfalls sagte diese die Teilnahme ihrer Schiffe ab.
Die erste Flottille vom vergangenen Jahr war offenkundig auf Eskalation angelegt. Das Eindreschen mit Eisenstangen auf sich vom Hubschrauber abseilende israelische Soldaten war für alle gut erkennbar, die sich nicht weigerten, ein Video der israelischen Armee anzusehen. Auch die bekannt gewordenen Abschiedsbriefe von Aktivisten der IHH, in denen diese sich zum Märtyrertod bereit erklärten, widerlegen die Mär, Israelis hätten wehrlose Pazifisten niedergemetzelt.
Weniger bekannt ist, dass die IHH auch nach der Absage ihrer Teilnahme weiter an der Vorbereitung der Flotille beteiligt ist. Wie der venezolanische Fernsehsender Telesur berichtet, trat ihr Vorsitzender Bülent Yıldırım auf einer Pressekonferenz in Athen am 24. Juni als Sprecher der Gaza-Flottille auf: »Auf diesen Schiffen von 22 Nichtregierungsorganisationen werden 500 Aktive aus 100 Ländern reisen.« Ende voriger Woche wurde bekannt, dass Buhari Çetinkaya als Vertreter für die getöteten Aktivisten der IHH auf dem Schiff der spanischen Initiative Rumbo a Gaza (Kurs auf Gaza) mitfahren wird. Avital Leibovich, Sprecherin der IDF, bestätigte am 27. Juni, dass einige Mitglieder der IHH an der diesjährigen Flottille teilnehmen wollen. Die Erklärung der IHH, sich nicht zu beteiligen, bezog sich nur auf die Schiffe: Es habe »technische Probleme« gegeben.
Hauptsächlich getragen wird die Gaza-Flottille aber von Organisationen und Delegationen aus Griechenland, Schweden, Holland, den USA, Kanada, Belgien, Frankreich, der Schweiz und Spanien. Die spanische Initiative Rumbo a Gaza wurde kurz nach der Fahrt der ersten Flottille gegründet. Ein Jahr später gab es aktive Gruppen in zahlreichen spanischen Städten. Die klassische antiimperialistische Internationalismusszene ist selbstredend dabei, fast alle großen linken NGO, von Attac bis Ecologistas en Acción, beteiligen sich ebenso wie das Wahlbündnis IU (Vereinigte Linke) und dessen katalanische Schwesterorganisation ICV (Initiativa per Catalunya – Els Verds) sowie Organisationen der radikalen Linken.

Auch fast alle bekannten linken Musiker und Schriftsteller unterstützen die Flottille. Im Laufe des Jahres startete Rumbo a Gaza zudem meh­rere Kampagnen, etwa an Schulen, wo Spendenbehälter aufgestellt wurden, in die Kinder Schreibwaren geben konnten. Auf Veranstaltungen und im Internet wurden über 600 000 Euro an Spenden gesammelt.
In ihrem Pressedossier, das durchgehend mit Fotos der IHH bebildert ist, formuliert Rumbo a Gaza neben dem Hauptziel, »die Blockade um Gaza zu brechen«, weitere Grundsätze. Man versichert, keine Partei zu unterstützen und gewaltfrei zu sein, gefordert werden ein vollständiger Rückzug Israels auf die Grenzen von 1967 und ein Ende jeglicher Kontrollen an den Grenzen der besetzten Gebiete zu anderen Territorien, aber auch das Rückkehrrecht aller Flüchtlinge in »ihr legitimes Palästina«. Von einem Existenzrecht Israels ist nirgendwo die Rede.

Rumbo a Gaza versucht sogar, sich der spanischen Regierung als zivilgesellschaftlicher Helfer anzudienen: »Rumbo a Gaza versteht die Ziele der Flottille so, dass sie übereinstimmen mit der offiziellen Haltung der Regierung Spaniens zur internationalen Verteidigung der Menschenrechte und der Verurteilung der Blockade des Gaza-Streifens wegen ihres illegalen Charakters«, heißt es in einer Erklärung, die nach einem Treffen mit dem Generaldirektor der Regierung für den Mittelmeerraum, Juan González-Barba Pera, im April veröffentlicht wurde.
Derweil präsentierte die Initiative Rumbo a Gaza ihr Schiff: Getauft wurde es in baskischer Schreibweise auf den Namen »Gernika«, »zur Erinnerung an die bei den Bombardements der Nazis 1937 dort ermordete Bevölkerung«, wie Manuel Tapial, ein Sprecher der Organisation, erklärte. Er behauptete: »Wenn Picasso heute die Möglichkeit hätte, ein anderes großes Werk über den Horror im Gaza-Streifen zu malen, würde das Bild sich nicht sehr von ›Guernica‹ unterscheiden.«
Die »Gernika« ist mittlerweile im Hafen von Piräus eingetroffen, wo sich die meisten Schiffe der zweiten Flottille sammeln. Die »Dignité-al-Karama«, das kleinere der beiden französischen Schiffe, ist dagegen bereits auf dem Mittelmeer mit Kurs auf einen Treffpunkt der Flottille auf hoher See unterwegs. Die Abfahrt der anderen Schiffe verzögert sich. Am 26. Juni wurde bei der »MV Juliana«, dem Schiff der schwedischen De­legation, im Hafen von Piräus ein Schaden entdeckt. Die Antriebswelle sei von Unbekannten unter Wasser durchtrennt worden, hieß es.
Vor einer Woche meldete im türkischen Hafen von Göcek ein zweites Schiff der geplanten Gaza-Hilfsflotte Probleme, die »Saoirse«. Ein Sprecher der 20 Iren, die mit dem Schiff aufbrechen wollen, sprach von einem Sabotageakt am Antriebssystem. Wie schon in Fall der »MV Juliana« wurden sofort israelische Geheimdienste beschuldigt. So ist der Start der Flottille ungewiss, aber der Sprecher von Rumbo a Gaza hat schon aufgeschrieben, was passieren könnte, wenn die »internationale Gemeinschaft« Israel nicht daran hindere, die Flottille aufzubringen. In einem »offenen Brief an die Führer der Welt« prophezeit Manuel Tapial: »Jedes unserer Opfer wird Hunderte von schlafenden Gewissen wecken.«

Das Szenario: »Es gibt die ersten Toten und Verletzten. Die Schiffdecks füllen sich mit Blut, während die Passagiere in einem Akt der Humanität versuchen, das Leben der Verletzten zu retten.« Die Politiker würden sich zu »Komplizen von Morden« machen, wenn sie die Flottille nicht schützten. Manuel Tapial hat hier kein Drehbuch für einen Splatterfilm geschrieben, sondern ein von ihm als realistisch imaginiertes Szenario, das wohl als Appell an die westlichen Regierungen zu verstehen ist.
Es gibt jedoch weitere Verzögerungen. John Klusmire, der Kapitän des US-amerikanischen Schiffes »Audacity of Hope« wurde am Samstag in Griechenland festgenommen. Er hatte versucht, mit seinem Schiff auszulaufen, obwohl die Regierung dies wegen der Sperrung der Seewege nach Gaza verboten hatte. Auch in anderen griechischen Häfen werden die Schiffe der Flottille am Auslaufen gehindert, die »Gernika« liegt in Kolimpary auf Kreta fest. Diese Maßnahme sei auf Druck von Israel beschlossen worden, behaupten die Aktivisten. Ob die Flottille nun ausläuft und gestoppt wird oder die Häfen gar nicht verlässt - die Schuld gibt man in jedem Fall Israel.