Krise und Protest in Griechenland

Sparen bis zum Suizid

Die Griechen büßten in den vergangenen 18 Monaten durchschnittlich fast ein Fünftel ihres Einkommens ein. Das neue Spar- und Privatisierungsprogramm der griechischen Regierung wird die soziale Lage weiter verschlechtern. Dass die Maßnahmen und die zugesicherten Kredite Griechenland, wie von der EU erhofft, vor dem Bankrott retten, ist überaus fraglich.

Es ist ein gigantisches Programm, das zumindest in der bisherigen Geschichte der Euro-Zone alle Rekorde bricht. Um dringend benötige Kredite von der Europäischen Union (EU) und dem Interna­tionalen Währungsfonds (IWF) zu erhalten, hat die griechische Regierung vergangene Woche ein neues »Sparpaket« im Umfang von 78 Milliarden Euro verabschiedet. Seine Auswirkungen werden die griechische Gesellschaft für lange Zeit prägen. Fatalerweise ist nicht einmal klar, ob die rigiden Beschlüsse überhaupt etwas bewirken werden – außer die griechische Gesellschaft zu ruinieren.
So will die griechische Regierung durch umfangreiche Privatisierungen zusätzlich Geld einnehmen, um die Schulden zu reduzieren. Bis zu 50 Milliarden Euro soll der Verkauf von Staats­eigentum einbringen. An erster Stelle stehen dabei die TT Hellenic Postbank, die OTE Telekom und die Häfen in Piräus und Thessaloniki. Das staatliche Glücksspielunternehmen Opap, der Flughafen Athen, Mautrechte für die Autobahnen, Teile der griechischen Eisenbahn OTOE und die staatlichen Beteiligungen an der Energie- und Wasserversorgung sollen folgen.

Die Rechnung ist allerdings wenig realistisch, denn wegen der Krise fällt der Wert vieler Unternehmen. Bereits im Februar hielten Experten der EU und des IWF Erlöse von maximal 12,5 Milliarden Euro für möglich. Der Wert der 15 börsennotierten Staatsunternehmen beträgt derzeit gerade einmal 6,7 Milliarden Euro und damit deutlich weniger, als von der Regierung angenommen wird. Theoretisch verfügt der griechische Staat zwar noch über zahlreiche Immobilien. Ob er diese veräußern kann, ist wegen fehlender oder ungültiger Grundbuchtitel jedoch zweifelhaft. Auf etwa 40 Prozent der Staatsimmobilien erheben Firmen oder Privatpersonen Ansprüche, bei einem weiteren Viertel sei der legale Status zumindest »fragwürdig«, wie das griechische Finanzministerium Anfang des Jahres mitteilte.
Vor allem aber will die Regierung sparen. Die Sozialleistungen sollen im Lauf von drei Jahren um ungefähr fünf Milliarden Euro, die Ausgaben für das Gesundheitssystem sollen um zwei Milliarden Euro, der Verteidigungsetat soll um 1,2 Milliarden Euro gekürzt werden. Außerdem sollen mehr als zwei Milliarden Euro durch eine Senkung der Beamtengehälter eingespart und in den kommenden vier Jahren 200 000 Stellen im öffentlichen Dienst gestrichen werden. Um zugleich seine Einnahmen zu steigern, will Finanzminister Evangelos Venizelos eine »Solidaritätsabgabe« auf alle Einkommen über 8 000 Euro erheben. Außerdem plant er, zahlreiche Steuern zu erhöhen und Freibeträge sowie Abzugsmöglichkeiten zu streichen.
Vor allem Freiberufler sollen damit besser erfasst und höher belastet werden. Etwa ein Drittel der griechischen Beschäftigten arbeitet selbständig, so viele wie in kaum einem anderen EU-Land. Sie verdienen mit durchschnittlich 18 000 Euro im Jahr zwar nicht gut, sind aber dennoch von den Steuererhöhungen erheblich betroffen. Ins­besondere die Empfänger unterer und mittlerer Einkommen haben die Hauptlast des »Sparpakets« zu tragen. Insgesamt erhofft sich die Regierung 28 Milliarden Euro Einnahmen durch die Maßnahmen.
Bereits im vergangenen Jahr hatte die griechische Regierung das Haushaltsdefizit um fünf Prozentpunkte gesenkt – so viel wie kein anderer EU-Mitgliedsstaat. Auch damals erfolgten Gehaltskürzungen, Stellenstreichungen und Steuererhöhungen. In der Folge schrumpfte die griechische Wirtschaft um 4,5 Prozent, für dieses Jahr wird ein Rückgang um drei Prozent erwartet.

Die Auswirkungen der Sparprogramme sind fatal. Zumindest in Friedenszeiten hat kein Land in Westeuropa bisher in so kurzer Zeit eine derart drastische Verringerung des Lebensstandards hinnehmen müssen. So verloren die Griechen in den vergangenen 18 Monaten durchschnittlich fast ein Fünftel ihres Einkommens. Dabei liegt das Lohnniveau in Griechenland gerade einmal bei etwa drei Vierteln des Durchschnitts in der Euro-Zone, ein Viertel der griechischen Beschäftigten verdient weniger als 750 Euro im Monat.
»Kein Industrieland hat in den letzten 25 Jahren sein strukturelles Defizit binnen eines Jahres so stark gesenkt«, teilte kürzlich die Ratingagentur Fitch mit. Und die Berenberg-Bank bezeichnet das griechische Sparprogramm als »die wahrscheinlich härteste fiskalische Anpassung, die jemals in einem westlichen Land« stattgefunden habe. Allein in den vergangenen zwölf Monaten gingen 65 000 Unternehmen bankrott. Die Sparmaßnahmen zerstören Existenzen und ruinieren ganze Familien. Seit Beginn der Krise sei die Zahl der Selbstmorde deutlich angestiegen, wahrscheinlich um 40 Prozent, sagte kürzlich der griechische Gesundheitsminister Andreas Loverdos im Parlament. So ist es auch nicht weiter verwunderlich, dass das Land in einer tiefen Rezession versinkt und die Steuereinnahmen deutlich hinter den Schätzungen zurückbleiben. Insgesamt hat der griechische Fiskus im vergangenen Jahr 1,2 Milliarden Euro weniger eingenommen als erwartet – gerade wegen der enormen Anstrengungen, die den Bürgern abverlangt wurden.
Wie umfangreich der Sparplan tatsächlich ist, wird deutlich, wenn man ihn auf deutsche Verhältnisse überträgt. Etwa 400 Milliarden Euro müsste die Bundesregierung demnach bis 2015 sparen, wie das gewerkschaftsnahe Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) berechnet hat. Bundeskanzlerin Angela Merkel müsste sämtliche Ausgaben für die Bundeswehr und die Entwicklungshilfe sowie das Arbeitslosengeld vollständig streichen, um die jährlichen Sparvorgaben annähernd zu erreichen. Und selbst diese Maßnahmen würden nicht genügen.
Die vermeintliche Rettung wird ohnehin nicht viel nützen. Selbst wenn das Sparprogramm erfolgreich umgesetzt wird, was nicht eben wahrscheinlich ist, würde dies wenig an den rapide wachsenden Schulden ändern. Lag der griechische Schuldenstand im Juni 2009 noch bei 292 Milliarden Euro, so waren es knapp zwei Jahre später bereits 354 Milliarden Euro. Wenn die Euroländer und der IWF nun die nächste Kredittranche überweisen, werden es voraussichtlich fast 370 Milliarden Euro sein. Allen Beteuerungen und »Sparpaketen« zum Trotz steuert Griechenland auf die Pleite zu.
Damit droht auch der mühsam zwischen den EU-Ländern ausgehandelte Kompromiss schon bald wieder hinfällig zu werden. Die Bundesregierung wollte ursprünglich dem neuen Hilfskredit in Höhe von zwölf Milliarden Euro nur unter der Bedingung zustimmen, dass private Gläubiger eingebunden werden. Nach heftigem Widerspruch aus Frankreich einigten sich beide Regierungen schließlich auf eine »freiwillige Beteiligung«. Demnach sollen die Banken einen Teil der auslaufenden Kredite wieder an Griechenland vergeben beziehungsweise deren Laufzeit verlängern. Die »Freiwilligkeit« galt wiederum als Voraussetzung, um die Ratingagenturen zu beschwichtigen, denn diese hatten zuvor damit gedroht, Griechenland als zahlungsunfähig einzustufen. In diesem Fall würde auch die Europäische Zentralbank keine griechischen Staatsanleihen mehr annehmen, was weitere Kredithilfen extrem erschweren würde, weil die Staatsanleihen als Sicherheiten für Kredite genutzt werden..

Mittlerweile haben vor allem französische Institute signalisiert, dass sie dem EU-Plan folgen werden. Ein wirkliches Risiko gehen die Finanzkonzerne damit nicht ein. Da die neuen Anleihen über einen Treuhandfonds abgesichert werden, müssen sie kaum Verluste befürchten, können aber mit hohen Zinserträgen bis zu elf Prozent rechnen.
Anfang der Woche hat die Ratingagentur Standard & Poor’s den EU-Plan dennoch vehement kritisiert. Demnach würde der Vorschlag »nach unseren Kriterien wahrscheinlich zu einem Zahlungsausfall« führen, wie es in einer Mitteilung der Agentur heißt. Die von den Verlängerungen betroffenen Anleihen würden also als Kreditausfall gewertet. Offenbar bezweifelt die Agentur, dass Griechenland neue beziehungsweise verlängerte Anleihen jemals zurückzahlen kann. Damit tritt genau das Szenario ein, das die Euroländer, allen voran Deutschland und Frankreich, unbedingt vermeiden wollten. Gut möglich also, dass die Rettung schon wieder gescheitert ist, bevor sie überhaupt begonnen hat.