Zeugin unter Anklage

Die Ermittlungen wegen »Komplizenschaft und Hehlerei« brachten keine verwertbaren Ergebnisse, doch sah sich Dominique Strauss-Kahn im Jahr 1999 zum Rücktritt von seinem Ministeramt gezwungen. Es war nicht das einzige Mal in seiner Karriere, dass ihm Korruption und Machtmissbrauch vorgeworfen wurden, und auf den Kontakt zu einem der gefährlichsten Kriminellen der Welt war er offenbar sogar stolz. »Ich hatte das Privileg, den Führer Libyens, Oberst Gaddafi, zu treffen«, sagte er 2008. Weniger respektvoll verhielt sich der damalige Direktor des Internationalen Währungsfonds (IWF) gegenüber seiner Untergebenen Piroska Nagy. Strauss-Kahn habe »seine Position missbraucht«, um eine intime Beziehung zu erzwingen, schrieb Nagy in einer Stellungnahme, doch musste sie und nicht ihr Vorgesetzter den IWF verlassen. Nach Angaben der Journalistin Tristane Banon fiel Strauss-Kahn im Jahr 2002 »wie ein brünftiger Schimpanse« über sie her und versuchte, sie zu vergewaltigen.
Angesichts eines solchen Vorlebens können Strauss-Kahns Aussagen in einem Vergewaltigungsprozess schwerlich als glaubwürdig gelten, doch genügt es für seine Verteidiger, Zweifel an der Glaubwürdigkeit des mutmaßlichen Opfers zu wecken. Nafissatou Diallo habe mehrfach gelogen, unter anderem bei den Angaben in ihrem Asylantrag, teilten die New Yorker Staatsanwälte dem Gericht mit, überdies habe sie Kontakt zu mutmaßlichen Kriminellen. Mit ihren Aussagen über den Vorfall am 14. Mai im Sofitel-Hotel haben diese Vorwürfe nichts zu tun, dennoch gilt vielen die Unschuld Strauss-Kahns bereits als erwiesen. »Von einer Frau, die eine Vergewaltigung meldet, wird eine jungfräuliche Vergangenheit erwartet, damit sie als glaubwürdiges Vergewaltigungsopfer gelten kann«, kommentiert Katrin Axelsson, Sprecherin von Women Against Rape, im Guardian. Doch die Freude der französischen »Strauss-Kahnianer«, die ihr Idol nun doch noch zum Präsidentschaftskandidaten küren wollen, der Verschörungstheoretiker und Feminismuskritiker könnte verfrüht sein. Nicht nur, weil Strauss-Kahn sich auch bei dem von ihm zugegebenen »einvernehmlichen Sex« wohl strafbar gemacht hätte. Denn dass Diallo sich beim Betreten der Suite 2806 spontan in ihn verliebte, kann man ausschließen. Für Sex zu bezahlen, kann in New York mit einem Jahr Haft bestraft werden. Nicht sehr schlüssig ist die Theorie, dass Diallo sich dann umgehend zu einer Anzeige entschloss, obwohl sie nicht nur mit den in solchen Fällen üblichen Unannehmlichkeiten und wie Nagy mit dem Verlust ihres Jobs, sondern offenbar auch mit einer Aufdeckung kleinkrimineller Schummeleien und ihrer Kontakte zum Drogenmilieu rechnen musste. Überdies scheinen die forensischen Beweise ihre Version zu bestätigen, und ausnahmsweise dürfte das Vorleben des mutmaßlichen Täters im Prozess eine Rolle spielen.