Die italienische Linke zehn Jahre nach dem G8-Gipfel in Genua

Italiens Linke ist völlig planlos

In Genua schlug die Polizei vor zehn Jahren brutal auf Demonstranten ein, getroffen wurde aber die gesamte italienische Linke, die sich seitdem weiter zersplittert hat.

In Genua trifft sich eine neue Bewegung. Ihr Motto: »Genua ist die Zukunft!« Auch am zehnten Jahrestag des G8-Gipfels 2001 gehört Luca Casarini noch immer zu den Protagonisten der außerparlamentarischen Linken Italiens. Mit seiner Parole will er Aufbruchstimmung verbreiten. Schon im vergangenen Herbst schlossen sich Teile der universitären Protestbewegung mit der Metallgewerkschaft Fiom zum Bündnis »Vereint gegen die Krise« zusammen. Nun sollen, angespornt von der Niederlage der Rechten bei den Kommunalwahlen und Volksentscheiden in diesem Frühjahr, die künftigen Kämpfe organisiert werden. Bei denen soll es um eine soziale Grundsicherung und neue Formen der demokratischen Organisation des »Gemeinsamen« gehen. Ließen die Ankündigungen zu den geplanten Veranstaltungen zunächst befürchten, es würden reine Gedenkfeiern abgehalten, so sind in den vergangenen Tagen aktuelle soziale Konflikte und, mit Bezug auf die Revolten in Nordafrika, auch internationale Themen in den Mittelpunkt der Diskussion gerückt.
Dennoch steht der Juli in Genua vor allem im Zeichen der Erinnerung an die brutale Gewalt der Polizei gegen die globalisierungskritische Bewegung. Zum Gedenken an die Erschießung des Demonstranten Carlo Giuliani wird es auf der ­Piazza Alimonda eine Lesung geben. Für den 21. Juli ist ein Gedenkumzug mit Kerzen zur Schule Diaz geplant, wo ein Polizeikommando damals Hunderte von schlafenden Demonstranten überfallen und misshandelt hatte. Obwohl die Ereignisse um den G8-Gipfel längst ausführlich dokumentiert sind, erschienen zum Jahrestag neue Publikationen, die das als »Untergang der Demokratie« erlebte Trauma jener Tage und den schwer umkämpften »Prozess gegen die Polizei« noch einmal rekonstruieren. Die Buchtitel bezeugen, dass die »Wunde«, die der italienischen linken Bewegung in Genua geschlagen wurde, noch immer offen ist.

Kaum ein Polizist oder Carabiniere, der sich in der Schule Diaz und in der Kaserne Bolzaneto schwerer psychischer und physischer Misshandlungen schuldig gemacht hatte, ist bestraft worden. Zwar wurde die polizeiliche Führungsspitze, die für den Diaz-Überfall verantwortlich war, in zweiter Instanz zu längeren Haftstrafen verurteilt. Doch da das endgültige Urteil des Obersten Gerichtshofs noch aussteht, sind alle Beschuldigten weiterhin im Dienst, einige sind sogar befördert worden. Die politische Verantwortung für den Polizeieinsatz wurde weder von einem Gericht noch von einer parlamentarischen Untersuchungskommission aufgearbeitet.
Stattdessen wurde der Bewegung der Prozess gemacht. Gruppierungen, die den zivilen Ungehorsam propagierten, wurden pauschal der Komplizenschaft mit dem militanten »Schwarzen Block« beschuldigt. 20 Mitglieder des süditalienischen Netzwerks »Sud Ribelle« sahen sich mit der Anklage konfrontiert, in Genua eine »politische Verschwörung gegen den Staat« betrieben zu haben. Erst im vergangenen Jahr endete der Berufungsprozess mit Freisprüchen für alle Beschuldigten.

Auf den Schock über die Ereignisse in Genua folgten am 11. September die Terroranschläge in den USA. Die Bewegung verlor an Zulauf, ihre klassischen globalisierungskritischen Themen standen nun nicht mehr auf der politischen Tagesordnung, vor allem aber war der für die Globalisierungskritiker konstitutive Antiamerikanismus zunächst nicht mehr populär. Erst mit Beginn des Irak-Krieges im Frühjahr 2003 fand die radikale Linke als Friedensbewegung wieder in größerer Zahl zusammen. Unter dem regenbogenfarbenen Pace-Banner tauchten nicht nur die alten antiamerikanischen Parolen, sondern auch die dazugehörigen antisemitischen Ressentiments wieder auf. Dass die italienische Linke ungebrochen an einem kruden Antiimperialismus festhält und entsprechende Freund-Feind-Bilder kultiviert, zeigt sich auch daran, dass im Rahmen der Veranstaltungen aus Anlass des G8-Jahrestag zur Unterstützung für die zweite »Gaza-Flottille« aufgerufen wird. In ihrer Feindschaft gegen Israel ist sich die italienische Linke über alle Generationen und Fraktionen hinweg einig.
Ansonsten aber trifft sich in Genua 2011 eine ähnlich fragmentierte Linke wie zehn Jahre zuvor. Im Sozialforum gegen den G8-Gipfel kamen damals grün-pazifistische, katholische und klassisch linksradikale Gruppen zusammen, die keine einheitliche Bewegung bildeten, aber alle davon überzeugt waren, dass ihre politischen Anliegen von den traditionellen linken Parteien nicht angemessen vertreten würden. Auch zehn Jahre später fehlt der linken Alternative eine schlagkräftige parteipolitische Repräsentation.
Nach dem Mauerfall 1989 hatte sich die alte Kommunistische Partei aufgelöst, Italiens Linke spaltete sich in einen sozialliberalen und einen neu zusammengesetzten kommunistischen Flügel. Die Parteien des sogenannten moderaten Flügels nahmen nicht an den Protesten gegen den G8-Gipfel in Genua teil, sie trugen die politischen Entscheidungen, die auf dem Gipfel gefällt wurden, mit. Die kleinen Splitterparteien der Linken fühlten sich dagegen der Antiglobalisierungsbewegung verbunden. Doch erst nach dem blutigen Angriff auf die Protestbewegung vor zehn Jahren und im Anschluss an die Kriminalisierung der Globalisierungskritiker suchte Fausto Bertinotti, damals noch Vorsitzender der 1991 gegründeten Rifondazione Comunista, eine Annäherung zwischen seiner Partei und der Bewegung. Er zeigte sich offen für neue Formen der politischen Teilnahme. Letztlich zogen aber nur einige berühmt gewordene Globalisierungskritiker für die Rifondazione ins Parlament ein, die Organisationsstruktur der Partei blieb dagegen unangetastet.
Zu den Parlamentswahlen 2006 schlossen sich die moderate und die radikale Linke zur »Union«, einem breiten Mitte-Links-Bündnis, zusammen. Fünf Jahre nach Genua kam der Versuch, der autoritären Rechten endlich vereint entgegenzutreten, jedoch zu spät. Das Mitte-Links-Bündnis gewann zwar knapp die Wahl, aber die »Union« brach nach nur zwei Jahren auseinander. Anlässlich der vorgezogenen Neuwahlen verweigerte die aus den moderaten Parteien hervorgegangene Demokratische Partei weitere Bündnisabsprachen mit der radikalen Linken, die daraufhin an der Sperrklausel scheiterte und den Einzug ins Parlament verpasste. Seit 2008 regiert wieder jene Rechte, die 2001 die Verantwortung für den Einsatz der Polizeikräfte in Genua hatte und heute nach der dort erprobten Sicherheitspolitik die Immigrations- und Strafvollzugspolitik.

Italiens Linke aber ist immer noch gespalten, obwohl viele der jungen Menschen, die heute zu den Protestbewegungen gehören, erst nach 1989 geboren wurden. Seit mehr als einem Jahrzehnt wurden alle Hoffnungen, einem charismatischen Gewerkschafter oder Politiker werde es gelingen, das linksalternative Spektrum zu einer neuen, pluralen Linken zusammenzuführen, enttäuscht. Inzwischen beschränken sich die radikalen Fraktionen größtenteils auf die Unterstützung lokaler Bürgerbewegungen gegen staatliche Großprojekte.
Doch ausgerechnet zum Jahrestag droht sich das Genueser Szenario von 2001 zu wiederholen: In der aktuellen Auseinandersetzung um den Bau einer Schnellstrecke für die Bahn im piemontesischen Val di Susa geht die Polizei im Auftrag der rechten Regierung mit brutaler Härte gegen die Protestbewegung vor, die moderate Linke distanziert sich von einem vermeintlich »militanten Block«, und die radikale Linke wird medienwirksam in die politische Isolation gedrängt.