Morde an Umweltaktivisten in Brasilien

Roden und Morden

Umweltschützer in Brasilien leben gefährlich. In den vergangenen Monaten wurden mehrere Menschen ermordet, die sich gegen die illegale Rodung des Regenwaldes im Amazonasgebiet engagierten. Die Morde stehen im Zusammenhang mit der Zunahme der Abholzungen und mit der Verabschiedung einer Amnestie für illegale Holzfäller durch die Regierung.

Der brasilianische Umweltaktivist Jose Claudio Ribeiro war sich der Gefahr für sein Leben bewusst. »Ich könnte bald verschwunden sein. Aber ich werde den Wald trotzdem schützen. Deshalb könnte ich jeden Augenblick eine Kugel in den Kopf bekommen«, hatte er im November vergangenen Jahres bei einem Vortrag auf einem Umweltkongress in Manaus gesagt. »Weil ich die Holzfäller und die Holzkohleproduzenten anprangere, fragt man mich immer, ob ich Angst habe. Ja, ich bin ein Mensch, natürlich habe ich Angst. Aber die Angst macht mich nicht sprachlos.«
Am 24. Mai wurden Ribeiro und seine Ehefrau, Maria de Espirito Santo, in der Nähe ihres Wohnortes im Bundesstaat Pará ermordet. Beide arbeiteten als Kautschukzapfer und Paranusssammler und waren Mitglieder einer Umweltorganisation, die von Chico Mendes gegründet worden war, dem 1988 ermordeten Gewerkschafter.
Nur wenige Tage nach dem Mord an dem Ehepaar wurde auch ein mutmaßlicher Zeuge der Tat in der Nähe der Ortschaft tot aufgefunden. José Batista, ein Anwalt der lokalen Hilfsorganisation Pastorale Landkommission, bestätigte der Nachrichtenagentur AFP: »Im Amazonasgebiet gibt es Auftragsmörder.«
Ein Kollege von Ribeiro berichtete, das Opfer habe zuvor Morddrohungen bekommen. Hinter den Morden ständen mächtige Landeigentümer und Forstfirmen. »Sie kamen mehrmals zu ihm. Er forderte sie heraus, doch sie töteten ihn nicht, weil sie auch seine Frau umbringen wollten. Am Ende haben sie es geschafft«, wurde der Mann von AFP zitiert, der aus Angst vor Rache nur seinen Vornamen nennen wollte.
Die staatlichen Ermittlungen liefen bisher ins Leere. Die Unsicherheit in Pará sei groß, sagt Batista, »weil die Straflosigkeit herrscht«. Seit 1996 seien nach Angaben der Pastoralen Landkommission 212 Umweltaktivisten und Menschenrechtler ermordet worden. 809 Namen ständen auf der Todesliste der Agrarmafia und ihrer Söldner.
Batista selbst droht derzeit eine zweijährige Haftstrafe. Er hatte 1999 landlose Bauern juristisch vertreten, die ein Regierungsgebäude besetzt und die Mitarbeiter über Nacht festgehalten hatten, und wurde selbst der Freiheitsberaubung beschuldigt.
»Es gibt starke Hinweise dafür, dass der Prozess gegen Batista politisch motiviert ist. Eine Inhaftierung könnte einen abschreckenden Effekt auf die Menschenrechts- und Umweltaktivisten in Brasilien haben«, sagt Patrick Wilcken, der Experte für Brasilien bei Amnesty International.
Einige Tage nach den Morden in Pará wurde im Bundesstaat Rondonia der Umweltaktivist Adelino Ramos ermordet. Und Mitte Juni wurde ein weiterer Mord an einem Umweltaktivisten in Pará gemeldet: Obede Loyla Souza wurde erschossen nahe der Ortschaft Pacaja aufgefunden.
Die brasilianische Regierung hat inzwischen die Gründung einer interministeriellen Einsatzgruppe gegen die Gewalt im Amazonasgebiet angekündigt. Diese ist befugt, Polizeikräfte in Konfliktregionen zu schicken und die Präsenz von Regierungsbeamten an Ort und Stelle zu erhöhen.

Die Morde an Umweltaktivisten ereignen sich in einer Zeit, in der immer größere Flächen Regenwald abgeholzt werden. Im März und April dieses Jahres wurde sechsmal so viel Regenwald gerodet wie im selben Zeitraum des Vorjahres. Vorangetrieben wurde diese Entwicklung durch die am Tag der Ermordung von Ribeiro im Abgeordnetenhaus beschlossene Novelle des Waldgesetzes, die eine Amnestie für alle bisherigen illegalen Holzfäller vorsieht.
»Als ein Abgeordneter in der Kammer von diesem Mord sprach, um zu verhindern, dass das Gesetz verabschiedet wird, haben einige Abgeordnete sogar noch dem Mörder Beifall geklatscht! Es gibt viele, die ausschließlich auf wirtschaftliche Interessen schauen, ganz egal welcher Preis dafür zu zahlen ist«, sagte Flavio Giovenale, der Bischof von Abaetetuba, in einem Radiointerview. Die Zustimmung des Senats für das neue Gesetz steht noch aus. »Wir hoffen, dass sich im Senat noch einige Änderungen am Gesetz durchsetzen lassen, auch um die Kleinbauern zu beschützen. Denn dieses Gesetz schert Kleine und Große über einen Kamm«, sagte Giovenale.
In Brasilien herrsche ein »fetischistischer« Glaube an die Macht des wirtschaftlichen Wachstums, kritisiert der brasilianische Soziologe Jesse Souza in seinem 2008 erschienenen Buch »Die Naturalisierung der Ungleichheit«. Die Fixierung auf die Verbesserung der Staatsverwaltung und die »Kreuzzüge gegen die Korruption« lenkten von der Existenz einer Unterklasse ab, die sich »in materieller wie in geistiger Hinsicht zu einem tragischen Leben verurteilt sieht«.
Die Agrarpolitik der brasilianischen Regierung wird auch von linken Politikern unterstützt, die den neuen agrarpolitischen Kurs mit dem Versprechen des »Wohlstands für die Nation« verbinden. Vor allem Aldo Rebelo von der Kommunistischen Partei Brasiliens hat die Gesetzesnovelle vorangetrieben. »Rebelo spielt mit nationalistischen Ressentiments. Er meint, dass das bestehende Waldgesetz nur internationalen Interessen diene, und stellt Umweltorganisationen wie Greenpeace als ›imperialistisch‹ dar«, sagt An­drea Cederquist, Waldexpertin von Greenpeace im Gespräch mit der Jungle World. »Dabei ergab eine nationale Umfrage im Juni, dass eine Mehrzahl der brasilianischen Bevölkerung gegen den Gesetzesvorschlag und für den Schutz des Amazonasgebiets ist.«
Mit der Gesetzesnovelle soll die Verpflichtung zur Wiederaufforstung von Flächen, die bis 2008 entwaldet wurden, entfallen und die Strafzahlung für die kommenden Jahre ausgesetzt werden. Die Rodung einer Fläche von 30 Millionen Hektar wird mit dem Gesetz legalisiert. Die Entscheidungen über die Größe der erlaubten Anbauflächen und über die Amnestie für die Landbesitzer sollen den Bundesstaaten überlassen werden. Bisher geht das Gesetz von einer legalen Anbaufläche von 20 Prozent aus, auf 80 Prozent der Flächen soll der Regenwald erhalten bleiben.

»Die nationale Gesetzgebung soll gelockert werden«, sagt Cederquist. Die Politik der Bundesstaaten werde von den einflussreichen Vertretern der Agrarwirtschaft beeinflusst. »Die Debatte um die Novelle und die vorgeschlagene Amnestie für Umweltstraftaten führt schon jetzt zu einer Zunahme der Entwaldung und der Gewalt im Amazonasgebiet.«
Bereits 2009 hatte der damalige Präsident Luiz Iñacio Lula da Silva die Verfolgung illegaler Rodungen ausgesetzt. Unterstützt wurde er damals unter anderem von Bleiro Maggi, der von 2003 bis 2010 Gouverneur des Bundesstaats Mato Grosso war und heute Senator in Brasilia ist. Maggi besitzt 400 000 Hektar Land und gilt als der größte Sojafarmer der Welt. Die gestiegene Nachfrage nach Fleisch und Tierfutter und die entsprechend erhöhten Preise für Soja treiben die illegale Erschließung von Agrarland durch Abholzung der Regenwälder voran. Nach Schätzungen der Weltbank haben 85 Prozent aller Farmer im Amazonasgebiet keinen rechtsgültigen Besitztitel für das Land, auf dem sie wirtschaften. Agrargiganten wie Bleiro Maggi üben einen großen Einfluss auf die brasilianische Politik aus.

Brasilien ist heute der Staat mit den größten Fleischfirmen der Welt. Die von den drei Brüdern Batista geführte Firma JBS schlachtet nach Angaben des Handelsblatts täglich 90 000 Rinder und 7,2 Millionen Hühner und liegt damit an der Weltspitze. Greenpeace meldete 2009 als Erfolg, die brasilianischen Fleischgiganten JBS und Marfig wollten auf die Verarbeitung von Fleisch, das mit Regenwaldzerstörung zusammenhänge, verzichten. Andrea Cederquist zweifelt jedoch an der bisherigen Einhaltung dieser Selbstverpflichtung. Am 14. April hat die Staatsanwaltschaft des Bundesstaats Acre ein Gerichtsverfahren gegen 14 Schlachthäuser eingeleitet. Diese sollen Fleisch aus Farmen verarbeitet haben, die wegen illegaler Abholzung mit Bußgeldern belegt worden waren. Eines der verklagten Schlachthäuser war JBS. Ende April verpflichtete sich JBS gegenüber der Staatsanwaltschaft, nach September 2012 nur noch Fleisch bei staatlich registrierten Farmen mit korrekten Umweltlizenzen zu kaufen, und entging so der drohenden Strafe von bis zu 1,3 Milliarden Dollar. Nach der jetzigen Abstimmung in der Abgeordnetenkammer wird die Entscheidung über das neue Waldgesetz im Senat voraussichtlich im Oktober fallen. Sollte es dort bestätigt werden, sagt Cederquist, »hat letztlich Präsidentin Dilma Rou­seff die Vetoentscheidung«. Entgegen der Vorwürfe Rebelos versuche Greenpeace, gemeinsam mit den Kleinbauern und der Zivilbevölkerung, das Gesetz zu verhindern, meint Cederquist. Hoffnung setzt sie auch auf Brasiliens Bestreben, sich international als Vorreiter im Klimaschutz zu positionieren. Einerseits war Dilma Rouseff als Kabinettschefin ihres Vorgängers Lula zuständig für das Programm zur Beschleunigung des Wirtschaftswachstums und gilt als entschiedene Vertreterin dieses wirtschaftspolitischen Kurses. Brasilien hatte sich vor dem Gipfel in Kopenhagen freiwillig auf eine Reduzierung der CO2-Emissionen von 38 Prozent bis 2020 verpflichtet und ist im kommenden Jahr Gastgeber der UN-Konferenz »Rio +20«.
»Ich frage mich, wie sich Brasilien mit dem neuen Waldgesetz als Vorreiter in der Nachhaltigkeit darstellen will«, sagt Cederquist.