Über das Leben ohne Mathematik

Wer braucht schon Mathe?

Die Mathematiker streiten sich, ob Pi oder Tau richtiger sei. Doch wen juckt das? Mathematik wird ohnehin über­bewertet.
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Also ich komme gut ohne Zahlen aus. Wozu gibt es Wörter? Damit kann man alles Wesentliche ausdrücken. Dass der Sinn des Lebens 42 sei, darauf kann nur eine Maschine kommen. Da die Welt allerdings längst von Maschinen regiert wird, hat es sich ergeben, dass Zahlen doch hier und da in unser Alltagsleben eindringen und von uns berechnet werden sollen. Das ist nicht gut – aber gut ist: Das übernehmen die Maschinen selbst. Es gibt für alles eine App.
Als Mensch selbst zu rechnen, ist vollständig überflüssig, solange man einen Taschenrechner, ein Handy oder einen Computer in der Nähe hat, und das ist ja wohl immer der Fall. Und wenn doch einmal nicht, vielleicht bei einem romantischen Beisammensein an einem einsamen Strand oder bei einem verträumten Waldspaziergang – wer musste bei solchen Gelegenheiten je rechnen? Dass eins plus eins zwei ergibt, und wenn man nicht aufpasst, auch mal drei, dürfte ohnehin bekannt sein.

Wenn doch einmal etwas auszurechnen ist, dann vielleicht, weil Dinge addiert werden müssen. Die Gegenstände im Einkaufswagen und ihr Preis, die Anzahl der Flaschen, die man vom Tresen mitbringen soll, sowas eben. Vielleicht muss auch mal etwas subtrahiert werden: die Mietzahlung vom Einkommen, eine Freundin, ein Freund. Ganz selten wird sogar die Multiplikation notwendig, wobei, da fällt mir jetzt spontan schon gar kein Beispiel mehr ein. Und im allerallerschlimmsten Fall muss man auch mal etwas teilen – etwa das Leid. Alles andere ist etwas für Nerds. Brüche, Wurzeln und Vektoren sind mir nach dem Abitur nie wieder über den Weg gelaufen. Und Pi? Damit habe ich in 13 Jahren Gymnasium nie etwas zu schaffen gehabt. Weshalb sollte ich jetzt damit anfangen?
Auf Spiegel online lese ich, Pi sei »eine Konstante, an der man nicht vorbeikommt, wenn man Umfang oder Fläche eines Kreises ausrechnen möchte«, aber wer zum Henker möchte das? Auch den Inhalt von Kugeln könne man damit berechnen, meint der Kollege aus dem Mathe-Ressort nebenan. Ja, wenn man vom Inhalt eines Kopfes auf dessen Klugheit schließen könnte, ja dann, vielleicht dann, würde ich mir die Mühe machen. Aber wer will schon wissen, wie viel Luft in einen Fußball passt? Das Einzige, was uns dabei interessiert, ist, dass dieser Ball ins Tor geht, dass das Runde ins Eckige geht, denn dort ist sein Ziel, sein Bestimmungsort. Die Welt ist in erster Linie eckig!
Fußballplätze haben Ecken, Straßen haben Ecken, Zeitungsseiten haben Ecken, wir alle haben Ecken und Kanten. Häuserblocks, Häuser, Zimmer, Fernsehbildschirme, Bücher, Schokoladentafeln und Schokoladenstücke. Das alles ist eckig. Sollte man da ausnahmsweise mal etwas nachrechnen müssen, geht das mit so kleinen Zweien über einem Buchstaben und es genügt schlichtes Mal-Nehmen.
Wer die Fläche von Kreisen berechnen möchte, der wohnt vermutlich in einem Tipi oder Iglu, und ich lade ihn herzlich ein, die Steinzeit hinter sich zu lassen und in die zivilisierte Welt einzutreten. Rundungen sind etwas für Weicheier, Kreise für Anthroposophen, Kugeln für Qigong-Esos, das alles ist für Leute, die Hundertwasser für ein Genie halten. Der Dichter sagt zu Recht: Es zeichnet der meist einen Kreis, der keinen Anfang und kein Ende weiß.

Und nun soll Pi abgeschafft werden, denn Pi sei falsch. Ja, hallo?! Wenn die angeblich »wichtigste Zahl der Mathematik« (Spiegel) schon immer falsch war, dann frage ich mich, wie wichtig sie dann wohl sein kann. Bisher fliegen die Flugzeuge, die Bälle rollen, die Eisenbahnen fallen nicht von den Brücken, alles tutti trotz falscher Pi-Zahl. Das allein zeigt, dass niemand Pi wirklich braucht. Jetzt ist also Tau das neue Pi. Tau – das klingt so hübsch nach Tao Te King, nach chinesischer Philosophie, Religion, schön spirituell, oder auch nach Natur und Morgennebel, also nach dem genauen Gegenteil von Wissenschaft. Und das ist es auch. Wieder so ein Quatsch mit Kreisen. So was wie Pi mal zwei, also Pipi. Und so sollte man es auch behandeln: runterspülen, fertig.
Jetzt mal Spaß beiseite: Ich hab mir das ja genau erklären lassen, das mit dem Pi. Es ist so: Pi beschreibt die Tatsache, dass das Verhältnis des Umfangs eines Kreises zum Radius immer gleich ist, egal wie groß der Kreis ist. Diese profane, jedem Kind durch einfaches Hinsehen offenkundige Tatsache berichten dir Mathematiker mit einem Leuchten in den Augen, als wenn Gott in ihrer tristen Mathematikerbude erschienen wäre und vor ihren matten Brillengläsern ein Wunder gewirkt hätte. Liebe Leute, ich verrate euch mal etwas ähnlich Spektakuläres: Die Entfernung zwischen zwei Städten ist immer gleich groß, egal ob man in der einen oder in der anderen Stadt steht. Und noch was: Der Promillegehalt eines Biers bleibt immer gleich, egal wie viel man ­davon trinkt. Drum, Genosse: Bleib vernünftig, werde schlau, befreie dich von Pi und Tau!