Die juristische Aufarbeitung der Ereignisse während des G8-Gipfels

Zehn Jahre vor Gericht

Die juristische Aufarbeitung der Ereignisse in Genua während des G8-Gipfels 2001.

Der Tod von Carlo Giuliani
5. Mai 2003: Die Untersuchungsrichterin Elena Daloisio stellt das Ermittlungsverfahren gegen den Carabiniere Mario Placanica mit der Begründung ein, der Beamte habe in »legitimer Notwehr« gehandelt. In der Urteilsbegründung verweist die Richterin zudem auf Paragraph 53 der Strafprozessordnung, in dem von »legitimem Waffengebrauch« die Rede ist. Daloisio betrachtet die These der Staatsanwaltschaft als bewiesen, dass der Carabiniere in die Luft geschossen habe. Die Kugel sei von einem »fliegenden Stein« ab­gelenkt worden und habe Giuliani in den Kopf getroffen.
Freigesprochen wird auch der Carabiniere Filippo Cavataio. Dieser saß am Steuer des Polizei­wagens, der bei einem Wendemanöver zweimal den am Boden liegenden Giuliani überrollte. Es kommt also zu keinem Prozess wegen der Ereignisse auf der Piazza Alimonda am 20. Juli 2001.
25. August 2009: Nach Wiederaufnahme der Ermittlungen aufgrund einer Beschwerde der Familie Giuliani beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strasbourg (EGMR) wird das Urteil der italienischen Justiz bestätigt. Placanica habe in »legitimer Notwehr« gehandelt. Die europäischen Richter äußern zwar einige Zweifel an der von den italienischen Behörden durchgeführten Untersuchung im Fall Giuliani sowie an der Planung und Durchführung der Polizeieinsätze während des G8-Gipfels, sie stellen aber im Urteil fest, dass es dabei nicht zu Verletzungen der Menschenrechte gekommen sei.
24. März 2011: Das EGMR weist erneut eine Beschwerde der Familie Giuliani zurück. Sie hatte der italienischen Regierung vorgeworfen, unverhältnismäßig scharf gegen die Demonstranten vorgegangen zu sein und damit das in der Europäischen Menschenrechtskonvention garantierte »Recht auf Leben« verletzt zu haben.
Mit dem Todesschuss auf Carlo Giuliani sei kein Grundrecht der Europäischen Menschenrechtskonvention verletzt worden, urteilen die Richter in Strasbourg.

Der Überfall auf die Diaz-Schule
13. November 2008: Von den 29 Polizisten, die wegen der Übergriffe auf Demonstrantinnen und Demonstranten in der Schule Armando Diaz am 22. Juli 2001 angeklagt sind, werden 13 zu insgesamt 35 Jahren Haft verurteilt. 16 von ihnen, unter anderem die Einsatzleiter und ranghohe Polizeibeamte, werden freigesprochen. Beim nächtliche Überfall auf die zumeist schlafenden Demontrantinnen und Demonstranten wurden 93 Personen festgenommen, 63 von ihnen wurden schwer verletzt. Das Gericht stellt fest, dass die Polizei selbst Molotow-Cocktails in die Schule eingeschmuggelt hat, um den Angriff zu rechtfertigen. Auch ein Messerangriff auf einen Polizisten sei inszeniert worden.
18. Mai 2010: Beim Berufungsprozess werden 25 Angeklagte zu insgesamt 85 Jahren Gefängnis verurteilt. Auch die Polizeiführung wird zu Haftstrafen von drei bis fünf Jahren verurteilt. Die erstinstanzlich freigesprochenen Beamten, von denen mehreren inzwischen befördert worden sind, werden zusätzlich für fünf Jahre von der Ausübung öffentlicher Ämter ausgeschlossen.

Die Misshandlungen in der Polizeikaserne Bolzaneto
14. Juli 2008: Von den 45 angeklagten Polizisten, Medizinern und Aufsehern, die nach dem G8-Gipfel in der zum temporären Gefängnis umfunktionierten Polizeikaserne Bolzaneto im Einsatz waren, werden 15 zu Haftstrafen zwischen fünf Monaten und fünf Jahren verurteilt. Die Vorwürfe lauteten: Amtsmissbrauch, Nötigung und Misshandlung. Rund 300 Menschen wurden inBolzaneto psychisch und körperlich misshandelt.

Der Prozess »gegen die 25«
14. Dezember 2007: 25 italienische Aktivistinnen und Aktivisten werden wegen Sachbeschädigung, Verwüstung und Plünderung zu insgesamt 110 Jahren Gefängnis verurteilt. Einer von ihnen wird wegen Körperverletzung zu fünf Jahren Haft verurteilt. Er soll den Fahrer des Polizeiwagens, der Carlo Giuliani auf der Piazza Alimonda überfahren hat, verletzt haben.
9. Oktober 2009: Im Berufungsprozess werden elf der Angeklagten freigesprochen, unter anderem wegen Verjährung. Für zehn Demonstranten wird das Urteil nicht nur bestätigt, sondern die Strafen werden auch erheblich verschärft.