Was ist aus den Riot Grrrls geworden?

Grrrrrrr!!!!

Vor 20 Jahren ist das Riot-Grrrl-Manifest erschienen. Ein neuer Reader begibt sich auf die Spurensuche, was aus den Riot Grrrls geworden ist.

Grunge wird 20. Das wird dieses Jahr noch kräftig gefeiert werden. Vor 20 Jahren ist »Nevermind« von Nirvana erschienen, und »Smells Like Teen Spirit« wurde der Song, der die Neunziger prägte wie kein anderer. 20 Jahre Riot Grrrl, auch dieser Festakt soll nun begangen werden. Der Reader »Riot Grrrl Revisited« nimmt die Veröffentlichung des Riot-Grrrl-Manifests zum Anlass, nochmals die Geschichte einer feministischen Jugendkultur zu erzählen und zu schauen, was aus Riot Grrrl eigentlich geworden ist.
Dass die Jubiläen von Grunge und Riot Grrrl zusammenfallen, ist kein Zufall. Der Erfolg von Grunge hat die Wahrnehmung der Riot Grrrls geprägt, und auch musikalisch ging es um Ähn­liches, um eine Neudefinition von Punk und Hardcore. Und nicht zuletzt erzählt man sich, dass Kathleen Hanna, wohl die Ikone der Riot Grrrls schlechthin, Kurt Cobain zum Titel von »Smells Like Teen Spirit« inspiriert habe.
Interessanterweise erscheint einem Grunge heute aber als eine weit abgeschlossenere Sache als Riot Grrrl. Kurt Cobain ist tot, Eddie Vedder von Pearl Jam macht heute Folk mit der Ukulele, und so etwas wie Neo-Grunge hat sich nie wirklich etabliert. Riot Grrrl hat dagegen eine derzeit immer noch top­aktuelle Band wie Gossip hervorgebracht, und deren Sängerin, Beth Ditto, ist heute eine der interessantesten Figuren des Popbetriebs, die die klassische Agenda der Riot Grrrls – Unangepasstheit, Selbstbestimmtheit und feministische Politisierung des eigenen Tuns – zur Massentauglichkeit geführt hat.
Grunge ist heute Teil der »Retromania«, die der amerikanische Popjournalist Simon Reynolds in seinem eben erschienenen Buch beschreibt, ein weiteres Genre in einer zunehmend nostalgieanfälligen Popkultur von heute, eines, das vor allem auf traurigen Neunziger-Partys fortlebt. Riot Grrrl ist sicherlich einerseits ein am Ende der Neunziger so gut wie abgeschlossenes Kapitel. Doch da Riot Grrrl nicht nur ein musikalisches Genre, sondern mehr noch ein weiterhin gültiger Versuch war, feministisches Bewusstsein neu zu prägen, sind Riot Grrrl und dessen Themen immer noch von einer gewissen Aktualität. Warum spielen nicht mehr Frauen in Bands? Warum schreiben und reden immer nur Jungs oder Männer, die sich immer noch für Jungs halten, über Popmusik? All diese Fragen, die die Riot Grrrls einst mit großer Vehemenz gestellt haben, gilt es immer noch zu beantworten. Und auch der Third-Wave- oder der sogenannte Popfeminismus beziehen sich auf die Riot Grrrls, auf deren Feststellung, dass nicht jede Sexarbeiterin zwangsläufig ein Opfer der Verhältnisse ist und Porno per se etwas Schlechtes, wie das der Oldschool-Feminismus noch annahm. Auch das Missy Magazine, mit dem sich Frauen an Frauen richten und Queers an Queers, ist eine Zeitschrift, die dem vor 20 Jahren erschienenen Riot-Grrrl-Manifest einiges verdankt.
Dennoch waren die Blütezeit der Riot Grrrls natürlich die Neunziger. Etwas redundant und immer wieder dieselben Geschichten erzählend, dreht sich der Reader »Riot Grrrl Revisited« dann auch hauptsächlich um diese Zeit. Um die Szenen in Portland und Olympia, beschaulichen Studentenstädtchen in den USA, die für Riot Grrrl das waren, was Seattle für Grunge war. Um Indielabels wie K-Records, das heute eher vergessen ist, und um solche wie Kill Rock Stars, das nicht zuletzt dank dem sensa­tionellen Erfolg von Gossip auch heute noch ein szeneprägendes Independentlabel ist. Es geht nochmals um Riot Grrrls vs. Girlies in diesem Buch, um die radikalfeministische Aggressivität, die irgendwann von Mainstream-Acts wie den Spice Girls und deren »Girlpower« überdeckt wurde. Und um diesen Look von ­damals, diese Mischung aus Mädchen-Niedlichkeit und betont zur Schau gestellter sexueller Selbstbestimmtheit, der freilich die Neunziger überdauert hat, auch wenn sich heute kaum noch jemand ein Riot Grrrl nennen mag.
Und natürlich geht es nochmals um ganz viel tolle Musik aus dem golden age der Riot Grrrls. Um Bikini Kill, der wohl maßgeblichen Riot-Grrrl-Band. Um Babes in Toyland und deren sperrigen, grunge-infizierten Rock. Um Huggy Bear, die Riot Grrrl auch in England groß machten und die ein paar umwerfend dilettantisch-aggressive Platten veröffentlichten. Oder um Tribe 8 und deren tolles Schwanz-Ab-Gehabe samt von Valerie Solanas geprägtes Kampflesbentum. Dyke-Core, Lesbenpunk oder wie immer man das nannte, brachte eine der großartigen Bands der Neunziger überhaupt hervor: Team Dresch. Auch eine Jungsband aus Hamburg wie Tocotronic war davon so beeindruckt, dass sie 1996 das Stück »Die Sache mit der Team-Dresch-Platte« veröffentlichte, die die Irritation von Jungs behandelte, die mitgerissen waren von diesem supermelodiösen Powerpunk, der sich aber ganz explizit an (lesbische) Mädchen richtete.
Es ist schade, dass »Riot Grrrl Revisited« im Untertitel zwar behauptet, »Geschichte und Gegenwart einer feministischen Bewegung« zu begutachten, dabei aber die Gegenwart etwas zu kurz kommen lässt. Ist Kelly Osbourne eigentlich auch ein Riot Grrrl? Wie viel Riot-Grrrl steckt in Lady Gaga? Sind die sogenannten Slut-Walks eine Wiederbelebung der Riot-Grrrl-Bewegung? Was wäre den Riot-Grrrls zu Kachelmann oder Strauss-Kahn eingefallen? Auch solche Fragen hätte man gerne beantwortet. Außerdem wäre es an der Zeit, auch ein Frauenkollektiv wie die Chicks on Speed im größe­ren Stil in die Geschichte der Riot Grrrls mit einzubeziehen. Oder Hanin Elias, auch eine Frau mit Riot-Grrrl-Berührungspunkten, die einfach mit in den Kanon gehört, auch wenn sie eher für elektronische Musik denn für klassischen Riot-Grrrl-Punkrock steht.
Riot Grrrl muss auch musikalisch endlich viel weiter gefasst werden. Sonst landet er am Ende doch noch dort, wo der gute alte Grunge längst angekommen ist.

Katja Peglow/Jonas Engelmann (Hg.): Riot Grrrl Revisited. Geschichte und Gegenwart einer feministischen Bewegung. Ventil-Verlag, Mainz 2011. 198 Seiten, 16,90 Euro